In den Mühlen des Anti-Terrorkampfes

20.04.2007
Sein Fall beschäftigt bis heute die Bundespolitik. Für die einen war Murat Kurnaz der "Bremer Taliban". Für andere ein unschuldiges Folteropfer im Kampf gegen den Terror. Der 24-jährige, in Bremen geborene Türke kehrte nach fünf Jahren Haft aus dem amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo zurück nach Deutschland. Kurnaz hat nun seine Geschichte aufgeschrieben: "Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo."
Er sieht aus, wie man sich früher Rübezahl vorstellte. Zotteliges, langes Haar und ein wallender Bart umrahmen das Gesicht eines 24-Jährigen, der älter ausschaut. Das Unzivilisierte, nicht Einschätzbare scheint Murat Kurnaz zu verkörpern. Widerständig wirkt er, verbohrt, verschlossen. Ein Sympathieträger ist er nicht, wenn man ihn so ansieht.

Einen anderen Blick auf Kurnaz aber ermöglicht sein Buch. "Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo". Es vermittelt sein Innenleben. Gedanken und Gefühle - Gründe, warum einer so aussieht wie er. Der von Medien und Sicherheitsbehörden zum "Bremer Taliban" stilisierte Deutschtürke wird als Mensch begreifbar. Als selbstbewusster Kampfsportler, gläubiger Moslem und naiver Abenteurer. Als Folteropfer, leidende Kreatur, als Spielball der Weltpolitik.

Eine Autobiografie kann man das Buch nicht nennen. Kurnaz hat es mit Helmut Kuhn verfasst, einem erfahrenen Journalisten und Autor, der vom Rowohlt Verlag als Ghostwriter verpflichtet wurde. Im September des vergangenen Jahres begann Kuhn, Interviews mit Kurnaz zu führen. Immer wieder trafen sich die beiden für sechs, acht oder zehn Tage. Kurnaz erzählte dabei chronologisch seine Geschichte von 2001 bis 2006. Entsprechend ist das Buch aufgebaut. Kuhn fragte nach, ließ sich Details erklären. "Murat, Du musst Dir vorstellen, ich bin ein Blinder, dem Du einen Kinofilm beschreibst", forderte er ihn auf. Kurnaz’ Schilderungen sind äußerst präzise und Kuhn schreibt gut, fast zu gut. Ungereimtheiten, die Kurnaz einst als gewaltbereiten Islamisten erscheinen ließen, werden schlüssig wegerklärt. Ein subjektiver Erlebnisbericht ist das, kein kritisches Sachbuch zum Fall Kurnaz.

Andererseits hat der "Bericht aus Guantanamo" dank Helmut Kuhn literarische Qualität. An "Das Totenschiff" von B. Traven habe ihn Kurnaz’ Geschichte erinnert, erwähnt er. Man darf in Kuhn mit einigem Recht den Autor, in Kurnaz den Stofflieferanten vermuten.

Der Vergleich mit dem "Totenschiff" ist nicht weit hergeholt. "So tief kann kein Mensch sinken, als dass er nicht immer noch tiefen sinken könnte, so Schweres kann kein Mensch erdulden, als dass er nicht noch Schwereres ertragen könnte" - heißt es im Roman. Und genau das ist auch die Quintessenz von Murat Kurnaz’ Leben zwischen 2001 und 2006.

Kurnaz wuchs als Türke in Bremen auf. Machte seinen Hauptschulabschluss, bildete sich als Kampfsportler aus, arbeitete als Türsteher. Er hatte Freundinnen, trug Markenanzüge und ging gerne in Discos. Machte eine Lehre als Schiffsbauer. Dann wendet er sich plötzlich der Religion zu. Im Sommer des Jahres 2001 heiratete er in der Türkei, zu Weihnachten erwartete er den Umzug seiner religiösen Ehefrau nach Bremen. Bevor sie eintrifft will der 19-Jährige noch schnell seine Korankenntnisse erweitern. Er reist im Oktober von Frankfurt aus nach Pakistan. Als er acht Wochen später von dort aus nach Deutschland zurück fliegen will, wird Murat Kurnaz festgenommen. Sein Leidensweg beginnt. Die pakistanische Polizei verkauft ihn als Terroristen an die Amerikaner. Die internieren ihn in einem Lager in Afghanistan. Im Februar 2002 wird Kurnaz nach Guantanamo gebracht. Erst im August 2006 kann er nach Bremen zurückkehren.

Staunend schildert Kurnaz, wie er in die Mühlen des internationalen Anti-Terrorkampfes gerät. Er versteht nicht, warum er verdächtigt wird, ein "feindlicher Kämpfer" zu sein. Ohne hinreichende Sprachkenntnisse ist er Willkür und Brutalität seiner Bewacher völlig ausgeliefert. Kurnaz beschreibt die Verhörmethoden der Amerikaner. Plastisch schildert er die Verhältnisse in Guantanamo. Sie sind an Drastik kaum zu überbieten. Dennoch ist der Ton der Schilderungen ausgesprochen ruhig. Keine Anklagen, keine Larmoyanz. Kurnaz verlangt kein Verständnis, wo es keines geben kann. Er schildert Fakten. Wie gefoltert wurde, wie häufig, wie lange. Er beschreibt den Tagesablauf in den Gefangenlagern, die Kontakte zu Mithäftlingen und Wärtern.

Von Momenten der Wut und des Aufbegehrens ist die Rede, vom Fatalismus, aber auch von Witz und Widerstand der Gefangenen. Von der Kraft spendenden Bedeutung ihres Glaubens. Kurnaz verdeutlicht, wie Menschen systematisch dehumanisiert wurden. Wie ängstlich und dumm das amerikanische Wachpersonal ist, auch, wie sich einige der Wärter bei den Gefangenen für das entschuldigen, was sie ihnen antun. Das Buch ist keine pauschale Verurteilung Amerikas oder deutschen Behörden, die allzu lange nichts für einen Befreiung von Murat Kurnaz unternommen haben. Es ist aus der Innenperspektive eines Menschen geschrieben, der jahrelang keinen Kontakt zur Welt hatte. Der jenseits aller zivilisierten Verhaltensnormen gerade einmal am Leben erhalten wurde. "Ich weiß, dass ich mit meinem Bart und den langen Haaren auffalle", sagt er in seinem Buch. "Aber ich mag meinen Bart. Diesen Bart wachsen zu lassen, war die einzige Freiheit, die ich in Guantanamo hatte."

Rezensiert von Carsten Hueck

Murat Kurnaz mit Helmut Kuhn: Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo
Rowohlt Berlin, Berlin, 2007
285 Seiten, 16,90 Euro