Immobilienexperte über Enteignungsvotum

"Der Volksentscheid ist ein politisches Signal"

06:47 Minuten
Auf einem Plakat in der Neuköllner Weserstraße wird darum geworben, für den Volksentscheid zu stimmen, der zusammen mit der Bundestagswahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26.September ansteht.
Ein Plakat von "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" in Berlin wirbt dafür, für den Volksentscheid zu stimmen. © imago images / Klaus Martin Höfer
Claus Michelsen im Gespräch mit Nana Brink und Korbinian Frenzel · 21.09.2021
Audio herunterladen
Es sei ganz offensichtlich, dass wir ein Problem auf dem Wohnungsmarkt haben, sagt der Immobilienexperte Claus Michelsen. An den Mitteln des Berliner Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat er allerdings große Zweifel.
Am 26. September wählen die Berlinerinnen und Berliner nicht nur den Bundestag und ein neues Abgeordnetenhaus. Sie stimmen auch über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ab.
Die Meinungen über dieses Votum, das eine Initiative mit 350.000 Unterschriften erwirkt hat, sind gespalten: 47 Prozent der Berliner sind dafür, 43 Prozent sind dagegen. Hat die Abstimmung Erfolg, muss sich der Senat mit dem Thema auseinandersetzen, bindend ist sie allerdings nicht.

"Es hebt eine Debatte auf die oberste politische Ebene"

"Der Volksentscheid ist vor allen Dingen erst mal ein politisches Signal", sagt der Immobilienexperte Claus Michelsen. "Es hebt eine Debatte auf die oberste politische Ebene, die ja in den letzten Jahren gewachsen ist: Wie wollen wir eigentlich wohnen? Und: Ist es okay, dass Menschen mit dem Gut Wohnen Profite machen?"
Vor allen sei die Abstimmung aber Ausdruck dessen, was sich in den letzten Jahren in Berlin auf dem Wohnungsmarkt abgespielt habe: "Nämlich eine zunehmende Knappheit und steigende Preise", erklärt er. "Das bricht sich jetzt in diesem Volksentscheid so ein bisschen Bahn."
Es sei ganz offensichtlich, dass wir ein Problem auf dem Wohnungsmarkt haben, sagt Michelsen, gerade für Menschen der unteren Einkommensschichten. Dass es für viele Menschen keinen Zugang mehr zum Wohnungsmarkt gebe, fänden viele unfair. "Und deswegen möchte man zu Mitteln greifen, die das zu korrigieren versuchen."
Der angestrebten Enteignung steht Claus Michelsen jedoch kritisch gegenüber. Er habe Zweifel, "dass man mit dieser Enteignungsinitiative tatsächlich eine Lösung für das eigentlich dahinter liegende Mengenproblem hat. Denn was man tut, ist: Man kauft eben diese Wohnungen zu relativ teuren Preisen von den jetzigen Eigentümern ab und subventioniert den niedrigpreisigeren Mietpreis für alle, die jetzt darin wohnen."

Geringere Mieten machen die Schlangen nicht kürzer

Claus Michelsen prognostiziert allerdings, dass die Schlangen vor den Wohnungen dadurch nicht kürzer werden. Vielmehr könnten Menschen von außerhalb die sinkenden Preise als Signal verstehen und auch nach Berlin kommen. "Vielleicht kriegt man ja in der Lotterie um günstigen Wohnraum den Zuschlag", meint er dazu.
Dass sich das Land Berlin aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen habe, sei ein ganz zentraler Fehler der Vergangenheit gewesen. "Man hat sich darauf konzentriert, durch Transferzahlungen wie das Wohngeld die Bezahlbarkeit herzustellen."
Allerdings habe man aus dem Blick verloren, dass gerade Geringverdienende Probleme haben, überhaupt für eine Vermietung in Betracht zu kommen. "Und da muss der Staat jetzt doch deutlich stärker wieder reingehen und versuchen, diese Fehler zu korrigieren," sagt Michelsen.

Bauland nach dem besten Konzept vergeben

Das Geld, das man den Unternehmen als Entschädigung zahlen müsste, würde Michelsen eher in die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum investieren. "Damit würde man unliebsamen Investoren das Wasser abgraben, einfach mehr Konkurrenz auf dem Markt bringen und dementsprechend eine bessere Bezahlbarkeit für die unteren Einkommensschichten schaffen."
Eine weitere Möglichkeit, den Wohnungsmarkt zu entspannen, sieht Claus Michelsen darin, dass die Stadt entweder selbst baut – oder Bauland nach anderen Konzepten vergibt: "Also nicht, dass man das teuerste oder das hochpreisigste Angebot nimmt, sondern denjenigen mit dem besten Konzept."
(jeg)
Mehr zum Thema