Samstag, 20. April 2024

Archiv

Ukraine
"Jetzt wartet er auf mich"

Am 29. Mai sollte Sergej Kultschitzki zusammen mit seinen Männern aus dem Kampfgebiet ausgeflogen werden. Dann wurde der Helikopter abgeschossen. Der Generalmajor ist der ranghöchste unter den bislang 200 Soldaten, die im Osten der Ukraine getötet wurden. Seine Witwe ist stolz auf ihn.

Von Sabine Adler | 02.07.2014
    Soldaten tragen auf einem Trauerzug durch Lemberg den Sarg und ein Porträt des am 29. Mai bei einem Hubschrauber-Abschuss getöteten Generalmajor Sergej Kultschitzki
    Der Trauerzug für General Sergej Kultschitzki am 31. Mai in Lemberg. (AFP PHOTO / YURIY DYACHYSHYN)
    Nadjeschda Bogdanowa steht in ihrem Wohnzimmer in Lemberg, auf dem Boden verstreut liegen an die zehn Reisetaschen. Alles Sachen ihres Mannes. Sie muss sie aussortieren, doch sie kommt nicht weit. "Hier die Uhr, die habe ich ihm geschenkt, als er zum General ernannt wurde, voriges Jahr. Ich dachte, er hat sie beim Absturz getragen, aber nein sie ist wie neu."
    Ihr Mann, Sergej Kultschitzki ist der bislang ranghöchste unter den fast über 200 Gefallenen ukrainischen Soldaten. Generalmajor. "Unser Land hat seine Verdienste anerkannt. Ihm wurde die Ehrung.'Held der Ukraine' verliehen. Mein Sohn und ich haben sie in Kiew von Präsident Poroschenko überreicht bekommen. Poroschenko hat das sehr würdig gemacht, er ist ein angenehmer, ausgeglichener und ruhiger Mensch. Warmherzig. Es hat mir gefallen."
    Am 29. Mai sollte General Sergej Kultschitzki zusammen mit seinen Männern aus dem Kampfgebiet ausgeflogen werden, Ersatz war gekommen. "Die nächste Schicht war dran. Dort war kein Hinkommen, nur mit dem Hubschrauber. Als der Helikopter abhob, aufsteigen wollte, wurde er beschossen. Zwölf Mann waren tot, 13 auch der Pilot konnten sich retten. Das geschah bei Slawiansk."
    Die Witwe sitzt auf dem Sofa inmitten von Fotoalben, erzählt von ihrer beider Armee-Karriere, die in der Sowjetunion begann. "Ich gehe jeden Tag zum Friedhof, ich habe mir das vorgenommen bis zum 40. Tag nach seinem Tod. Er war ständig auf Dienstreisen, ich habe oft auf ihn gewartet. Jetzt wartet er und ich werde zu ihm eilen, wann immer ich kann."
    Sie will, dass alles wieder so wird wie vor den Maidan-Demonstrationen
    Dass für die Ukraine einmal Gefahr aus Russland droht, hätten sie nie für möglich gehalten. Trotz ihrer Vergangenheit in der sowjetischen Armee fühlten sie sich als Ukrainer. "Er war ein Patriot, der um ihre Einheit der Ukraine kämpft, dafür, dass sie als Ganzes erhalten bleibt."
    Erst mit der Nachricht von seinem Tod erfuhr sie, dass er überhaupt im Donbass gekämpft hat. "Er sagte nicht, dass er dort ist, sondern dass er in Dneptrpetrowsk auf seinen Einsatz wartet. Ich glaubte ihm, denn der Mensch glaubt, was er glauben will. Aber er war von Anfang an dort, beschwor alle, mir nichts zu erzählen, dass ich mir nicht die ganze Zeit Sorgen mache."
    Die 50-Jährige weiß aus den Nachrichten, dass Präsident Poroschenko die Feuerpause beendet hat, es berührt sie nicht, sie will, dass alles aufhört und wieder so wird wie vor den Maidan-Demonstrationen, die ihr unheimlich erschienen, vor der Krim-Annexion, vor dem Krieg. Doch sie weiß wie unrealistisch das klingt. "Ich bin Psychologin. Bislang habe ich andere beraten, wie man einen solchen Verlust überwindet. Das war die Theorie, jetzt kommt die Praxis. Ich habe nicht das Recht, jetzt zusammenzuklappen oder einen Herzinfarkt zu kriegen. Ich muss jetzt so auftreten, wie es seiner würdig ist, wie ein General Haltung bewahren, sich heldenhaft verhalten."
    Das Reden hilft, die Tränen auch, nur einmal wird sie bitter. "Das einzige Bild, das ihn als General zeigt ist das mit seinem Enkel. Ich wollte immer mit ihm zusammen in seiner neuen Uniform fotografiert werden. Wir haben es einfach nicht geschafft, immer gesagt: später."