"In gewisser Weise hat man die Forderungen der Rechtsextremen anerkannt"

Moderation: Stephan Karkowsky · 23.11.2012
Rechtsextreme verübten 1992 einen Brandanschlag auf zwei Häuser, in denen türkische Familien wohnten. Es gab Tote und Verletzte. In der Folge wurde dann das Asylrecht verschärft. Der Rechtsextremismus-Forscher Hans-Gerd Jaschke sieht "schwere Defizite" bei der politischen Aufarbeitung des Verbrechens.
Stephan Karkowsky: Um ein Uhr nachts brannten in Mölln zwei Häuser. Die türkischstämmigen Bewohner wurden im Schlaf überrascht – drei Tote, neun Menschen zum Teil schwerstverletzt, verbrannt und traumatisiert. Das war vor 20 Jahren, die Brandstifter Rechtsextreme, Ortsfremde, nicht aus Mölln, sie haben ihre Strafen bereits abgesessen und sind wieder auf freiem Fuß. Über die Folgen sprechen möchte ich mit dem Rechtsextremismus-Forscher Hans-Gerd Jaschke, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Herr Jaschke, guten Tag!

Hans-Gerd Jaschke: Hallo, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Zeitgleich zu diesen Brandanschlägen gab es damals eine große Debatte um die deutsche Asylpolitik. 1993 kam dann das Ergebnis, da wurde das deutsche Asylrecht mit einer Grundgesetzänderung verschärft. Gab es da eigentlich einen direkten Zusammenhang?

Jaschke: Es gibt sicherlich einen direkten Zusammenhang, das heißt, die damalige Bundesregierung war der Auffassung, durch die Änderung des Asylrechts, also durch die, sagen wir mal, Abschottung der Bundesrepublik gegenüber Flüchtlingen könne man das Thema befrieden, auch mit dem Rechtsextremismus besser klarkommen. Sie dürfen nicht vergessen: Die Republikaner als Partei hatten ja große Erfolge zu der damaligen Zeit. Schon vor der Wende 1989 hatten sie Mandate im Berliner Abgeordnetenhaus erreicht, schon vor der Wende. Und sie entwickeln sich als eine latente Bedrohung für das Parteiensystem, das darf man nicht vergessen. Es kamen jetzt hinzu die gewalttätigen Anschläge, auch in Mölln, und die Änderung des Asylrechts erschien als probates Mittel, der Gesamtthematik Zuwanderung sozusagen die Triebkraft zu nehmen. Man hat praktisch dann die Politik der Abschottung betrieben. Das Fatale daran ist, dass man in gewisser Weise die Forderungen der Rechtsextremen anerkannt hat dadurch. Das ist das Fatale daran.

Karkowsky: Sagen Sie also, weil in Hoyerswerda, in Rostock, in Mölln und Solingen Neonazis Ausländer ermordet haben, musste die Politik Deutschland abschotten, damit es nicht noch zu schlimmeren Ausschreitungen kommen konnte?

Jaschke: Ich denke, die Politik der Abschottung hätte so nicht sein müssen, sondern es hätte frühzeitig eine Politik der sozialen Integration stattfinden müssen. Es hat sie faktisch kaum gegeben. Und da liegen ganz schwere Defizite, und meines Erachtens hat die Änderung des Asylrechts wiederum überdeckt, dass wir keine vernünftige Politik der Integration haben. Die hat sich erst später entwickelt. Ich würde heute nicht mehr so davon reden, wir hätten keine Integrationspolitik: Wir haben heute gute Ansätze. Aber vor 20 Jahren eben nicht.

Karkowsky: Nun gab es ja auch damals durchaus Widerstand gegen das neue Asylrecht. Was glauben Sie denn, warum sich die Gegner da nicht durchsetzen konnten? Sie hätten ja nur eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag verhindern müssen, mit der das Grundgesetz geändert wurde.

Jaschke: Nun, ich denke, die Gegner hatten in der öffentlichen Stimmung der damaligen Zeit wenig Chancen, denn die Positionen pro Änderung des Asylrechts gingen ja weit über die Regierungsparteien hinaus. Das heißt, auch andere, auch die Oppositionsparteien in der damaligen Zeit hätten sich rechtfertigen müssen und mussten sich rechtfertigen, wenn sie dagegen waren. Es gab eine sehr breite Stimmung auch in der Bevölkerung für die Änderung des Asylrechts und die damit verbundene, in meinen Augen falsche Hoffnung, man würde dadurch die, Anführungszeichen, "Ausländerproblematik" angemessen bearbeiten können.

Karkowsky: In einem anderen Fall haben die Norweger nach dem Massenmord von Anders Breivik gezeigt, dass es anders geht, dass ein Staat Toleranz gegen Hass setzen kann, und die Bürger sind diesen Weg mitgegangen. War die Zeit damals in Deutschland noch nicht reif dafür?

Jaschke: Nun, wir müssen sehen: Umgang mit Rechtsextremismus, bis 1990, 92, 94 war im Wesentlichen Sache der Repression, der Strafverfolgung, des Staatsanwaltes, der Polizei auf der einen Seite, und zweitens Sache der Schule, Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht, Aufklärung und so weiter, also wesentlich Aufgabe des Staates und staatlicher Einrichtungen. Dass die Zivilgesellschaft hier aktiv werden würde und könnte, hatte sich zwar in Demonstrationen gezeigt, schon vorher, das gab es ja auch vorher, aber eine breite bürgerschaftliche Bewegung gegen Rechts für Demokratie hatte es so nicht gegeben. Und die 90er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre sind Startpunkt für eine doch sehr stark zivilgesellschaftliche Orientierung in Deutschland, und das ist sicherlich eine gute Entwicklung.

Karkowsky: Welchen Anteil daran hatten denn die Menschen in Mölln? Es heißt ja vielfach, die seien vorbildlich auf die Brandanschläge in ihrer Stadt eingegangen, Mölln wurde geradezu Musterstadt im Kampf gegen Rechts. War diese Brandnacht vor 20 Jahren auch Geburtstag einer neuen Art von Zivilgesellschaft, die dann erstmals für die Belange anderer einstand?

Jaschke: Ich würde gerne hier einen Punkt hervorheben. Mölln, die Stadt und die Stadtverwaltung haben diese Anschläge ernstgenommen. Das verdient deswegen der Hervorhebung, weil viele Kommunen – denken Sie an Eberswalde nach der Wende – versucht … und viele andere auch, versucht haben, solche Dinge zu vertuschen, runterzuspielen, zu verdrängen, eben nicht ernst zu nehmen, weil viele Kommunen befürchten, sie würden dadurch Investoren verschrecken, sie würden dem Image der Stadt schaden und Ähnliches. Mölln hat diese Dinge sehr ernst genommen, und das allein verdient schon Anerkennung, mal abgesehen von einzelnen Aktionen, die sicherlich lobenswert sind. Dass man die Dinge ernst nimmt, ist ein wirklicher Fortschritt.

Karkowsky: Zum 20. Jahrestag der Brandanschläge von Mölln hören Sie den Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hans-Gerd Jaschke. Herr Jaschke, die "FAZ" hat gestern das Gerangel um die Hoheit über das Gedenken in Mölln thematisiert. Linke Gruppen würden es instrumentalisieren, sie würden auf Rassismus in Mölln aufmerksam machen – dabei seien Bürger der Stadt gar nicht bekannt für eine besonders rechte Gesinnung, im Gegenteil, wie wir gerade auch gesagt haben. Stimmt dieser Vorwurf einer Instrumentalisierung des Gedenkens?

Jaschke: Nun, natürlich gehen in solche Gedenkveranstaltungen immer auch politische Interessen ein, das kann man nicht verhindern, das würde ich nicht allzu hoch einschätzen. Ich denke, nach 20 Jahren ist es eine gute Sache, dass Mölln gedenkt, also zurückdenkt an die Vorfälle vor 20 Jahren, dass vor allen Dingen aus der Opferperspektive gedacht wird, das darf man nicht vergessen, dass es Opfer gegeben hat, türkische Opfer, und dass diese Opfer uns etwas zu sagen haben, auch heute nach 20 Jahren. Das verdient Respekt, das verdient Anerkennung. Ich denke, die Frage der Instrumentalisierung ist mir zu allgemein. Natürlich gehen auch politische Interessen in solche Veranstaltungen ein, das ist in der Demokratie eine völlig normale Sache.

Karkowsky: Nicht nur die Bürger haben reagiert, auch der Staat, der hat ja nach diesen Brandanschlägen eine ganze Reihe von staatlich geförderten Initiativen gegen Rechts unterstützt. Haben die in der Folge tatsächlich beigetragen zu einer abnehmenden Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?

Jaschke: Ich würde das bejahen. Es hat nach 1990 zunächst eine Reihe von Bundesprogrammen gegeben, XENOS zum Beispiel. Zunächst richteten sich diese Programme gegen Rechts, gegen Rechts heißt, es ist versucht worden, Bürger zu ermuntern, zu motivieren, Veranstaltungen gegen Rechts zu machen, Demonstrationen vor Ort gegen Rechts zu machen, Rechtsextremismus öffentlich zu machen vor Ort und so weiter. Später dann, so nach der Wende 2000, ging es sehr viel stärker darum, die Kommune zu stärken, als Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Kommune zu stärken vor dem Hintergrund des Gedankens: Wir dürfen nicht immer nur gegen etwas sein, sondern wir müssen für etwas sein, nämlich für die Demokratie in der Kommune vor Ort, Stärkung der Gemeinde als Programm. Ich finde diese Entwicklung richtig, ich finde sie lobenswert. Das hat geführt hin zu Konzeptionen wie etwa Tolerantes Brandenburg seit 1998, wo praktisch alle Landesbehörden, auch eine Reihe von großen Unternehmen sich verpflichten, gegen Rassismus vorzugehen, für Demokratie einzutreten, bis hin zu großen unternehmen wie etwa EKO Stahl, die in der Lehrlingsausbildung antirassistische Trainings machen. Das sind Folgewirkungen. Ich denke, diese Ansätze, die zivilgesellschaftlichen Ursprungs sind, sind richtig und sie ergänzen die staatlichen Initiativen über die Schule und über Repression.

Karkowsky: Und welche Rolle spielen dabei die Bilder, die von den Medien transportiert werden? Man hat ja gerade in der ersten Zeit aus Mölln vor allen Dingen auch immer wieder Mahnwachen gesehen, Menschenketten und Gedenkfeiern, die dann bundesweit ausgestrahlt wurden in den Fernsehnachrichten. Das war ja neu, das sind ja neue Bilder gewesen.

Jaschke: Wir müssen natürlich Bilder ganz, ganz hoch einschätzen. Aus der Sicht von rechts handelt es sich ja um Fanale, Feuer in der Dunkelheit, Fahnen, das sind Fanale, die wir vom Nationalsozialismus kennen. Diese Verweise tauchen auch heute wieder auf, in brennenden Asylbewerberheimen oder Anfang der 90er-Jahre. Aber man muss sagen: Die Gegenbewegung, die zivilgesellschaftliche Gegenbewegung produziert ja auch Bilder, Beispiel Rock gegen Rechts etwa, dauerhafte Bilder im Kontext von Jugendkultur, im Kontext von Massen, die aufstehen, also Zigtausende von Zuschauern, die dort mitmachen. Das prägt sich ein. Ich denke, dass gerade auch bei jungen Menschen solche Bilder sehr nachdrücklich wirken. Und sie wirken möglicherweise stärker als Argumente, das muss man einfach mal sagen. Wir sind in einer Mediengesellschaft, wo das Bild eine große Rolle spielt.

Karkowsky: Und wir haben auch eine neue Begrifflichkeit, nach Auffliegen der NS-Mordserie wird erstmals in Deutschland von rechtem Terrorismus gesprochen. Ist das Ihrer Ansicht nach ein hilfreiches Wort, um den Menschen verständlich zu machen: Diesen Tätern geht es nicht um die Opfer selbst, sondern um politischen Wandel auf Kosten der Opfer?

Jaschke: Ich würde hier nicht von Terrorismus sprechen und zwar deswegen nicht, weil ein ganz wesentliches Kriterium für den Terrorismus Öffentlichkeitsarbeit ist. Der linke Terrorismus, der islamistische Terrorismus, der ethnische Terrorismus der ERA etwa und der PKK waren immer darauf ausgerichtet, Öffentlichkeit herzustellen, Angst und Schrecken öffentlich einzujagen. Das war mit Bekennerschreiben. Das hat der NSU über zehn Jahre nicht gemacht, erst Frau Tschäpe hat ganz am Schluss, nachdem ihre beiden Mitstreiter schon tot waren, ein Video verbreitet. Und von daher wissen wir, dass es auch ein Stück weit Öffentlichkeitsarbeit gegeben hat ganz am Ende. Aber über zehn Jahre hat diese Gruppierung völlig im geheimen Bereich operiert, und das entspricht überhaupt nicht den Kriterien für Terrorismus. Es handelt sich um eine Terrorgruppe, ganz ohne Frage, um eine militante Gruppe mit einem radikalen Milieu und Umfeld, über das wir sehr wenig wissen oder noch sehr wenig wissen. Aber es hilft uns wenig, hier von Terrorismus zu sprechen.

Karkowsky: 20 Jahre nach den rechtsextremistischen Mordanschlägen von Mölln der Rechtsextremismusforscher Hans-Gerd Jaschke, er ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Herr Jaschke, besten Dank!

Jaschke: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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