"Im Sport ist Krieg und die Opfer sind oft Minderjährige"

Moderation: Liane von Billerbeck · 31.01.2006
Die ehemalige Leistungssportlerin und Buchautorin Ines Geipel hat die Untätigkeit der Sportverbände im Doping-Skandal um den Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein kritisiert. Der Leichtathletikverband müsse sofort reagieren, sagte Geipel. Die Opfer seien oft Minderjährige, welche die Strukturen nicht überschauen könnten. Die Zeugen in Gerichtsverhandlungen wie jene im Springstein-Prozess müssten besser geschützt werden, forderte Geipel.
Liane von Billerbeck: Im Studio ist jetzt eine Frau, die in der DDR Leichtathletin war. Sie lief Rekorde mit der 4x400m-Staffel, hat mehrere Bücher geschrieben, darunter eines mit dem Titel "Verbotene Spiele", in dem es um das massenhafte Dopen in der DDR und dessen spätere Folgen für die Sportlerinnen geht. Guten Tag, Ines Geipel. Herzlich Willkommen beim Radio Feuilleton.

Ines Geipel: Guten Tag.

Von Billerbeck: Thomas Springstein, der jetzt vor Gericht steht, ist 2002 noch zum Trainer des Jahres gekürt worden. Das ist ja nun eine Weile nach dem Mauerfall. Da hätte man doch meinen könne, dass es bei ihm in Training mit rechten Dingen zugehen muss. Waren Sie denn überrascht, als sie von den staatsanwaltlichen Ermittlungen, und jetzt von dem Prozess gegen Springstein gehört haben?

Geipel: Bei Thomas Springstein kann man schlechterdings überrascht sein, weil, es gibt ja eine Kontinuität, ein ungebrochenes Verhalten und eine ungebrochene Vision auch, was ein weiblicher Körper im Leistungssport zu machen hat. Das geht um den absoluten Effizienzsport. Und was hier auf den Tisch kommt, ist alarmierend in hohem Grade, es müsste einen wirklichen Aufschrei geben, der Leichtathletikverband müsste sofort reagieren, es müsste um Sonderstaatsanwälte und, und, und gehen. Im Grunde kann der Sport das aus sich heraus, dieses Problem Gendoping auch gar nicht mehr lösen. Hier müssten strukturelle Überlegungen von Seiten des Staates kommen. Im Sport ist Krieg und die Opfer sind oft Minderjährige, die diese Struktur nicht überschauen können und all das ist hoch dramatisch.

Von Billerbeck: Nun sagen Sie, Sie hat das nicht überrascht und Sie sprechen im Konjunktiv von den Verbänden, sie hätten reagieren müssen. Daraus schließen wir ja, dass die Verbände, der Leichathletikverband in diesem Fall, also nicht auf diese neuen Fälle von Doping reagiert. Warum ist das so?

Geipel: Na gut, es gibt dieses ewige Dilemma im Hochleistungssport: Leistung, Leistung, Leistung. Da könnte man jetzt salopp sagen, das liegt in der Natur der Sache. Das Problem ist eben immer der Preis des Ganzen. Solange wir nicht in der Lage sind, als Land zu sagen, ok, wir geben uns damit zufrieden, dass wir eben achte, neunte, zehnte sind bei einem internationalen Wettkampf, wir müssen nicht Weltmeister im Fußball werden, sondern es ist gut, wenn die Mannschaft dabei ist, solange im Grunde diese ganze Apparatur der Medien, der Pharmazie, das ist ja schon auch gigantisch, was da an Mitteln unterwegs ist, so funktioniert wie es funktioniert, müssen wir uns nicht wundern, wenn es sozusagen jetzt Mittel gibt wie Repoxigen, wo die Nebenwirkung nichts anderes heißt als Tod.

Von Billerbeck: Nun hat in diesem Fall, in dem Prozess gegen Thomas Springstein, tritt unter anderem Kathrin Elbe als Zeugin gegen ihn auf, eine achtzehnjährige Läuferin, das ist ja doch sehr mutig, wenn man sich überlegt, gegen wen sie da antritt. Sie hat zwei starke Anwälte und ... Wie mutig muss man denn sein, um sozusagen gegen die Dopingmafia, um es mal so ganz salopp und zugespitzt zu sagen, anzutreten?

Geipel: Na ja, unglaublich mutig. Ich habe absolut höchsten Respekt vor Frau Elbe. Aus den Erfahrungen des DDR-Dopings weiß man auch, was das bedeutet, denn so einen Prozess dann über Monate zu überstehen, und, in ihrem Fall ist es ja so, auch diskreditiert zu werden, man kann ihr nur allen, allen Mut zusprechen und offenbar ist es so, dass es eine junge Frau ist, die eben etwas von sich weiß, sich nicht völlig überlaufen kann und ja, ich finde hier muss auch Öffentlichkeit sehr dafür sprechen, dass diese Frau mit einer guten Erfahrung aus diesem Prozess herausgeht. Also bei ihrer Stimme bleiben kann.

Von Billerbeck: Das ist ja nicht allen Dopingopfern so gegangen. Sie haben ja in ihrem Buch auch darüber berichtet, was mit vor allen Dingen Frauen passiert ist, die in jugendlichem Alter gedopt wurden. Was mussten die durchmachen in dem Prozess und was hatten die schon hinter sich, bis es überhaupt zu solchen Prozessen kam?

Geipel: Na ja, die Frauen, die sich in diesen Prozess gestellt haben, haben natürlich ihre heile Not gehabt, also sie waren körperlich oder auch seelisch derart, also in einer solchen engen Situation, dass sie sich verhalten mussten, also für ihr eigenes Leben. Wenn ich heute mit diesen Frauen, die ich da porträtiert habe in diesem Buch, das Buch ist 2001 erschienen, spreche, sagen sie: Ich würde mich niemals mehr öffentlich hinstellen. Also und das hat natürlich etwas mit Öffentlichkeit zu tun. Solange wir es nicht schaffen, diese Geschädigten wirklich auch in die Mitte zu nehmen, ihnen ein Stück auch eine Lebensperspektive zu geben, diese Frauen sind nach dem Prozess körperlich wie auch seelisch absolut zusammengebrochen, also man hätte Supervision haben müssen, man hätte sie psychisch betreuen müssen und, und, und. Also, da gibt es natürlich dann auch Momente von Retraumatisierung und ... weiß ich nicht. Wir können nur versuchen immer wieder auf diese Punkte hinzuweisen. Ich habe letzte Woche mit Herrn Prokop hier in Berlin gesessen ...

Von Billerbeck: ... das ist der Mann vom Leichtathletikverband ...

Geipel: ... ja genau, der Generalsekretär vom Leichtathletikverband. Und ich möchte natürlich jetzt nicht, dass im Zusammenhang mit dem Springstein-Prozess der Verband einerseits seine Verantwortung wegdrückt, was aktuelles Doping in der Leichtathletik angeht, und die DDR-Geschädigten dann sozusagen als Alibibemühungen auf den Tisch legt. Das wird es nicht geben. Wenn es eine konkrete, weiterführende Aufarbeitung DDR-Doping im Leichtathletikverband geben sollte, da bin ich sehr dafür, kann es aber nur sein, wenn man den aktuellen Zustand gleichermaßen thematisiert und dort auch handelt.

Von Billerbeck: Im Radio-Feuilleton sprechen wir mit Ines Geipel, einer ehemaligen Leistungssportlerin, die sich auch als Buchautorin für die Offenlegung von Doping und Dopingfolgen einsetzt. Der Mediziner Werner Franke, Frau Geipel, der mit seiner Frau Brigitte Berendonk gegen Doping im Sport kämpft, der hat gesagt, dass man eigentlich über ganze Sportarten nicht mehr berichten dürfte. Er nannte den Radsport. Aber genauso gut könnte man Turnen, Schwimmen, Leichtathletik auf den Index setzen. Also alles perdu. Gibt es im Hochleistungssport eigentlich noch saubere Sportarten?

Geipel: Tja, wenn man die Arbeitsgenese von Herrn Franke anschaut, der jetzt fast vierzig Jahre kämpft für einen sauberen Sport im Land und andere ja auch, dann ist natürlich das, was da Springstein macht, eine immense Backpfeife auch. Also wir stehen ja da wie die Trottel, die immer wieder sich hinstellen und sagen, hier muss aufgeklärt werden, hier muss für die jungen Athleten was getan werden, und insofern, es klingt immer ein bisschen drastisch, wenn Werner Franke sich in die Öffentlichkeit begibt, nur leider hat er früher oder später mit seinen Aussagen eben doch sehr viel Wahres und Konkretes auf den Tisch gebracht und wir können nichts anderes tun, auch wenn man sich jetzt ein bisschen idiotisch vorkommt, als die Gefahren, die im Raum stehen, das ist kein Spaß Gendoping im Hochleistungssport, öffentlich knallhart zu thematisieren und zu sagen, Verbände, jetzt, ihr seid jetzt dran, ihr müsst reagieren.
Von Billerbeck: Soweit Ines Geipel heute im Radio-Feuilleton über Doping und Dopingfolgen. Ich vermute, dass Thema wird uns im Jahre der Fußballweltmeisterschaft durchaus noch öfter beschäftigen.
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