Im schöpferischen Exil

Von Kersten Knipp · 24.08.2011
Künstler und Intellektuelle hatten in Libyen einen schweren Stand. Das musste auch der Dichter Abdouldaim Ukwas erfahren, der nach London ins Exil ging. Er konnte nur aus der Ferne darauf hoffen, dass die Revolution in seiner Heimat Erfolg hat.
Verkünde deine Abwesenheit in die Gesichter der Schweigenden / und gehe nicht vorbei / wie eine Wolke über einer verlassene Stadt. / Oder geh nicht vorbei / wie Wasser über die Dürre der Geschichte. / und steig hinab / als Herrscher über den Pfad deiner selbst: Gänzlich frei

So klingt er, der Kunst gewordene Wille, sich nicht zu unterwerfen. Eher wegzugehen, als das, was im eigenen Land vor sich geht hinzunehmen und sich ihm zu fügen. Der Dichter Abduldaim Ukwas wurde 1975 in Libyen geboren, zu einer Zeit, als Gaddafi das Land schon sechs Jahre regierte. Und als Abduldaim Ukwas erwachsen war, da regierte Gaddafi immer noch. In der Zeit erfuhr Ukwas dann, was es heißt, in einem autoritären Regime zu leben.

"Ich wollte eine Zeitlang in einer NGO arbeiten, mit an Aktionen beteiligen, um die libysche Zivilgesellschaft zu entwickeln. Aber wir wurden systematisch behindert. Der Geheimdienst beobachtete uns, es standen immer mehrere seiner Mitarbeiter in unserer Nähe. Denn man wusste ja, dass wir die Ideologie des Staates nicht akzeptierten. Darum ging ich nach London, in eine der Hauptstädte der Kultur. Hier gibt es Bücher, es gibt Zeitungen, alles, was es in Libyen in dieser Form nicht gibt. In London kann ich schreiben, an Wettbewerben teilnehmen, und so bin ich hier."

Abouldaim Ukwar ging einen Weg, den in den letzten Jahren viele libysche Dichter nahmen: den des Exils. Der bekannteste libysche Gegenwartsautor, Ibrahim Al Koni, lebt seit Jahren in der Schweiz. Der junge, in Großbritannien lebende Romancier Hisham Matar lässt in seinem gerade veröffentlichten Roman "Geschichte eines Verschwindens" einen jungen Mann von seinem Vater erzählen, der nicht vom libyschen, sondern vom ägyptischen Geheimdienst entführt wurde. Eine literarische Verfremdung: Denn Hishar Matar ist Sohn eines oppositionellen Libyers, der bei einem Besuch in der Heimat vom Geheimdienst entführt und dann nie wieder gesehen wurde. In Libyen selbst hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten keine nennenswerte Kulturszene entwickelt. Kein Wunder, meint Abdouldaim Ukwar. Gaddafis Auge war überall.

"Ich ging vor vier Jahren nach London, und zwar aus mehreren Gründen. Der wichtigste war der, dass die kulturelle, intellektuelle und journalistische Szene in Libyen unter Gaddafi ständig überwacht wurde. Alles, was veröffentlicht wurde, unterlag der Zensur, und es war nicht möglich, zu sagen, was man denkt. Jede Kritik an der Staatsmacht kam fast einem Selbstmord gleich."

Sicherer lebt er im Exil. Doch das Exil heißt auch, von der Familie, von der Gesellschaft getrennt zu sein. Es heißt auch, auf die politischen Geschehnisse kaum Einfluss nehmen zu können, nicht aktiv sein zu können, sondern beobachten zu müssen. Aus der Ferne darauf hoffen, dass die Revolution Erfolg hat. Dies sind die Kosten dafür, in der Fremde zu leben. Andererseits: Aber was heißt schon Exil, fragt er. Im Grunde war für ihn, war auch für viele andere Libyen nichts anderes als eine Form der inneren Emigration.

"Die Leute leben im Exil, wenn sie nicht tun oder sagen können, was sie wollen. Jeder Ort der Welt, an dem das nicht möglich ist, stellt ein Exil dar. Aber die Bedeutung des Exils geht noch darüber hinaus. Denn auch, wenn man sich nicht entwickeln kann, wenn man nicht weiterkommt, lebt man auf gewisse Weise in der Fremde. Auch wenn man nicht in der Fremde lebt, kann man doch im Exil leben – im schöpferischen Exil."

Natürlich hat es auch in den letzten Jahren in Libyen eine Gegenkultur gegeben. Aber sie war unauffällig, fand im Verborgenen statt, hatte keine öffentliche Bühne. Ihr Medium war das Internet. Hier, in der digitalen Anonymität, verschafften die jungen Libyer ihrem Unmut Ausdruck. Nach außen hin mussten sie aber schweigen. Eben darum, erklärt Ukwas, sind der Kultur in diktatorischen Regimes auch Grenzen gesetzt. So traurig es ist: Mit Worten kommt man nicht weit. Die Diktatur setzt den Rahmen, dem die Künstler und Intellektuellen sich zu fügen hatten. Aber es ist gut, meint Ukwas, dass sie es nicht getan haben.

"In der Vergangenheit haben wir immer wieder versucht, die Handlungsweisen des Regimes zu verändern, doch wir mussten leider feststellen, dass diese Diktaturen immer wieder nach der gleichen Logik handeln, dass sie gar nicht bereit sind, andere Methoden als die einmal eingesetzten zu gebrauchen. Stattdessen mussten wir feststellen, das die Regime den Dialog mit Worten nicht verstehen, sondern sich nur angesichts von Gewehrmündungen verändern. Und das ist die grundlegende Lektion, die man im Lehrbuch der Diktatur lernt. Die Menschen dachten, dass sie das Volk wie eine Herde von Kühen vor sich hertreiben können, dass sie zwar ein 'Nein' hören, aber ein 'Ja' verstehen."

Die Zeit des Exils scheint nun zu Ende zu gehen. Jedenfalls die des äußeren Exils. Ukwas ist unschlüssig, wo er künftig leben will. Er spürt, dass sein Land kulturelle Aufbauarbeit dringend braucht – ein gewichtiger Grund für ihn, der Heimat gewordenen Frede nun vielleicht doch wieder den Rücken zu kehren und zurückzugehen nach Libyen. Der Diktator scheint gestürzt, und somit scheint dessen Land bereit, sich vom Exil wieder in eine Heimat zu verwandeln.