In der Tradition von Sigmund Freud

Rezension von Ulfried Geuter · 21.10.2005
Robert Akeret ist Psychotherapeut. Er behandelt Patienten in der Regel so lange, bis es ihnen gelingt, wieder alleine zurechtzukommen. Doch weil er wissen wollte, wie die Geschichten weitergingen, besuchte er fünf ehemalige Patienten. Wie die Krankengeschichten weitergingen, erzählt er in seinem Buch "Eine Couch auf Reisen".
Fünf Geschichten in der besten Tradition von Sigmund Freud, der die Krankengeschichte zur literarischen Form der Novelle entwickelte. Von Naomi, der Studentin, die ihr Leben im College hasst, ihre Mutter verachtet und glaubt, in die falsche Familie geboren worden zu sein; deren Lebensdrang und erotische Ausstrahlung als Kind und Jugendliche von ihrer Mutter gefesselt wurden; die aufreizend ins Büro der Beratungsstelle einer Universität kommt; die tanzen will und von der Idee beherrscht ist, eine spanische Contessa zu sein, schließlich nach Mexico geht, um Tanz zu lernen.

Akeret trifft sie nach vielen Jahren wieder. Da heißt sie Isabella, war Flamenco-Star in Sevilla gewesen, danach Leiterin einer Tanzschule in den USA und betreibt in Florida einen Pudelsalon. Der Therapeut ist von ihr beeindruckt. Während der Therapie hatte er darüber nachgedacht, ob sie an einem Wahn leide, an einer Störung, bei der sich ein Mensch als zwei oder mehrere Personen begreift. Doch Isabella vermittelt ihm, wie sehr sie es genoss, mehrere Leben in eins zu bringen.

Akeret erzählt die Geschichten seiner Patienten mit ansteckender Leidenschaft für seine therapeutische Aufgabe und teilweise geradezu spannend. Es gelingt ihm, die Erzählung ihrer Lebensgeschichte, frühere therapeutische Dialoge, von denen er Tonaufnahmen zu haben scheint, seine heutigen Eindrücke von diesen Menschen und seine eigenen Gefühle auf der Reise zu in sich geschlossenen Geschichten zu verknüpfen.

Nicht alle fünf sind dabei Erfolgsgeschichten. Mindestens zwei sind tragisch. Eine ist die des narzisstischen Schriftstellers Sasha, der seine Unfähigkeit, Nähe zu einem Menschen zu leben, nicht verlor. Akeret ist bestürzt, als er ihn trifft. Er jagte auch nach der Therapie der Hitze des sexuellen Rauschs nach und wurde ein einsamer alter Mann. Aber er schaffte es, durch die Therapie seine Schreibblockade zu lösen und großartige Romane zu schreiben, indem er das, was ihn zu zerreißen schien, als Quelle seiner literarischen Produktionen nutzte.

Auch Akeret, der Psychoanalytiker, hat die Qualen der Seele als Quelle der Literatur genutzt. Aus den Qualen seiner Patienten und seinen inneren Skrupeln, ob er denn gute Arbeit geleistet hat, ist sein Buch entstanden. Das Leiden ist der Stoff, um gute Geschichten zu erzählen, die kurzweilig und doch tiefsinnig zu lesen sind.

Man liest sie auch deswegen gern, weil Akeret ein kreativer Psychotherapeut ist, der sich nicht an starre Regeln seiner psychoanalytischen Zunft hält. Er lässt Isabella in seiner Praxis tanzen, und mit jedem Patienten arbeitet er auf eine Art, die auf diese Person zugeschnitten ist.

Seine Geschichten nutzen die Neugier des Lesers am Außergewöhnlichen, sie befriedigen das Bedürfnis, wenigstens in der Phantasie in Lebensbereiche zu schauen, die man sonst vielleicht nicht sieht, aber in der Literatur mit ruhigem Abstand sehen kann. Sie vervollständigen Lebensgeschichten, die ungewöhnlich sind und deren Fortgang man gerne erfährt. Aber das Ende erfährt man auch so nicht, weil die Romane des Lebens erst mit dem Tod zu Ende gehen.

Robert Akeret: Eine Couch auf Reisen
Ein Psychoanalytiker trifft ehemalige Patienten ein halbes Leben später
Aus dem Amerikanischen von Antje Becker
Gießen: Psychosozial-Verlag 2005
245 Seiten. 22,90 Euro