In der Gnade des Glaubens gestorben

Von Adolf Stock · 23.02.2013
Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 werden die Gedenkstätten in Eisleben gründlich überarbeitet. Den Anfang machte Luthers Geburtshaus, nun folgte sein Sterbehaus. "Luthers letzter Weg" heißt die neue Dauerausstellung.
Ende Januar 1546. Es ist bitterkalt und das Reisen ist beschwerlich. Trotzdem nimmt Martin Luther den Weg von Wittenberg nach Eisleben auf sich. Er fühlte sich den Mansfelder Landesherren verbunden, und er wollte helfen, Erbstreitigkeiten der Grafen zu schlichten. Außerdem war Eisleben für den Reformator persönlich weit wichtiger als das benachbarte Wittenberg, wie Stefan Rhein, Leiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, erzählt:

"Luther hat sich immer als Eisleber gefühlt. Er ist nie in Wittenberg heimisch geworden. Hier ist er geboren, hier ist er getauft, hier war er loyal zu seinem Landesherren. Er hat immer das Mansfeldische Essen genossen, hier ist der Wein rein, während in Wittenberg ist er verpanscht, also: Luther ist Mansfelder, Luther ist Eisleber."

In Luthers Sterbehaus wird an den Tod des Reformators erinnert, aber man weiß heute, dass er dort gar nicht gestorben ist. Seine tödliche Herzattacke traf ihn gut 100 Meter entfernt, in einem Haus am Markt, das inzwischen mehrfach umgebaut wurde.

Als Luther starb, steckte der protestantische Glaube noch (tief) in den Kinderschuhen. Viele Christen waren es gewohnt, Schutz und Trost bei Heiligen zu suchen und Reliquien zu verehren. Nach Luthers Tod wurden Splitter aus seinem Sterbebett gebrochen, sie sollten unter anderem gut gegen Zahnschmerzen sein. Aus dem kleinen Mönch Luther war unter der Hand der "Heilige Martin" geworden. Das wollten die protestantischen Sachwalter nicht dulden und verbrannten kurzerhand das Bett. Erst zwei Jahrhunderte später wurde Luthers Sterben erneut zum Thema.

Stefan Rhein: "Man hat einen Nürnberger Kunstprofessor geholt, Herrn Wanderer, der auf der Grundlage der Sterbeberichte die Räume entsprechend inszenierte. Also man hat die historische Quelle des Jahres 1546 genommen und in ein tatsächlich auch spätmittelalterliches Häuschen diese Räume so zugerichtet, dass sie passen. Man hat ein Haus passend gemacht zu den historischen Augenzeugenberichten. Das ist quasi die erste Luther-Gedenkstätte, ein Ort, an dem man sich erinnert."
Die historistischen Bühnenarbeiter hatten ganze Arbeit geleistet. Spätgotische Möbel, alles reinste Fantasie. Im Jahre 2012 wurden die Sterbekammern sorgsam restauriert. Der Zustand von 1907 wurde wiederhergestellt. Damals war man den Historismus schon ziemlich leid und hatte die Stuben gründlich entrümpelt. Jetzt wird in Eisleben gezeigt, wie man sich um 1900 an Luther erinnern wollte, samt dem Bahrtuch von Luthers Sarg, das wie eine Reliquie in einem klobigen Holzschrein liegt.

Aktuell wurde das Sterbehaus durch einen Neubau des Stuttgarter Büros "Von M Architekten" ergänzt. Ein kleines Museumsquartier ist entstanden, das auch eine städtebauliche Wunde heilt, in einer Stadt, in der es noch viele Brachen und zerfallene Häuser gibt. Architekt Matthias Siegert blickt stolz auf das Ergebnis:

"Das Luther-Sterbehaus, das ist immer noch ein sehr respektvolles Gebäude, erzählt eine große Geschichte, da war es für uns auch relativ klar, wir wollen mit so einer Bausubstanz auch behutsam nur andocken. Was dem Gebäude hier fehlt, ist eben der einheitliche Rundgang, den haben wir geschaffen, indem dass wir unseren Neubau hinten angesetzt haben und der die Aufgabe auch übernehmen kann."

Es gibt also viel Platz für die neu konzipierte Ausstellung "Luthers letzter Weg". Kurator Jochen Birkenmeier sitzt im Sterbezimmer auf einer historischen Ledercouch:

"Wir wollen von der Ausstellung zeitgenössisch sein. Wir wollen nicht versuchen, irgendwas zu historisieren, wir stellen zwar die Inszenierung des 19. Jahrhunderts wieder dar, aber wir bleiben in unserem Jahrhundert, in unserer Zeit, auch in unserer Ästhetik. Wir wollen ja eine Ausstellung für heute machen und auch für Menschen, die etwas jünger sind, die vielleicht mit Luther gar nicht so viel zu tun haben, damit die auch animiert sind, sich mal mit dem Thema zu beschäftigen."

Ein vorlautes Mac-Design schiebt sich durch die Räume. Ein Heimspiel für Tablet- Benutzer, aber die echten und die vorgetäuschten iPad-Flächen beschädigen die Aura der Kunstwerke, die in schwarzen Gucklochfenstern gnadenlos versinken. Zeitgeist-Ästhetik: Vom Sterbehaus zum AppleStore. Rund 100 Originale werden gezeigt und inszeniert:

"Musik - Eine Installation über die vier letzten Dinge: der eigene Tod, das Jüngste Gericht, Himmel und Hölle …"

Ein Christkind aus Lindenholz wird einem geschnitzten Teufel gegenübergestellt, es gibt kolorierte Holzschnitte, wertvolle Chroniken und prächtige Tafelbilder.

Für gläubige Katholiken war der Reformator reinstes Teufelswerk, doch er selbst kannte sich mit dem Teufel gut aus und konnte ihm Paroli bieten. Luthers Freund Justus Jonas bezeugt, dass er mit festem Blick auf das Kreuz gestorben ist, im Angesicht des Herrn Jesus Christus, sagt Stefan Rhein:

"Das Individuum vor seinem Schöpfer, das ist die Beziehung, die auch in dieser letzten Stunde des Lebens zu tragen hat. Das ist ganz eindrucksvoll, wie Luther ringt, auch Todesängste hat, aber im ständigen Gebet um einen gnädigen Gott bittet und auch in der Gnade seines Glaubens stirbt. Ohne Heilige, aber in einer ganz engen und tiefen Christusbeziehung. Das macht dieses Sterben anders als das Sterben des mittelalterlichen katholischen Christen."

Man versteht den protestantischen Tod. Kleine Videofilme stellen aktuelle Bezüge her. Eine Unfallärztin und ein Bestatter kommen zu Wort, und Friedrich Schorlemmer spricht über seine Beziehung zu Luther:

"Und er spricht auch zu mir in seiner wunderbaren Poesie und in seiner Derbheit: Iss was gar ist, trink was klar ist, sag was wahr ist."

Es ist eine Ausstellung jenseits der protestantischen Textkultur, das soll auch so sein, und Stefan Rhein hofft, dass Luthers Tod auch helfen kann, über den eigenen Tod nachzudenken:

"Für den mittelalterlichen und auch reformatorischen Menschen war der plötzliche Tod etwas ganz Entsetzliches: Man bereitet sich auf den Tod vor. Für den heutigen Menschen gibt es nichts Besseres als plötzlich zu sterben. Das heißt also, Todesvorstellungen sind ganz unterschiedlich. Und sich damit auseinanderzusetzen, dass vielleicht dieser mittelalterliche und auch reformatorische Weg, sich vorzubereiten, sich wirklich auch über sich Gedanken zu machen, vielleicht der sehr viel menschlichere Weg sein kann. Auch diese Frage will die Ausstellung stellen, und wir würden uns sehr wünschen, dass Luthers letzter Weg vielleicht auch ein Weg des Besuchers zu sich selbst ist."

Informationen zur Lutherstadt Eisleben
Das Luther-Denkmal auf dem Marktplatz in Wittenberg, Sachsen-Anhalt.
Luther-Denkmal in Wittenberg© AP
Die St. Andreaskirche in der Lutherstadt Eisleben
Die St. Andreaskirche in Eisleben© Bildarchiv Stiftung Luthergedenkstätte in Sachsen-Anhalt
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