Impfungen gegen Covid-19

"Es gibt keine Vollkasko-Versicherung in der Coronakrise"

05:33 Minuten
Eine Mitarbeiterin des Westpfalz-Klinikums in Rheinland Pfalz wird geimpft
Seit Ende Dezember wächst die Kritik, die Impfungen liefen zu schleppend an. © picture-alliance/dpa/Oliver Dietze
Ulrike Herrmann im Gespräch mit Julius Stucke  · 02.01.2021
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Vorwürfen wegen angeblich zu langsamer Corona-Impfungen widerspricht die taz-Journalistin Ulrike Herrmann. Nationale Wettrennen würden da nicht helfen, sondern es sei Geduld angesagt.
Seit in Deutschland gegen Covid-19 geimpft wird, hagelt es Kritik. Die Bundesregierung habe zu wenig Impfstoff geordert und die Impfungen liefen zu langsam, lauten die Vorwürfe.
"Es gibt weltweit nicht genug Impfstoff, um ad hoc alle Menschen auf dieser Welt zu impfen", sagt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Das sei ein komplizierter Prozess, bei dem der Aufbau von Produktionsstätten sich noch hinziehe. "Es wird bis zum Sommer dauern, bis die meisten Deutschen geimpft sind, das ist leider so."
Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann 
Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann warnt vor überzogenen Erwartungen. Die Corona-Impfstoffe seien weltweit knapp. © picture-alliance/Flashpic/Sven Simon
An dieser Knappheit des Impfstoffs ändere sich auch durch "nationale Wettrennen" nichts. "Wenn einzelne Länder versuchen, sich mehr Impfstoff zu sichern, dann haben andere weniger." Man müsse Geduld haben.

Ungerechte Perspektive

Herrmann erinnerte daran, dass die EU auf viele Anbieter gesetzt habe. Insgesamt seien derzeit 170 Impfstoffe weltweit in der Entwicklung. Im Sommer sei noch nicht absehbar gewesen, dass ausgerechnet Biontech/Pfizer das Unternehmen sein werde, das den Impfstoff zuerst bereit stellt. "Stattdessen hat man in der EU breit eingekauft und auch auf andere Impfstoffe gesetzt."
Sie könne auch im Rückblick nicht finden, dass das falsch gewesen sei. "Ist natürlich immer klar, dass man hinterher schlauer ist als vorher, aber das ist auch so ein bisschen ungerecht als Perspektive."

Zu dem Vergleich mit dem angeblich schnelleren Israel sagt die taz-Journalistin, die dortige Regierung habe auf Biontech/Pfizer gesetzt. "Das hat sich hinterher als richtig herausgestellt." Außerdem sei das Land mit seinen neun Millionen Einwohnern sehr viel kleiner. "Da kann man eben auch, wenn man Glück hat, mal eben schnell die ganze Bevölkerung durchimpfen."


Die EU habe dagegen alle 440 Millionen Einwohner gleichmäßig berücksichtigen wollen. "Und zwar ausdrücklich nicht nach dem Reichtum des einzelnen Landes, sondern alle sollten proportional zu ihrer Bevölkerung den gleichen Impfstoff bekommen." Deshalb habe man sich breit aufgestellt und alles, was man habe, werde breit verteilt. "Das kann man nicht falsch finden, finde ich."

Schlechte Erfahrungen bei der Schweinegrippe

Die EU habe in der Vergangenheit schon schlechte Erfahrungen damit gemacht, irgendwo bereits Impfstoff zu bestellen, den dann später keiner gebraucht habe, sagt Herrmann. "Eine geradezu traumatische Erfahrung war die Schweinegrippe." Wahrscheinlich seien deshalb alle in Brüssel etwas vorsichtig gewesen. Hinterher stelle man fest, man habe mehr Bestellungen gebraucht.

Jede Maßnahme birgt Risiken

Sie sei erstaunt, dass sich jetzt alle nur auf das Thema "Impfen" konzentrierten und den Vorwurf, es wären weniger ältere Menschen gestorben, wenn man früher mit dem Impfen begonnen hätte. "Wir hätten noch viel mehr Alte gerettet, wenn wir viel früher die Schulen geschlossen hätten", sagt Herrmann.
Die Schulen erwiesen sich ja jetzt als die "wahren Virenschleudern". Aber es werde von niemanden kritisiert, dass die Schulen weiter aufgeblieben seien. "Das zeigt doch eigentlich, egal, was man als Gesellschaft macht, jede Maßnahme ist mit Risiken behaftet. Es gibt hier keine Vollkasko-Versicherung in der Coronakrise."
(gem)
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