Impfstoffforscher

Eine migrantische Erfolgsgeschichte

04:13 Minuten
Professor Ugur Sahin und die Medizinerin Özlem Türeci. Das Forscherehepaar hat einen Coronaimpfstoff entwickelt.
Professor Ugur Sahin verfügt über mehr als 60 Patente in Bereichen wie Biotechnologie. Die Medizinerin Özlem Türeci arbeitete lange in der Krebsforschung. © imago images / Sämmer
Ein Kommentar von Hasnain Kazim · 13.11.2020
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Özlem Türeci und Uğur Şahin heißen die Forscher, die einen Coronaimpfstoff entwickelt haben. Sie haben türkische Wurzeln. Ist das erwähnenswert? Oder ist die Erwähnung eine Form von Diskriminierung? Darüber macht sich Publizist Hasnain Kazim Gedanken.
In einem idealen Deutschland spielte es keine Rolle, welche Wurzeln Menschen haben, die Großartiges leisten. Es wäre zum Beispiel egal, woher die Wissenschaftler kommen, die einen Covid-19-Impfstoff entwickelt haben. Es wären einfach die Wissenschaftler Özlem Türeci und Uğur Şahin, das Medizinerpaar, dem Bahnbrechendes gelungen ist.
Aber jetzt reden alle doch von ihrer Herkunft: Şahin, geboren im türkischen Iskenderun, als Vierjähriger mit seiner Mutter zu seinem Vater nach Köln gezogen, der dort bei den Ford-Werken arbeitete. Gastarbeiterkind also, um dieses seltsame Wort zu bemühen, denn was, bitte, soll ein "Gastarbeiter" sein, seit wann lässt man Gäste arbeiten? Und Türeci wurde im niedersächsischen Lastrup geboren, als Tochter eines Chirurgen, der aus Istanbul nach Deutschland gezogen war. Türeci und Şahin lernten einander in Deutschland kennen.

Jetzt beschweren sich manche, dass in der Berichterstattung ihre Herkunft herausgestellt werde. Ob man damit das Image von Zuwanderern aufpolieren wolle, indem man sie als "Vorzeigemigranten" präsentiere, heißt es in der rechten Twitter-Ecke. Aus der linken ist zu hören, von der Darstellung des Paares als "Musterbeispiel der Integration" profitierten Minderheiten nicht, im Gegenteil, das sei "rassistisch".

Annerkennung wurde jahrzehntelang verweigert

Beide Seiten liegen falsch. Es geht nicht darum, irgendetwas zu beschönigen. Und Minderheiten profitieren sehr wohl, denn es geht einzig darum, ein ewig schiefes Bild geradezurücken. Wir leben in einem Land, in dem der Innenminister sagt, Migration sei "die Mutter aller Probleme". Wir leben in einem Land, in dem sehr viele Menschen mit Namen wie Özlem und Uğur verortet werden als Putzfrau, Gemüsehändler oder Dönerbudenbesitzer. Das ist die Denkschublade, die für sie vorgesehen ist.
Das Paar aber zählt zu den Spitzenmedizinern dieses Landes, und es zählt übrigens durch die auch in der Vergangenheit sehr erfolgreiche Arbeit zu den hundert reichsten Menschen Deutschlands. Gut so.
Es ist auch nicht neu, dass Einwanderer beziehungsweise deren Kinder in Deutschland Überragendes leisten. Abgesehen davon, dass sie es in vielen akademischen Bereichen tun, in Kultur, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, im Sport sowieso – wo wäre Deutschland ohne die Leistungen all der Servicekräfte und Arbeiter und Macher und Schaffer mit migrantischen Wurzeln? Auch diesen Menschen gebührt Anerkennung, die sie jahrzehntelang nicht erhalten haben.

Die gläserne Decke durchbrechen

Dabei sehen sich Menschen, die als fremd gelesen werden, in Deutschland oft dem Druck ausgesetzt, besonders gesetzestreu, besonders unauffällig zu sein. Sie müssen gefühlt doppelt so gute Leistung bringen, um die gleiche Anerkennung zu bekommen. Dazugehören tun sie oft trotzdem nicht.
Die Publizistin Kübra Gümüşay schreibt, wenn sie bei Rot über die Ampel gehe, habe sie 1,9 Milliarden Muslime im Schlepptau. Machen solche Menschen einen Fehler, sind manche sehr schnell dabei, ihre Herkunft zu thematisieren und abwegige Verallgemeinerungen über "die Türken", "die Muslime", "die Ausländer" zu evozieren. Um das Image dieser Menschen allgemein zu verschlechtern, kann ihre Herkunft gar nicht schnell genug genannt werden.
Die Freude darüber, dass ausgerechnet Forscher wie Özlem Türeci und Uğur Şahin etwas geschafft haben, worauf die ganze Welt seit Monaten wartet, ist auch deshalb so groß, weil viele solche Leistungen Menschen mit ihrem Namen, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe nicht zutrauen. In Deutschland gibt es eine gläserne Decke für Menschen wie sie. Und deshalb ist eben doch immer gut und im Wortsinn bemerkenswert, wenn zwei sie so sichtbar durchbrechen wie die beiden.

Hasnain Kazim, 1974 als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer in Oldenburg geboren, lebt als freier Autor in Wien. Er schreibt für unterschiedliche Medien. Von 2004 bis 2019 arbeitete er für "Spiegel online" und den "Spiegel", die meiste Zeit davon als Auslandskorrespondent. Im Februar erschien sein Buch: "Auf sie mit Gebrüll! ... und mit guten Argumenten. Wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet".

Journalist und Publizist Hasnain Kazim
© picture alliance / dpa / Jan Haas
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