"Immense Qualität an Kultur"

Moderation: Tom Grote · 27.07.2007
Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, hat im Welterbestreit um die Waldschlösschenbrücke ein Umdenken verlangt. Es brauche Wissen und politische Führung, daraus ein Zukunftskonzept zu machen, erklärte Roth.
Martin Roth: Morgen, Herr Grote.

Grote: Sachsen ist im Kulturkrieg, schrieb gestern die "Welt". Übertreibt die Zeitung, oder kann man es tatsächlich sagen?

Roth: Na ja, das ist schon ein starkes Wort. Kulturkrieg würde ich es auf gar keinen Fall nennen wollen, aber dass es eine sehr angespannte Situation ist in vielerlei Hinsicht, das würde ich schon bestätigen.

Grote: Wie würden Sie es denn nennen, wenn es kein Kulturkrieg ist?

Roth: Ich glaube, es ist eine ziemlich unangenehme Mischung zwischen dem, dass man es zuweilen nicht glauben möchte, was da gerade passiert, andere, die wiederum nach starken Worten rufen oder starke Worte erwarten, zum Dritten kommt vielleicht jetzt zum ersten Mal richtig deutlich raus, 17 Jahre nach der Wende, wie doch die Unterschiede sind, zumindest mir geht es so, und vieles andere mehr. Also das ist so ein Cocktail von unterschiedlichen Ideen und Aggressionen, auf jeden Fall versteht kein Mensch, weshalb es nicht mehr politische Führungsqualität gibt in so einem Zusammenhang.

Grote: Bleiben wir bei den Aggressionen. Sind denn die Fronten klar, wer da gegen wen kämpft?

Roth: Nein, auf gar keinen Fall. Das ist auch innerhalb der CDU zersplittert. Es gibt nicht so jemanden, also, eine Gruppe, von der man sagen würde, die kommen irgendwie aus der Öko- oder sonstigen Ecke, die dagegen sind, und die anderen sind dafür, sondern es geht halt wirklich einmal durch die Bevölkerung. Und es gibt natürlich viele Leute in Dresden, die auch nicht mehr vielleicht so die Anbindung haben, weil Dresden, das darf man nie vergessen, bei all der Schönheit doch sozusagen ihrer ganzen Familientraditionen, also, diesen bourgeoisen Familientraditionen, beraubt worden ist. Also, das ist wirklich so eine Gemengenlage von Leuten, die sagen, die Zukunft bedeutet, dass wir uns über die Vergangenheit hinwegsetzen, und die anderen sagen, nur was sich auf die Vergangenheit bezieht, wird eine große Zukunft haben. Und zu den Letzteren gehöre natürlich auch ich.

Grote: Kann man denn nicht sagen, die Landesregierung ist momentan der große Buhmann?

Roth: Hach, da weiß ich wirklich keine Antwort, und alles, was ich dazu sagen würde, wäre auch falsch, abgesehen davon, dass ich in meiner Funktion auch ein bisschen vorsichtig sein muss, wie ich das formuliere, obwohl ich ja durchaus immer neige, doch sehr ehrlich und mit solchen Situationen an der Öffentlichkeit umzugehen, weil ich glaube, dass das eine politische Debatte braucht, oder eine kulturpolitische, oder eine politische Kultur, die so eine Debatte sucht, wird auch nicht alles bloß hinter verschlossenen Türen entscheiden und dann der Bevölkerung halt mitteilen. Aber wenn Sie jetzt fragen, ob die Landesregierung den Zorn auf sich zieht, dann wäre ich mir da nicht mal so sicher. Wie gesagt, es gibt sicherlich auch viele Leute, die sagen, jetzt baut endlich, macht endlich und entscheidend ist die große Qualität und so. Also, es ist, noch mal, es ist einfach eine Gemengenlage und die Politik setzt eindeutig auf Vergessen.

Also, da wird auch sehr offen drüber geredet, dass man sagt, na ja, da wird jetzt halt, da regt man sich fürchterlich auf, und in ein paar Jahren redet da kein Mensch mehr darüber. Ich glaube nicht mal, dass das falsch ist, und das ist halt ein ziemlich trauriges Argument, weil wir in der Tat in Deutschland in den letzten Jahren oder in den letzten zehn Jahren doch sehr viele Vorhaben hatten, bei denen sich die Politik eigentlich recht wenig nach der diffizilen Meinung innerhalb der Bevölkerung gerichtet haben. Und natürlich wird man auch mutlos und verzweifelt, oder man wird aggressiv und macht dann was dagegen und gerät dann immer an den Rand der Legalität. Ich hoffe, dass Letzteres nicht in Dresden passieren wird, aber dass natürlich viele, wie soll ich sagen, mehr als zornig momentan, das ist auch verständlich.

Grote: Geht’s denn wirklich nur um die Brücke?

Roth: Wenn ich das wüsste, dann würde ich es Ihnen wahrscheinlich auch ganz offen und ehrlich sagen. Also, da geht’s schon um mehr, da geht es natürlich schon auch um Zukunftskonzepte, und die einen sind sicherlich vollkommen überfordert von dieser unglaublichen Geschichte und Tradition, wie es in Dresden nun mal vorkommt, und die ganz, also wirklich große Behutsamkeit und vor allen Dingen sehr viel Verständnis von den Zuständigen verlangt, aber dann natürlich die große Zukunft ist. Also, was Dresden ja auszeichnet, ist diese immense Qualität an der Kultur, und das seit 450 Jahren. Das braucht Wissen, und das braucht politisches Leadership, um da ein Zukunftskonzept draus zu machen. Es hat 450 Jahre lang bestens funktioniert, und natürlich gibt es jetzt Leute, die sagen, wir wollen lieber sein wie jede andere beliebige Stadt in Deutschland. Ich habe kürzlich bei einer Demonstration einen kurzen Beitrag gebracht, gehalten, und habe dann einen Vergleich gebracht mit Hannover. (…) sagte mal über Hannover, wenn man den Durchschnitt aus allen deutschen Städten zieht, kommt Hannover dabei raus. Ist ein schreckliches Argument, ich habe lange genug in Hannover gearbeitet und gelebt, Sie wissen, bei der Expo, und habe in Hannover lauter Menschen getroffen, die mit ganz viel Kraft versucht haben, die Stadt zu was Besonderem zu machen. Und in Dresden treffe ich mittlerweile sehr viele Menschen, vor allem in den politischen Funktionen, die aus der Stadt was ganz Banales machen wollen.

Grote: Also Sachsen doch im Kulturkrieg?

Roth: Hach, lassen Sie doch das Wort Krieg weg, Krieg ist so was Fürchterliches. Wenn man es auf Dresden bezieht, wissen Sie, Dresden ist bei all diesen Begriffen natürlich immer noch mal was ganz Problematisches.

Grote: Sachsen im Kulturstreit – dazu Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Herr Roth, nehmen wir mal an, Dresden bekäme tatsächlich den UNESCO-Titel Weltkulturerbe aberkannt, weil jetzt diese Brücke tatsächlich so gebaut wird und nicht der Tunnel, für den ja auch viele Leute sind mittlerweile. Glauben Sie wirklich, dass auch nur ein Besucher deshalb weniger käme? Die Frauenkirche und alles andere steht ja noch.

Roth: Die Frage ist, wenn man sie so stellt, nicht zu beantworten. Ich hatte, also, … Die Frage bekomme ich extrem oft gestellt natürlich, und irgendwann hatte ich mal in einem Artikel dazu gesagt, es ist so ähnlich wie wenn Bayern München sich entscheidet, dass die Bundesliga nichts mehr taugt, und man kickt jetzt ohne Bundesliga, praktisch nur noch gegen sich selbst. Dann kommen trotzdem noch Leute zum Fußballspiel, aber es ist eine andere Liga, und das macht es eigentlich aus. Man kann natürlich auch ohne diesen Titel in die Zukunft gehen, selbstverständlich.

Aber es gibt natürlich auch jetzt im Hintergrund, nicht zuletzt auch – wenn man das ein bisschen hochtrabend sagen darf – in der Weltkulturpolitik, kein schönes Wort, aber natürlich bekomme ich Briefe und E-Mails von meinen Kollegen, nicht zuletzt aus Asien, die sagen, wir haben so viel getan in den Drittweltländern in den letzten Jahren, um unsere Kulturprojekte zu retten, um unsere Politik zu überzeugen, und was macht ihr jetzt, ausgerechnet in den Ländern, die wir immer so zum Vorbild genommen haben im Prinzip? Also, das ist die eine Seite. Wir sind wirklich ein richtig schlechtes Vorbild, und keiner versteht, weshalb der Ministerpräsident einfach mal der UNESCO zeigen möchte, dass man auf sie verzichten kann – womit er, glaube ich, übrigens interessanterweise durchaus punktet bei vielen Leuten, starker Mann, zeigt, wo es langgeht –, das ist schon sehr besorgniserregend. Das andere ist doch, es gibt natürlich wirklich … Gehen Sie nach China, dann sehen Sie, dass es ganze Tourismusprogramme gibt, die sich auf das Weltkulturerbe beziehen. Wieso machen wir das nicht? Das schöne Stichwort Heritage Management, das in Deutschland leider überhaupt gar keine Rolle spielt – Dresden hat halt nun mal einen unglaublichen Erfolg auch ohne dieses Heritage Management, aber wir könnten natürlich noch viel mehr draus machen, und da stehen wir uns selbst im Wege.

Grote: Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier, da kam vorhin in der Agentur eine Meldung, der hat sich für eine pragmatische Lösung im Konflikt um die Dresdner Waldschlösschenbrücke eingesetzt. Ihm liege angeblich sehr viel daran, dass auch dem Ansehen unseres Landes nicht geschadet würde, und das würde passieren, wenn sozusagen diese Brücke käme. Haben Sie eine Ahnung, wie diese pragmatische Lösung aussehen könnte?

Roth: Nein, aber ich verstehe ehrlich gesagt auch das Verhalten der Bundesregierung in dem gesamten Zusammenhang nicht so richtig. Und noch mal, ich muss in meiner Funktion vorsichtig sein, was ich sage, was ja auch natürlich die Sache etwas prekär macht: Wenn ich die Bundeskanzlerin richtig verstanden habe, dann hat sie bei einer Pressekonferenz gesagt, das Thema müsste auf Landesebene gelöst werden. Vielleicht hab ich da falsch verstanden, ich bin ein bisschen vorsichtig, aber die Frage ist dennoch, ist es eine Bundesangelegenheit oder ist es eine Landesgelegenheit? Und ich bin immer davon ausgegangen, dass das Auswärtige Amt zuständig ist für die auswärtige Kulturpolitik und damit auch dafür. Also, im Prinzip hätte man, oder, glaube ich, bräuchte es auch eine klare Positionierung innerhalb des Auswärtigen Amtes, das ist die eine Seite, die zweite Seite in diesem Zusammenhang, ich erinnere mich daran, als Tiefensee einen Brief an Milbradt geschrieben hat, in dem er noch mal auf die Finanzierung hingewiesen hatte …

Grote: Ja, der Verkehrsminister an den Ministerpräsidenten.

Roth: Fast zeitgleich äußerte sich der Bundeskulturminister Bernd Neumann dahingehend, dass man das Ganze jetzt endlich mal umsetzen soll. Das sind Widersprüche, die kann natürlich auch in der Bevölkerung kein Mensch mehr nachvollziehen und dass sich der Bundeskulturminister ausgerechnet dazu äußert ist auch eine Sache, für die ich relativ wenig Verständnis habe, oder ich habe was nicht richtig verstanden.

Grote: Sachsen im Kulturstreit, dazu Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Vielen Dank, Herr Roth, für das Gespräch.

Roth: Gerne, Herr Grote.