Im Spiegelkabinett der Träume

Von Natascha Pflaumbaum · 16.12.2011
Wie viel Bühne, Bewegung und Theater in Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" steckt, hat Ende der 90er-Jahre bereits Stanley Kubrick mit seinem großartigen letzten Film "Eyes Wide Shut" bewiesen. Nun hat der junge Theaterregisseur Bastian Kraft die Erzählung in den Frankfurter Kammerspielen auf die Bühne gebracht.
Am Anfang sitzen Fridolin und Albertine kurz im Publikum, fabulieren die ersten sperrigen Sätze von Schnitzlers "Traumnovelle" aus der ersten Reihe heraus. Mit einem Satz springt das Ehepaar auf die kleine Bühne der Frankfurter Kammerspiele. Sie trägt ein rotes Etuikleid, schwarze Highheels, er einen grauen Anzug, weißes Hemd, schwarze Stiefeletten. Schnitzlers Text erzählt von solchen Yuppies, einem wohl situierten Wiener Ehepaar: die Ehe scheint harmonisch, Fridolin, Mitte 30, arbeitet erfolgreich als Arzt, Albertine, Mitte 20, stärkt ihm unemanzipiert und devot den Rücken. Hinter der schicken Oberfläche verbergen sich allerdings Abgründe: vor allem unerfüllte erotische Begierden und Träume, die nach einem ausgelassenen Maskenball urplötzlich an die Oberfläche gespült werden.

Regisseur Bastian Kraft hat für seine Frankfurter Bühnenfassung von Schnitzlers "Traumnovelle" das Protagonisten-Ehepaar Fridolin und Albertine verdoppelt. Paar 1 (Franziska Junge, Torben Kessler) erledigt die Spielszenen, Paar 2 (Valery Tscheplanowa, Marc Oliver Schulze) liefert die vielen inneren Monologe. Dann vermischen sich die Ebenen, denn die beiden Paare spielen auch das gesamte andere Personal: die Hofratstochter Michaela, die Nutte Mizzi, den Studienfreund Nachtigall, das Orgienpersonal in der Villa. Eine knappe Maske reicht, und schon verwandeln sich die Paare in die anderen. Wie im Traum vermischen sich die Identitäten.

Bastian Kraft baut aus Schnitzlers Text ein Kammerspiel auf engstem Raum, den Bühnenbildner Ben Baur als wahren Traumraum ausstattet: Auf einer Miniaturdrehbühne kreist Fridolin unentwegt um sich selbst, im Strudel der Drehbühne verwirbeln sich auch seine vielen Eskapaden. Baur hat auf diese Drehbühne mannshohe, schmale Spiegelscheiben gestellt. Die Scheiben stehen nicht einzeln, sondern sind verwinkelt aneinander montiert, so dass kleine Kabinette entstehen, die wiederum ein Labyrinth ergeben. Dazu kommen Licht (Johannes Richter) und Musik (Björn SC Deigner), später auch eine Videoprojektion (Pietro Fiore). Alles arrangiert wie im Traum: diffus, unvermittelt, unplausibel.

Die vier Schauspieler spielen den Text reduziert, sie deklamieren eher, rennen auf kleinstem Raum hin und her, blicken sich immer wieder wie magisch in die Augen, alles ist minimalistisch, in sich geschlossen, wie in einer Traumblase. Das hier würde auch als Hörspiel funktionieren, vor allem auch deshalb, weil die Musik gefällige Übergänge schafft zwischen den sieben Stationen dieser Geschichte.

Anderthalb Stunden vergehen schnell, weil Bastian Kraft durch den Text marschiert und den Schnitzlertext straff und stringent wegspielen lässt. Drehbühne, Labyrinth und Spiegelscheiben reichen aus als Trauminventar und verdeutlichen am Ende Schnitzlers "Traumnovellen"-Lektion à la Siegmund Freud recht deutlich: Träume stellen die Erfüllung verborgener, verdrängter Wünsche vor, sie sind darum um so mehr Teil der Realität.
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