In der Welt der Gerüche

Von Judith Kochendörfer · 27.11.2008
Wie im täglichen Leben wird auch im der Kunst der olfaktorische Sinn als wenig wichtig erachtet, zu wenig, meint die norwegische Chemikerin und Künstlerin Sissel Tolaas. Sie macht Kunst mit Gerüchen, stellt selbst Gerüche her, unterrichtet Kinder im "richtig riechen" und hält Vorlesungen über "unsichtbare Kommunikation".
"Toloos. AA ist so wie o in Norwegisch."

Sissel Tolaas sitzt am weißen Tisch in ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg, die gleichzeitig ihr Büro und ihr Labor ist. Hier wohnt sie mit ihrer zehnjährigen Tochter, hier arbeitet sie rund um die Uhr, forscht an Gerüchen, simuliert bestehende Gerüche und kreiert eigene.

"Man weiß, dass man ohne Sound und ohne Bilder sehr wohl überleben kann, aber ohne Luft geht gar nicht. Und was ist denn diese Luft? Ist das irgendwelches abstraktes, unsichtbares Zeug, was in der Atmosphäre rumfliegt, oder beinhaltet das was, was man nicht sieht?"

"Der Status des Geruchs ist in unserer Gesellschaft absolut unterbewertet, er existiert kaum, und alles, was mit diesem Thema zu tun hat, ist irgendwie 'bad' und verursacht Allergie und Kopfschmerzen usw. – also, sorry! Vielleicht sollte man die Nase ein bisschen ernster nehmen. Was passiert, wenn man die Umgebung durch die Nase durchgehen lässt, dann bleibt auch einiges übrig! Und dieses bleibt dann in deinem System gelagert für lange Zeit!"

Sissel Tolaas ist 47 Jahre alt und lebt seit rund zehn Jahren in der Welt der Gerüche. Ihre Regale sind vollgepackt mit Fläschchen und Döschen, auf dem Tisch steht eine Schale mit Papierstreifen, wie sie in Parfümerien zum Ausprobieren der Düfte verwendet werden. Sissel Tolaas trägt Jeans und weiße Bluse, sie ist groß, blond und braungebrannt, eine typische Skandinavierin eben, der ihr Land zu klein geworden ist und die heute zwischen New York und Berlin pendelt. Studiert hat sie Biochemie, Kunst und Linguistik, in Warschau, Moskau, Oxford und Princeton.

Als älteste von sechs Schwestern ist Sissel Tolaas an der Westküste von Norwegen aufgewachsen. Fast ihre gesamte Familie ist, wie sie sagt, im "Öl-Business".

"Die verstehen überhaupt nicht, was ich mache. Aber das ist besser so. Ich bin das schwarze Schaf in einer blonden Familie. Irgendjemand muss diesen Job nehmen, oder?"

Was Sissel Tolaas immer interessiert hat, war, das Unsichtbare sichtbar zu machen. In ihren Kunstprojekten versucht sie, den Geruch zu visualisieren durch Medien, durch Sprache, Bilder, Texte.

"Teilweise verpacke ich die Gerüche in Flakons. Ein Berlin-Projekt, Nord-Süd-Ost-West-Berlin ist präsentiert in einem Flakon, der aussieht wie ein Kompass. Und dort drin kannst du dann Reinickendorf, Charlottenburg, Neukölln und Mitte riechen."

"Tatsache ist, wir können bis zu 10.000 Gerüche speichern und wir haben nur zwei Wörter, das zu kommunizieren: das riecht gut und das riecht schlecht ..."

Wörter, Begriffe für Gerüche zu finden, das sieht Sissel Tolaas als eine ihrer Hauptaufgaben an. Bevorzugt arbeitet sie dabei mit Kindern, weil diese unvorbelasteter, fantasievoller und neugieriger sind als Erwachsene. Sie macht Geruchs-Workshops an Schulen und lässt die Kinder dort beschreiben, wie ihr Zuhause oder ihr Schulweg riecht.

"Alles, was mit Toleranz anfängt, fängt mit der Nase an. Wenn du eine Situation nicht ertragen kannst durch den Geruch, dann kannst du auch vergessen, sie anders zu ertragen. Wir wissen, dass das erste, was in Gang gesetzt wird, wenn wir in eine neue Situation kommen, ist die Nase. Und diesen Fakt soll man auch ein bisschen unter die Lupe nehmen und sagen: warum hat man Vorurteile, warum schaltet man aus, wenn man die Situation an der Person nicht geruchsmäßig ertragen kann. "

Experimentier- und spielfreudig, wie Sissel Tolaas ist, sammelt sie Gerüche von Öl, Holz oder Essen ebenso wie fremde Körpergerüche und benetzt sich damit auch selbst – statt mit Parfum. Für einen Konzertabend trug sie einst den Angstschweiß eines Phobikers auf und beobachtete die Reaktionen ihrer Sitznachbarn.

" Bei Frauen konnte man sofort Verurteilung riechen. Männer dagegen fanden das sehr interessant und sexy, Identität und Integrity und so."

Geruchswahrnehmung ist sehr individuell, unterbewusst und emotional. Diese emotionale Ebene, diese Einteilung in Gestank und Wohlgeruch kann Sissel Tolaas durch hartes Training mittlerweile erfolgreich ausschalten. Sie denkt in Gerüchen. Sie könnte Geschichten erzählen mit Gerüchen, ohne Bilder.

"So wie wir lernen, Auge und Ohr zu benutzen, sollte man auch lernen, eine Nasen-Ausbildung zu haben. Und wenn ich noch eine Weile dabei bin, kann ich vielleicht beeinflussen, dass das irgendwann auch passiert, dass es in Grundschulen Fächer gibt, wo es um die Nase geht. Für welchen Zweck kann man die Nase einsetzen, außer, um am Leben zu bleiben."