In den Fußstapfen von Marlene Dietrich

Von Georg Hirsch · 04.07.2013
Sie bekennt sich als Liebhaberin von Querulanten, Verlierern und Außenseitern, und sie legt sich ins Zeug, um ihren Gefühlen auf der Bühne Luft zu machen: Ute Lemper, tanzende Chanson- und Jazz-Sängerin, feiert ihren 50. Geburtstag. "Die Lemper" ist eine vielseitige Künstlerin, aber im Kern ist sie sich immer treu geblieben.
Auf der Bühne steht Ute Lemper der berühmten französischen Chansonette Edith Piaf in nichts nach. Paradestücke der Piaf wie "Milord" gehören ebenso zu Lempers Repertoire wie Lieder von Marlene Dietrich, deren Rolle sie 1992 in dem Musical "Der Blaue Engel" spielen durfte. Schon drei Jahre davor hatte die legendäre Schauspielerin, damals Ende 80, ihre aufstrebende junge Kollegin ausfindig gemacht und zu deren größter Überraschung von Paris aus angerufen, um sich für einen netten Brief von Ute Lemper zu bedanken. Lemper war da gerade in einem Hotel in Frankfurt.

"Erst hab‘ ich gedacht, das kann ja gar nicht sein, da hab‘ ich eine Nachricht, "ja, Marlene Dietrich hat für Sie angerufen" vom Rezeptionisten, und ich dachte, "das gibt’s ja gar nicht, ist doch Quatsch," und dann kam ich aufs Zimmer, dann hat das Telefon wieder geklingelt, und da war sie wirklich an der Strippe. Und dann haben wir also zwei Stunden gesprochen, und dann hatte sie nochmal zurückgerufen. Und es war doch überwältigend und unfassbar, dass sie also sich die Zeit genommen hatte damals für mich."

Blonde Haare, rotes Gewand – lasziv räkelt sich die Lemper auf der Bühne, wenn sie sich wieder einmal in der Rolle des Sexsymbols des frühen 20. Jahrhunderts wiederfindet. Ganz anders tritt sie in Erscheinung, wenn sie in ihrer Penthouse-Wohnung in Manhattan einen Journalisten zum Interview empfängt. Das Wohnzimmer ist hell und freundlich, und Lemper sitzt, bequem und leger gekleidet, auf einem großen Sofa. Sie spricht lebhaft, und es scheint ihr Spaß zu machen, über ihr Leben zu reflektieren, aber sie wirkt dabei ganz ruhig und entspannt. "Das Teufelsweib mit nicht enden wollenden Beinen" ist sie schon in der Presse genannt worden – aber eigentlich kann Lemper mit solchen Komplimenten gar nichts anfangen.

"Ja, es ist nervig, weil es hat gar nichts damit zu tun, was mich interessiert. Natürlich habe ich hier mein Instrument und meine Körperlichkeit und meine Ästhetik, mit der ich auch arbeite auf der Bühne, aber es geht um was ganz anderes, es geht um was viel Tieferes als diese stereotypisierten Äußerlichkeiten."

Ihre kreative Seite lebt die extrovertierte Lemper auch gerne zu Hause und alleine aus. Sie malt, und sie schreibt ihre eigene Musik.

"Also, ich sitze am Klavier, suche mir wunderbare Akkorde aus und entwickele Melodien dazu, und das ist also meine Art von komponieren. Das ist eine sehr direkte Art und Weise, aber ich kann sagen, ich habe ein exzellentes Gehör, und ein exzellentes Gefühl für Melodien-Entwicklungen, auf Akkorden basiert."

"September Mourn” – dieser Song von Ute Lemper beschäftigt sich mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Der Titel ist sinnigerweise der elfte Cut auf ihrer CD "Between Yesterday and Tomorrow" – zwischen gestern und morgen. Ute Lemper ist die Künstlerin in der Familie. Beide Eltern bezeichnet sie zwar als musikalisch, doch weder Mutter noch Vater wagten es, ihre Neigungen zum Beruf zu machen.

"Mein Vater hat fünf Instrumente gespielt, hatte immer kreative - Lieder schreiben, usw., hat also wirklich Musik geliebt, meine Mutter hat ja auch Oper gesungen, aber beide waren damals natürlich, also Fünfziger Jahre, Deutschland, hatten keinen künstlerischen Job, das wäre ja verrucht gewesen, also beide hatten einen anständigen Job an der Bank, aber beide sind sehr musikalisch würde ich sagen."

Lemper wuchs in Münster auf, wurde katholisch erzogen, rebellierte als Teenager und sang mit 15 in einer Rockband. Heute ist sie Wahl-New-Yorkerin und selbst vierfache Mutter. Die beiden jüngsten Söhne, Jahrgang 2005 und 2011, stammen aus ihrer zweiten Ehe mit dem Drummer Todd Turkisher. Die beiden ältesten Kinder, ein Junge und ein Mädchen, sind schon fast erwachsen, aber eine Musikerkarriere zeichnet sich nicht ab. Im Gegenteil – Tochter Stella will vielleicht Juristin werden. Ist das eine bürgerliche Gegenrevolution? Nicht unbedingt.

"Sie kann ja auch eine ganz kreative, revolutionäre, rebellische Anwältin sein. Es kommt darauf an, wen sie vertreten möchte, also sie ist auf keinen Fall konservativen im Kopf. Sie ist eine ganz emanzipierte, starke junge Dame, die also Ihre Meinung ausspricht, und sie ist ein Hillary Clinton Fan, also die hat auf jeden Fall ist sie ein Freidenker, eine ganz liberale, junge, starke Dame."

In der Ballade vom Wasserrad von Hanns Eisler und Berthold Brecht geht es um den Sturz der Mächtigen, und das Lied mit dem widerborstigen Text scheint genau der Natur von Ute Lemper zu entsprechen.

"Wenn es so ein Gefühl gibt, so ein "gut feeling", wie die das hier in Amerika sagen, dann muss man dem mal zuhören und bloß nicht auf der Routine sitzen bleiben und Angst haben und dies und das nicht machen, was denken denn die andern Leute, diese Geschichten im deutschen Kopf, was ist denn, was denken denn die anderen von mir, wenn ich jetzt das mache und das sage und so aussehe, das muss man alles ganz weit weg drücken und dann auf jeden Fall immer neugierig bleiben und Abenteuer eingehen."
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