Impfplattform Covax

Die reichen Länder zuerst

22:42 Minuten
Illustration: Eine Hand mit Spritze injiziert in den Globus.
Die globale Impfgerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern sollte zu Beginn der Pandemie geschaffen werden. Was ist davon noch übrig geblieben? © imago / Ikon Images / Gary Waters
Von Marc Engelhardt · 01.04.2021
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Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits im April 2020 die Impfplattform Covax gegründet, um eine globale Impfgerechtigkeit zwischen armen und reichen Nationen zu schaffen. Das droht zu scheitern am Impfstoff-Nationalismus der reichen Länder.
Wenn Tedros Adhanom Ghebreyesus über Impfungen gegen die Corona-Pandemie spricht, dann ist er hörbar um Fassung bemüht. Bereits im Januar hatte der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO vor einem moralischen Versagen der Weltgemeinschaft gewarnt, wenn sie den knappen Covid-Impfstoff nicht gerecht verteile. Ein Vierteljahr später zieht er eine vernichtende Bilanz.


"Die Schere zwischen der Anzahl an Impfungen in reichen und denen in armen Staaten wächst täglich und nimmt immer groteskere Ausmaße an. Länder, die jetzt jüngere, gesunde Menschen impfen, deren Krankheitsrisiko gering ist, tun das auf Kosten von Menschenleben der Ärzte, der Alten und von Risikogruppen in anderen Ländern."

Ungerechte Verteilung trifft alle

Während in Israel im Schnitt schon jeder Bürger zumindest die erste Impfung erhalten hat, in den Vereinigten Arabischen Emiraten drei von vier, in den USA mehr als jeder Dritte – ist es in Indien nur jeder dreißigste, in Südafrika einer von 300, in Uganda einer von 3000. Deutschland liegt mit einer rechnerischen Impfquote von 12,5 Prozent – einem Achtel der Bevölkerung - im oberen Mittelfeld. Die Konsequenzen der ungerechten Verteilung aber werden davon unabhängig alle Länder treffen, warnt WHO-Chef Tedros.
"Einige Länder beeilen sich, ihre gesamte Bevölkerung zu impfen, während andere gar nichts haben. Das mag kurzfristig ein Gefühl von Sicherheit erzeugen, aber das Gefühl trügt. Denn wenn anderswo auf der Welt die Übertragungen weitergehen, nimmt die Zahl der Mutationen zu. Und je mehr es davon gibt, desto wahrscheinlicher ist, dass manche davon gegen die Impfungen immun sind. Das heißt: Solange das Virus irgendwo zirkuliert, solange werden Menschen sterben."


Dabei hatte die WHO schon vor knapp einem Jahr alles für eine gerechte Impfstoffverteilung vorbereitet. Die Idee war bestechend einfach: Alle Staaten der Welt sollten ihren Impfstoff über einen gemeinsamen Fonds beziehen, der Covax genannt wurde – für Covid-19 Vaccines Global Access, also Globaler Zugang für Covid-Impfungen. Entsprechend wären weltweit zunächst diejenigen geimpft worden, die den Impfstoff am nötigsten brauchen: Krankenhauspersonal, Alte, Risikogruppen.

Dann wären die nächsten dran gewesen, bis schließlich weltweit Herdenimmunität erreicht worden wäre. Der Plan schlug fehl. Reiche Staaten schlossen lieber bilaterale Verträge mit der Pharmaindustrie, um sich mehr als ihren Anteil zu sichern. Übrig blieb der Teil von Covax, der die Impfstoffe für die ärmsten Länder bezahlt und ankauft. Doch dafür muss die WHO sich mit dem begnügen, was übrig bleibt, wie ihr Experte Bruce Aylward beschreibt.
Eine medizinische Mitarbeiterin hält eine Spritze in der Hand und impft eine Frau gegen Covid-19.
Während in den USA mehr als jeder Dritte bereits geimpft ist, ist es in Uganda einer von 3000. Hier eine Impfung Mitte März im Gesundheitszentrum in Kasangati, Uganda.© dpa / picture alliance / Xinhua News Agency / Nicholas Kajoba

Einige wenige Länder haben direkt Zugriff auf Impfstoffe

"Praktisch der gesamte Vorrat an Covid-Impfstoffen wird von einigen wenigen Ländern kontrolliert und gehalten. Wir suchen jetzt nach Möglichkeiten, etwas davon abzubekommen, sei es durch das Teilen von Impfvorräten, durch Impfstoff-Spenden oder Tausch. Wir wollen so in der Warteschlange nach vorne rutschen und Impfstoff bekommen, der über Covax dann an Bevölkerungen weltweit verteilt werden kann."
Bis Ende März sind über das Covax-Programm knapp 31 Millionen Impfdosen in 50 Länder geliefert worden. Das Ziel lautet, mehr als 140 Länder zu versorgen und dort bis Ende des Jahres ein Fünftel der Bevölkerung zu impfen. Dafür müsste Covax Hunderte Millionen Impfdosen verteilen. Woher die kommen sollen, weiß niemand. Fabriken in Indien und Korea, die Covax beliefern sollen, haben erst kürzlich angekündigt, ihre Lieferversprechen nicht halten zu können. Gabriela Hertig von der Schweizer Menschenrechtsorganisation Public Eye wundert das nicht.
"Es sind eben einige wenige Konzerne, die diese Impfstoffe produzieren, und das ist besonders gravierend für ärmere Länder, die bis 2023, vielleicht sogar 2024 warten müssen, bis sie genügend Impfungen erhalten, um eine kollektive Immunität zu erreichen. Aber eben auch in reichen Ländern, wo die Impfkampagnen sehr langsam vorangehen. Und das hat damit zu tun, dass die Konzerne einfach nicht so schnell so viele Impfdosen liefern können.

Patentschutz für Impfstoffe aufheben

Die Lösung liegt für Hertig auf der Hand: Wissen und Patente für die wichtigen Impfstoffe müssten jetzt geteilt werden, damit mehr Hersteller große Mengen der begehrten Dosen produzieren können. Dafür gibt es bereits ein Programm, das die WHO zeitgleich mit Covax aus der Taufe gehoben hat. Über den Covid-19 Technologie-Zugangspool, kurz C-TAP, soll intellektuelles Eigentum zur Bekämpfung der Pandemie frei verfügbar gemacht werden. Doch C-TAP sei noch erfolgloser als Covax, beklagt Hertig.
"Es war von Anfang an so, dass es natürlich im Interesse der Pharmakonzerne und auch der reichen Länder, die ihre Pharmaindustrie schützen, war, eben den Fokus auf Covax zu lenken. Denn Covax tastet ja das aktuelle Business-Modell nicht an. Daher hat einfach Covax viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als C-TAP. Und C-TAP ist bis jetzt ziemlich untergegangen und hat auch noch keine wirklichen Beiträge erhalten."


Dass Pharmakonzerne durch das Teilen ihres Wissens während der Pandemie auf Profite verzichten sollen, findet Hertig gerechtfertigt. Nicht zuletzt deshalb, weil die öffentliche Hand nach ihren Berechnungen 93 Milliarden Euro in die Impfstoffentwicklung gesteckt hat. Public Eye zufolge hat Moderna sogar eingeräumt, keine Eigenmittel in die Erforschung gesteckt zu haben.
Spritze mit Impfstoff von Moderna.
Das US-Unternehmen Moderna hat eingeräumt, keine Eigenmittel in die Erforschung des Impfstoffes gesteckt zu haben, kassiert aber für jede Dose ab.© picture alliance / dpa / NurPhoto / Jaap Arriens
Das hält Moderna wie fast alle anderen Hersteller nicht davon ab, für jede Dose abzukassieren. Wie viel weiß niemand. Die Verträge sind geheim. Doch es ist anzunehmen, dass Industrieländer mehr auf den Tisch legen als Covax. Und so wird in zehn afrikanischen Ländern noch gar nicht gegen Covid-19 geimpft. Und wo geimpft wird, ist der Impfstoff schnell verbraucht. Sabin Nsanzimana leitet die Impfkampagne in Ruanda.

Impfstoff in Ruanda bereits aufgebraucht

"Zwei Tage, nachdem die Impfstoffe Ruanda erreicht haben, begannen die Impfungen überall im Land, jetzt ist alles aufgebraucht. Seither fragen wir uns: Wo sollen wir neuen Impfstoff herbekommen, damit wir weitermachen können und nicht gleich nach dem Start wieder aufhören müssen."
Ruanda gilt als Musterschüler bei den Covid-Impfungen. Das Land nutzte seine Erfahrung von anderen Impfkampagnen. Doch genutzt hat ihm das nicht. Weil Ruanda von den Covax-Lieferungen abhängig ist, muss es jetzt erst einmal warten. Wie lange weiß Nsanzimana nicht.
"Covax ist eine großartige Initiative, aber sie hat es wirklich schwer, den nötigen Impfstoff bereitzustellen. Während andere Länder immer mehr Impfstoff wollen, werden bei uns die Menschen krank oder sterben. Ich wünsche mir, dass wir schnell mehr Dosen bekommen – und dass Covax generell mehr Dosen bekommt für all die Länder, die noch warten."
Dass Nsanzimanas Wunsch in Erfüllung geht, ist derzeit nicht wahrscheinlich. Experten des britischen Thinktanks Economist Intelligence Unit gehen davon aus, dass die meisten afrikanischen Länder – auch Ruanda – erst ab Anfang übernächsten Jahres flächendeckend geimpft sein werden.

Ist die Erfahrung, die wir mit dem Coronavirus und seinen Mutationen seit einem Jahr machen, vergleichbar mit der Entdeckung und Bekämpfung des HIV-Virus? Damals hat man es geschafft, den Patentschutz für die Medikamente und Impfstoffe gegen Aids auszusetzen. Warum ist das jetzt anders? Darüber haben wir mit Anne Jung von medico international gesprochen. Die Organisation setzt sich für die globale Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit ein. Das vollständige Interview mit Anne Jung am Ende dieser Weltzeit. Hier eine Zusammenfassung.

Damals sei die Forschung an Medikamenten viel langsamer als jetzt bei der Coronavirus-Pandemie gewesen, erklärt Anne Jung. "Auch die Ansteckung und der Schutz erforderten ganz andere gesellschaftliche Debatten, beispielsweise rund um die Stigmatisierung der Betroffenen. Damit haben wir es jetzt nicht zu tun. Was aber sehr vergleichbar ist, ist das Ringen um die Preise und den Zugang zu den Impfstoffen beziehungsweise damals zu den Medikamenten."

Patentschutz wurde bei HIV-Aids-Medikamenten ausgesetzt

Damals hat man es geschafft, den Patentschutz für die Medikamente und Impfstoffe gegen Aids auszusetzen. Wieso war das damals möglich? "Weil Menschen auf der ganzen Welt viele, viele Jahre dafür gestritten haben", sagt Anne Jung.

"Und heute haben wir tatsächlich ein Medikamenten-Pool, in den die Pharmafirmen ihre Patente auf HIV-Aids-Medikamente einspeisen. Sie bekommen dafür Lizenzgebühren, und das ermöglicht anderen Firmen, günstigere Medikamente gerade für arme Länder herzustellen. Um nur eine Zahl zu nennen: Therapien, die früher 10.000 Euro pro Patient pro Jahr gekostet haben, kosten heutzutage nur noch 60 Euro!"

Heftiger Protest gegen Impfstoff-Nationalismus

Eine wichtige Voraussetzung scheint zu sein, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Welthandelsorganisation WTO an einem Strang ziehen. Letztere hat seit Anfang März eine neue Leiterin – die nigerianische Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala, die gegen den Impfstoff-Nationalismus heftig protestiert. Kann das helfen?
"Sie sieht sich in der WTO einem starken Block gegenüber – beispielsweise untergräbt die gesamte Europäische Union die Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe sehr stark", so Anne Junge. "Ich glaube aber, dass da noch was zu machen ist, weil in der Bevölkerung überall auf der Welt die Erkenntnis reift, dass die Aussetzung des Patentschutzes ein wichtiges Instrument sein könnte, um eine schnellere Produktion herbeizuführen."

(mwo)
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