Im Netz - Wie das Internet mit uns umgeht

L. Reppesgaard und Th. Köhler im Gespräch mit M. Albath · 10.10.2010
Die weitreichenden Konsequenzen des Internets auf das menschlich Dasein sind Thema eines Lesart Spezial von der Frankfurter Buchmesse, das viele Fragen aufwirft, wie zum Beispiel: Hat das Web das menschliche Denken bereits verändert? Oder: Brauchen wir einen Internetführerschein?
Maike Albath: Am Mikrophon begrüßt Sie Maike Albath, heute von der Frankfurter Buchmesse.
Es sieht alles, vergisst nichts, umgibt uns rund um die Uhr, bestimmt Arbeitswelt und Privatleben und greift sogar in unser Denken ein. – Die Rede ist nicht von einem Geheimpolizei-Korps eines totalitären Staates, sondern vom Internet. "Im Netz. Wie das Internet mit uns umgeht" lautet unser Thema. Wir wollen Ihnen zwei neue Bücher vorstellen, die sich mit den Auswirkungen des Netzes beschäftigen.
Dazu begrüße ich den Journalisten Lars Reppesgaard im Studio, Spezialist für digitale Fragen und Wirtschaft. Guten Tag, Herr Reppesgaard.

Lars Reppesgaard: Hallo, schönen guten Tag.

Maike Albath: Ebenfalls zu Gast ist Thomas Köhler, Autor, er hat auch Web-Anwendungen entwickelt, IT-Experte, und er hat eines der Bücher geschrieben, über die wir heute diskutieren wollen. "Die Internetfalle" lautet der Titel warnend. Guten Tag, Herr Köhler.

Thomas Köhler: Schönen guten Tag.

Maike Albath: Zuerst soll es aber um einen amerikanischen Netzbeobachter gehen, der sehr provokant den gesellschaftlichen Wandel beklagt, nämlich Nicholas Carr. "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert" überschreibt er seine Untersuchung.
Lars Reppesgaard, wer bin ich denn laut Carr, wenn ich online bin? Und was passiert mit meinem Kopf?

Lars Reppesgaard: Online bin ich ein anderer als der, der ich bin, wenn ich zum Beispiel Bücher lese oder in Ruhe über Dinge nachdenke. Online prasselt eine große Vielzahl von Impulsen auf uns ein. Dauernd kommen instant messages, Nachrichten aus Nachrichten-Feeds, Emails, Twitter-Nachrichten und so weiter, und so fort. Das reißt uns immer wieder aus dem, was wir tun. Das sorgt immer wieder dafür, dass wir uns mit was Neuem beschäftigen und immer das Neue ein bisschen interessanter erscheint als das, was das war, was wir gerade im Kopf hatten. Und das führt, sagt Carr, dazu, dass wir auch tatsächlich anders denken, aber nicht nur anders denken, sondern auch, dass unser Gehirn ganz anders verdrahtet wird – wirklich im biologischen Sinne. Das Zusammenspiel von Neuronen und Synapsen usw., usf. wird da tatsächlich beobachtbar anders. Und das ist eine Entwicklung, die Carr eben sehr viel Sorge bereitet.

Maike Albath: Also, so eine allgemeine Zerfransung, weil wir das, was immer Multitasking genannt wurde und auch sehr gelobt wurde, dauernd tun und uns aber offenbar schlechter konzentrieren können. – Ist es nur schlechter oder gibt es auch Vorteile dieser neuen Techniken und dieser neuen Art, wie das Gehirn auch funktioniert, Thomas Köhler?

Thomas Köhler: Schlechter ganz sicher, wenn man sich zu sehr ablenken lässt. Also, ich habe mein ganzes Berufsleben jetzt eigentlich mit Internetthemen verbracht, auch mit aktiver Beschäftigung damit, und hab mich selber wiederholt schon ertappt, dass ich auf Ablenkungen entsprechend reagiere und größere Arbeiten dann liegen bleiben oder nicht vorankommen. Aber dennoch glaube ich, zumindest persönlich für mich beobachten zu können, dass man die Chance hat, das auch zu steuern, dass man also nicht jetzt irgendwie deterministisch, weil sich jetzt ein Gehirn ändert, ganz zwangsläufig zu dem schnellen Umschalter – ein echtes Multitasking ist es ja nicht – wird. Sondern ich denke, dass man durchaus noch die Kontrolle hat. Ansonsten hätte ja auch der Herr Carr sein Buch vermutlich niemals fertig schreiben können, wenn er tatsächlich das, was er beklagt, auch so erlebt.

Maike Albath: Wobei er das ja sagt. Also, er fängt an mit einem Selbstversuch und sagt, früher habe er stundenlang lesen können, sich mit Proust beschäftigt und sei "versunken". Das ist das, was er "vertieftes Lesen" nennt. Und das, Sie sprachen gerade schon die hirnphysiologischen Aspekte an, Lars Reppesgaard, hat ja offensichtlich auch einen bestimmten Ort in unserem Kopf. Und da sieht er gewisse Gefahren. Welche sind das?

Lars Reppesgaard: Das stimmt. Er sieht die Gefahr tatsächlich, dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, uns zu konzentrieren, wenn wir das möchten, selbst wenn wir es möchten. Er hat sich wirklich für dieses Buch auch ganz zurückgezogen, hat seinen Wohnort gewechselt, die Computer abgeschaltet und gesagt: Glücklicherweise kommt dieses sich vertiefen Können und sich wieder auf ein ganz langes Thema intensiv einlassen Können, das kommt zwar wieder, aber es ist etwas, wo er von sich sagt, er hatte das wirklich verlernt. Er hätte die Kontrolle darüber verloren.

Und das war so ein bisschen so eine Schlüsselerfahrung von ihm und dann versucht er, in der Folge rauszukriegen: Wieso ist das eigentlich so? Passiert das nur mir so? Und da hat er sich dann eben ganz intensiv mit Hirnforschung beschäftigt. Und er führt eine ganze Reihe von Untersuchungen an, die eben alle ein bisschen andeuten, das ist kein individuelles Problem von Nicholas Carr, sondern das ist etwas, was einfach den Menschen passiert. – Wenn sich das Lesen verändert, wenn sich der Medienkonsum verändert, wenn sich die Fähigkeit oder die Lust verändert, überhaupt sich mit komplexen Dingen zu beschäftigen, dann hat es tatsächlich auch Auswirkungen auf unser Gehirn.

Maike Albath: Das ist der Bereich, in dem eben nicht nur dieses Lesen stattfindet, sondern er sagt, das sei auch der Teil des Gehirns, wo das Denken sich abspielt. Thomas Köhler, da ist er ja auch sehr, sehr kritisch. Teilen Sie denn diese große Skepsis und diese große Angst von Nicholas Carr?

Thomas Köhler: Ich darf vorwegschicken, dass ich durchaus mit dem, was die Hirnforschung im Augenblick diskutiert, nicht unbedingt immer einer Meinung bin. Also, wenn man genau hinschaut, sind viele von den Studien, die auch Carr anführt, mit sehr, sehr wenig Probanden tatsächlich bestückt gewesen. Wenn ich jetzt als gelernter Wirtschaftswissenschaftler einfach mal gucke, welche Stichprobengrößen müssten wir denn da normalerweise ansetzen, um irgendwelche Experimente halbwegs valide machen zu können, dann sind das lauter eigentlich minimale Dinge, wo ich befürchte, dass sich vieles von dem – ganz ehrlich – als heiße Luft herausstellt. Ich denke auch nicht, dass sich in so kurzer Zeit so viel ändern wird. Vielleicht ernte ich jetzt ganz deutlichen Widerspruch, aber ich persönlich glaube natürlich, dass erlerntes Verhalten oder auch Dinge, die man tut, natürlich sich prägen.

Vielleicht gestatten Sie mir ein kurzes Beispiel: Wenn Sie hier in Deutschland auf der Autobahn zügig fahren zum Beispiel und Sie kommen in die Schweiz, werden Sie plötzlich entschleunigt, auf 120 eingebremst. Und wenn ich das ein paar Stunden tue, nämlich einmal quer durch die Schweiz zum Beispiel, habe ich hinterher auch das Gefühl verloren fast, wie es ist eigentlich, sozusagen von A nach B zu fahren, weil ich gehe auf Autopilot, mehr oder weniger reizlos. Ich muss nur schauen, dass ich die Ausfahrt nicht verfehle. Also, es ist ein ganz anderer Umgang, wohingegen man, wenn man zügig fährt mit dem schnellen Auto, immer sozusagen an der Grenze seines Leistungsvermögens ist. Das prägt sich ein und das erlernt sich. Und das führt natürlich auch zu weiteren Verhaltensänderungen.

Ich glaube, genau das Gleiche haben wir online auch. Je nachdem, wie ich damit umgehe, prägt sich das ein. Für mich persönlich muss ich sagen, ich war vielleicht recht früh dran, ab Mitte der 90er-Jahre mich mit solchen Themen zu beschäftigen. Ich habe eher den Eindruck, dass ich in den letzten Jahren dazugewonnen habe, was meine Aufnahmefähigkeit und den Umgang mit den Inhalten angeht. Aber es war kein einfacher Prozess.

Maike Albath: Und man muss dazu sagen, die Teilnehmer heute hier, ich einschlossen, sind alle in den späten 60er-Jahren geboren. Wir sind eine Generation, die in der Kindheit noch nicht umgegangen ist mit Computern. Und das ist sicherlich auch ein großer Unterschied. Das sagt er ja auch, dass Kinder natürlich viel empfänglicher sind und auch da eine große Suggestibilität besteht. Ist das ein Aspekt, den er beleuchtet, dass er da sieht, es verändern sich komplett Kindheiten und man müsste die Kinder im Grunde auch anders erziehen und anders schützen?

Lars Reppesgaard: Na ein bisschen. Es ist kein Buch über Erziehung, aber die Sorge darüber klingt natürlich schon an vielen, vielen Stellen durch. Er berichtet eben, dass sich da eine ganz große Unruhe auch breitgemacht hat, unabhängig davon nicht nur bei Studienprobanden, ich glaube, da ist es wahrscheinlich eher das Interessante, dass er versucht, Belege aus ganz, ganz vielen verschiedenen Ecken anzuführen, auch wenn sicher der einzelne Beleg mitunter bisschen unterkomplex gewählt ist.

Es ist eben eine ganz große Indiziensammlung, die ihn dazu bringt zu sagen: Also, selbst bei den Computerversierten, selbst bei den "digital natives", bei den Leuten, von denen wir denken, Mensch, die können ja so gut mit umgehen usw., die können da eben auch gar nicht so gut mit umgehen, sondern die Art und Weise der Informationsgewinnung verändert sich bei ihnen. Man gewinnt natürlich die Möglichkeit dazu, auf das ganze Wissen der Welt zuzugreifen. Man gewinnt die Möglichkeit dazu, so zu recherchieren, wie man noch nie recherchieren konnte. Vom Schreibtisch aus stehen einem wirklich alle Bibliotheken offen.

Der Punkt ist aber, die Leute nutzen dieses Wissen gar nicht so sehr, sondern sie springen von Link zu Link, von Impuls zu Impuls und nehmen sich gar nicht die Zeit, irgendwas Großartiges, Seltenes, auf das sie gestoßen sind, zu Ende zu lesen. Er macht das so ein bisschen klar unter anderem an der Google-Buchsuche, die ja eigentlich für Menschen, die Wissen und Kultur schätzen, auf dem Papier ein fantastisches Projekt ist. Alle Bücher der Welt einzuscannen, würde ja bedeuten, dass tatsächlich alle Bücher der Welt für jeden verfügbar sind. Was aber passiert? Wir nutzen das nicht, um alle Bücher, die wir schon immer mal lesen wollten, von vorne bis hinten durchzulesen, sondern wir benutzen eine Stichwortsuche und landen dann genau in dem Absatz, in dem Abschnitt, der genau dieses Schlüsselwort uns bringt. Und das ist eben auch eine Art der Wissenssuche, sagt Carr, die uns so ein bisschen in eine Sackgasse führt, weil wir eben all das, was man drum herum während der Wissenssuche bisher gefunden hat, wenn man Bibliotheken durchstöbert, wenn man ein ganzes Buch liest, dazu gewonnen hat, obwohl man gar nicht wusste, dass man das dazu gewinnen will, eben jetzt nicht mehr dazu gewinnt, sondern dass wir sehr punktgenau, genau auf das Faktenwissen geführt werden, was wir ja suchen.

Maike Albath: Also, so eine subtile Gleichschaltung kann sich da schon fast andeuten, weil wir – er sagt ja auch Zahlen – 30 Prozent unserer Freizeit im Internet verbringen und es sind 19 Stunden pro Woche und man dann doch gesteuert wird sehr stark durch so etwas, wie Google, also, eine extrem mächtige Firma. Lars Reppesgaard, Sie haben jetzt die "Schnipselbibliothek" eigentlich beklagt. Thomas Köhler, haben Sie auch den Eindruck, dass da eine Macht entsteht, der wir uns sehr schwer entziehen können?

Thomas Köhler: Ganz klar. Ich habe einen Lehrauftrag in einer bayerischen Hochschule für Wirtschaftsinformatik. Dort sind natürlich die Studierenden alle so Anfang 20. Dort beobachte ich ganz klar, wenn es um Hausarbeiten geht, dass tatsächlich so eine Schnipselkultur vorherrscht. Das heißt, wenn man die Leute nicht – auch als Lehrtätiger – in die richtige Richtung bringt und die, sagen wir, mit Gewalt wieder zum Lesen führt, indem man entsprechend die Vorgaben macht, dann führt das dazu, dass Sie immer die gleichen Hausarbeiten bekommen in jedem Semester mit den gleichen Zitaten. In der Tat ist das verheerend.

Und ich glaube, da müssen wir natürlich ansetzen bei diesen sogenannten digital natives. Gestatten Sie mir noch ein ganz erschreckendes Beispiel, wo die Reise da hingehen kann. Auf dem Weg hierher habe ich in einem Flughafenkiosk kurz haltgemacht. Und da fiel mein Blick ganz überraschend auf eine Kinderzeitung, das Biene-Maja-Magazin. Dort war eine Zugabe, nämlich ein Kinder-Blackberry, also, eine Art Spielzeug, genau im wie der Blackberry, der hier von mir auf dem Tisch liegt, ausgeschaltet natürlich. Und das war sozusagen für kleine Kinder. Und die ganze Variante gab's auch in pink in einem Barbie-Magazin. Also, das ist, sagen wir mal, zu meiner Jugend oder so was vollkommen unvorstellbar. Da gab's vielleicht eine Steinschleuder im Yps-Heft, aber heute ist es der Blackberry, damit das Kind, so wie Mami oder Papi zumindest so tun kann, als würde es kommunizieren.

Maike Albath: Das ist natürlich eine ganz erschütternde Entwicklung. Mich interessiert aber, mit welchen Gewaltanwendungen Sie Ihre Studenten zwingen, zu lesen. Wie können die das noch lernen, wenn sie das von zu Hause so wenig gewohnt sind?

Thomas Köhler: Schlussendlich gibt's im Zweifel auch Literaturkataloge. Und ich sorge dafür, dass die Sachen auch zur Verfügung stehen, und frage die Dinge dann auch ab. Durchaus macht man sich nicht immer beliebt, ganz klar, aber es geht ja letztendlich nicht um einen Beliebtheitswettbewerb, sondern dass die Leute fürs Leben vorbereitet werden.

Maike Albath: Nun ist es bei Google ja auch immer so, dass da handfeste wirtschaftliche Interessen im Hintergrund stehen. Und dort – es ist eben eine Firma – herrscht kein Problembewusstsein. Was können wir denn dagegen tun, Lars Reppesgaard? Oder was schlägt Carr da eigentlich vor?

Lars Reppesgaard: Er kommt ein bisschen so zu einem ähnlichen Schluss wie Frank Schirrmacher bei "Payback", was ja so ein bisschen so als Buch ein ganz enger Verwandter ist. Es ist so ein bisschen ein Aufruf, meistens eher individuelle Lösungen zu finden, sich mehr Ruhe zu nehmen, Lesen wieder zu lernen, Nachdenken wieder zu lernen, die Kiste einfach mal auszulassen. So richtige Lösungsansätze bietet er meiner Ansicht nach nicht, zumindest nicht welche, die darüber hinausgehen, dass ich mich selber am Riemen reißen muss. Da draußen ist die große digitale Verführung. Da draußen ist das Netz. Das wird befeuert von Technikfirmen, die tolle Dienste anbieten. Die machen auch Spaß. Das ist überhaupt keine Frage. Wenn Facebook oder die Google-Dienste nicht uns irgendwas bringen würden, würden wir es nicht benutzen. Das ist eine große Verführung. Und es gibt aber im Grunde noch nicht die Strategie dagegen, wo man einfach gesellschaftlich sagen kann: Wir möchten gerne abschalten und nachdenken.

Das ist so ein bisschen die Schwäche auch in Diskursen, wenn sie dann einen Schirrmacher oder einen Carr aufgreifen, meiner Ansicht nach, dass sie eben im Grunde nur ein Problem benennen können, aber einen doch ratlos zurücklassen. Denn letzten Endes, natürlich müssen wir uns in unserem beruflichen Leben, oft auch im Privatleben, wenn der Freundeskreis nach Facebook gewandert ist, den Anforderungen der Digitalisierung und Vernetzung stellen. Wir haben gar nicht unbedingt immer die Wahl, ob wir abschalten wollen, kriegen dann eben in diesen Büchern gesagt, es wäre aber ganz gut, wenn ihr's tun würdet. Und damit wird man so ein bisschen dann alleine gelassen.

Für mich ist das ein etwas schwieriger Punkt, weil ich denke, so wird das Problem individualisiert, während eigentlich eine gesellschaftliche, vor allen Dingen auch eine wirtschaftliche Entwicklung hier die Triebkraft ist. Die Technologievisionäre von Google, von Facebook usw. das ist eine ganz kleine Elite von Leuten, die sagen, so funktioniert Technologie. Das ist modern. Sie sagen aber auch: So funktioniert Privatheit, so funktioniert Kommunikation. Und der Rest der Welt lässt es sich von den Leuten eigentlich sagen.

Maike Albath: Ja. Und es geht ja auch darum, dass bürgerliche Freiheiten aufgegeben werden und dass eigentlich da auch ein gesellschaftlicher Prozess einsetzen müsste. Also, das, was Carr beklagt, dass die Individualität ein bisschen verloren geht durch dieses Internet und das vermehrte Nutzen von Google, das fordert er dann wieder ein dadurch, dass er sagt, suchen Sie mal selbst nach einer Lösung für sich und passen Sie schön auf, auf sich.

Wie ist das, Herr Köhler, mit diesem Individuum, das da dann doch wieder aktiv werden soll? Sehen Sie eine andere Möglichkeit, mit diesen großen Fragen umzugehen, über das hinaus, was Nicholas Carr in seinem Buch feststellt?
Thomas Köhler: Also, Abschalten ist keine Option. Das ist ganz klar. Und in meinem Buch setze ich mich auch damit auseinander. Ich hab auch keine generelle Empfehlung, wie man damit umgehen kann. Ich will nur ein Beispiel nennen, warum das Thema "Abschalten" zum Beispiel keine Option ist.

Jenseits der Diskussion um Freundeskreis & Co. ist es zum Beispiel so, dass – selbst wenn Sie einen Bio-Bauernhof betreiben und nur ab Hof verkaufen und eigentlich von dem Internet nichts wissen wollen – es natürlich auch passieren kann, dass, ohne dass Sie drin sind, über Sie geredet wird, also, im Sinne von, dass Sie vielleicht ein Konkurrent anschwärzt. Dann wäre es sicher sinnvoll, wenn Sie das sozusagen rechtzeitig bemerken, bevor die Verkäufe zurückgehen und Sie vielleicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Also, insofern kann sich heute niemand der Macht des Netzes entziehen.

Für mich ist deswegen wichtig darauf hinzuweisen, wie die Mechanismen funktionieren, gerade von Facebook & Co. Das ist ja gerade im Augenblick ganz hoch debattiert. Da muss man einfach klar sagen: Die Kunden von Facebook sind werbetreibende Unternehmen, für die perfekte Profile gebaut werden. Wir als Facebook-Nutzer – ich bin keiner, darf ich dazuschicken – sind eigentlich nur die Datenlieferanten. Und die Vorstellungen, die dort herrschen von Kommunikation sind einfach im Datenschutz ganz andere als wir sie hier, insbesondere in Europa, insbesondere in Deutschland eben gewohnt sind.

Maike Albath: Also, dass wir drohen auch nur noch zu Programmierten zu werden, statt selber die Programmierer zu sein? Geht das in diese Richtung Lars Reppesgaard?

Lars Reppesgaard: Ein wenig schon. Ein wenig scheint es so, als, dass nicht die Technologie den Menschen formt, dass wir nicht so eine Machtübernahme durch die Computer oder so was haben, dass aber doch die Menschen, denen das ganz recht ist, dass der Einzelne fleißig mitmacht, die Menschen, die von dieser Entwicklung profitieren, die setzen im Moment im Grunde die Standards. Die setzen eben auch, wie es gesagt wurde, auch Standards dafür, was in der Offline-Welt eigentlich von Interesse ist.

Das wird in der Tat auch eine interessante, spannende Diskussion werden, zu sagen, wie können wir uns eigentlich diesem Diskurs nicht unbedingt entziehen, aber wie können wir diesem Diskurs vielleicht auch einen durchaus mit technologischem Wissen unterfütterten Diskurs entgegensetzen. Das ist etwas, was Carr ja in Ansätzen schon mal versucht. Und ich finde, das ist auch ein ganz großer Verdienst von diesem Buch, dass es überhaupt erst mal diese Entwicklung aufzeigt und sagt: Hallo, passt mal auf, da passiert was mit uns. Da passiert auch etwas, was wir vielleicht gar nicht intendiert haben. Das Ganze passiert aber trotzdem. Es findet so eine Industrialisierung unseres Denkprozesses statt dadurch, dass wir die ganze Zeit mit technologischen Impulsen befeuert werden. So ein Buch ist ja erst mal ein Startpunkt. Das muss man erst mal als gegeben hinnehmen und erst mal anerkennen, das ist so. Und dann muss man eben sehen, was folgt für uns daraus.

Maike Albath: Also, diese Effizienzsteigerung, die auch im Gehirn passiert, erst einmal kritisch zu sehen, das ist ein guter Anfang bei Nicholas Carr. Sein Buch heißt "Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert". Es ist erschienen im Blessing Verlag.

"Die Internetfalle" von Thomas R. Köhler soll jetzt noch im Mittelpunkt unserer Sendung stehen. Herr Köhler, ist die Falle bei Ihnen denn schon mal zugeschnappt?

Thomas Köhler: In der Tat muss man sagen, dass es in meinem Bekanntenkreis einen Fall gab, der letztendlich dazu geführt hat, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Und zwar hat eine junge Dame plötzlich Fotos von sich, die sie selber als "Jugendsünden" bezeichnen würde, also Sie können sich vorstellen, was das war, im Internet gefunden. Und derjenige, der sie da reingestellt hat, soweit konnten wir das ungefähr ermitteln, war nun ein Verflossener, der sich auf irgendeine Art und Weise rächen wollte. Und dabei haben wir festgestellt, wie schwierig es ist, diese Inhalte, die mal da sind und auch mit Namen getaggt waren usw., wieder loszuwerden.

Gerade in der Situation, wo diese Person, die da betroffen ist, in einer Bewerbungssituation steht, ist es natürlich die große Katastrophe, wenn jetzt ein Personaler zum Beispiel bei einer durchaus üblichen Recherche über eine Person dann auf solche Materialien stößt, die dann halt aus dem Zusammenhang gerissen irgendwie den Eindruck erwecken müssen, die Dame geht eigentlich einer Nebenbeschäftigung nach, was nun definitiv nicht richtig ist.



Das war für mich der Anlass, mich überhaupt intensiv noch mal damit zu beschäftigen. Ich bin seit einigen Jahren an dem Thema eigentlich dran, aber das war der konkrete Anlass zu sagen, hoppla, jetzt Halt, hier muss man zumindest mal ein paar Pflöcke in den Boden rammen, muss auch mal die Nutzer darauf aufmerksam machen, dass das, was online gesagt ist, letztendlich öffentlich ist und dass es nie wieder zurückgeholt werden kann. Anders als das gesprochene Wort, was vielleicht in einem kleinen Kreis bleibt und irgendwann verbleicht und irgendwann erinnert sich niemand mehr dran, besteht eben die Gefahr bei jeder Aussage, bei jedem Video, bei jedem Foto, dass uns das dauerhaft verfolgt. Wir müssen viel früher ansetzen. Letztendlich müssen die Leute verstehen, was sie da tun. Und dann können sie entscheiden: Ist mir das jetzt wert oder ist es das jetzt nicht wert?

Maike Albath: Und es sind eben auch Übungen, die man eigentlich leisten muss, schon in der Kindheit oder in der Jugend, weil man das überhaupt nicht begreift, was da passiert. Der Begriff von Privatsphäre muss ja eingeübt werden.

Vielleicht, Lars Reppesgaard, ein Wort zu diesen sozialen Netzwerken, die ja auch in dem Buch von Thomas Köhler eine große Rolle spielen. Da gibt es in Deutschland studiVZ, das durch die Zeitungen schon vor etlichen Jahren ging. Es gibt dann natürlich Facebook. Es gibt inzwischen auch Twitter. Was sind das genau für Einrichtungen und was tun die?

Lars Reppesgaard: Das sind im Grund technologische Oberflächen, über die Menschen miteinander in Kontakt kommen können. Die alle haben gemein, dass ich mir halbwegs selbst aussuche, wem möchte ich folgen, mit wem möchte ich befreundet sein, wer soll in meinem Netzwerk drin sein? Das macht, glaube ich, einen ganz großen Teil des Charmes aus, dass man eben nicht irgendwo vorgesetzt bekommt, das sind irgendwie die Leute, für die du dich zu interessieren hast, sondern man kann seine Netze selber knüpfen und spinnen. Und dann gibt es eben je nach Netzwerk unterschiedliche Möglichkeiten, einander Nachrichten zu schicken oder Fotos auszutauschen oder sich auf verschiedene Dinge, die man toll findet, hinzuweisen, zu sagen: Daumen hoch, Daumen runter.

Und durch diese Vernetzung unter Freunden, die dann tatsächlich auch hingeht zu Netzwerken, wo Leute mehr als tausend Menschen ihre Freunde nennen, führt eben zu einer ganz ungeheuren Kommunikationsdynamik, die dazu führt eben, dass immer wieder irgendwelche Wellen an Nachrichten durchs Netz jagen, dass irgendwelche kleinen Aussagen auf einmal eine riesengroße Wirkung haben.

Und diese Dynamik bedeutet allerdings natürlich auch – weil von allen ein bisschen erwartet wird, dass sie aktiv partizipieren, dass eben nicht nur mehr über Promis und Politiker geredet wird, sondern dass im Grunde jeder Einzelne im positiven Sinne den Diskurs mitgestalten kann, im negativen Sinne aber auch natürlich zum Zentrum des Diskurses werden kann, indem man sagt, "guckt euch mal das Foto von dem Soundso an", oder, "was hat der denn da gesagt, das ist ja totaler Unsinn", und so weiter und so fort. Und so kann es dann auch in vielen Situationen dazu kommen, dass der Einzelne durch, wie gesagt, die Macht dieser Netzwerke, die eben einerseits technologische Macht ist, andererseits aber auch eine Macht in einem sozialen Prozess, der dahinter steht, schnell überfordert ist oder dann eben auch, wie in dem genannten Fall, auch in eine Opferposition kommt, obwohl man eigentlich gar nichts falsch gemacht hat. Denn, auch das ist ein Charakteristikum dieser Netzwerke, jeder kann dort einstellen, was er möchte. Und was dort eingestellt wird von mir oder was über mich gesagt wird, das kann ich eigentlich als Person gar nicht mehr kontrollieren.

Maike Albath: Es ist also die Gefahr, dass jeder zur Mini-Celebrity wird oder es werden will. Die Verführungskraft ist sehr groß, genau, wie wir das eingangs schon sagten, bei den vielen Informationen, die da sind. Gibt es denn Möglichkeiten, sich zu schützen? Thomas Köhler, Sie wollen ja in Ihrem Buch auch wirklich zeigen, wie man klug umgehen kann damit. Wie kann man überhaupt noch anonym bleiben? Geht das?

Thomas Köhler: Anonymbleiben, so ist meine These, ist per Definition eigentlich nicht mehr möglich. Selbst in Bereichen, wo Sie mit Pseudonym arbeiten, erzeugen Sie hinreichend viele Daten, sodass es mit geringem Aufwand möglich ist, durch kundige Leute das wieder herzustellen, den Bezug zu einer Realperson. In einigen Netzwerken, auch bei Facebook zum Beispiel, sind Sie auch gezwungen per Allgemeine Geschäftsbedingungen, dass Sie dort sich mit einem Klarnamen anmelden. So Themen wie MySpace, wo ausdrücklich Pseudonyme erwünscht sind und wo jetzt mehr so die verrückten Sachen landen mit teilweise ganz kuriosen Dingen, die sind eher auf dem Rückzug.

Insofern kann man von Anonymität nicht mehr reden, sobald man sich im Netz bewegt. Jeder, der sich im Netz bewegt, hinterlässt auf unterschiedlichste Art und Weise Spuren, sei es auf der Webseite, auf der er gerade ist, sei es durch eine Anmeldung bei irgendeinem Dienst oder sei es dann durch irgendwelche Tracking-Mechanismen, die Website übergreifend plötzlich so überraschende Dinge machen, dass Sie plötzlich immer die gleiche Werbung sehen, egal, wo Sie sind. Spätestens dann stellen Sie fest, hoppla, das, was man am Internet so geschätzt hat, ich komme auf die Website und dann werden mir die Bücher präsentiert, die ich letztes Mal angeguckt, aber noch nicht gekauft habe, wenn einen diese gleiche Werbung durchs ganze Web verfolgt, dann wird es irgendwie geisterhaft.

Und dann wird es aus meiner Sicht kritisch, weil ich das auch gar nicht möchte als Nutzer. Ich persönlich finde, da ist die Grenze erreicht. Und diese Grenze ist, ich sage mal, aus Nutzersicht oder aus dem Verständnis, was wir in unserem Kulturkreis haben, eine ganz andere als bei den überwiegend US-dominierten Internetkonzernen.

Maike Albath: Und wie können wir uns schützen gegen solche Dinge, Lars Reppesgaard? Gibt's da Chancen, die wir haben?

Lars Reppesgaard: Auf unterschiedlichen Ebenen. An der "Internetfalle" finde ich als Buch sehr gut, dass es sehr strukturiert, sehr vernünftig und unaufgeregt aufzeigt erst mal: Wie funktioniert das alles? Und wenn das alles so funktioniert: Wo sind da eigentlich Fallstricke? – Da sind so Beispiele drin, die mir selber auch völlig neu waren, dass ich dann möglicherweise, wenn ich einen Musikdienst, wie Last fm, einfach meine Festplatte nach Musik durchsuchen lasse, damit die mir tolle Musik anzeigen, möglicherweise sogar der Plattenindustrie oder Strafverfolgern Munition liefere, wenn ich nämlich raubkopierte Musik auf dem Rechner habe.

Das sind so Dinge, das muss man sich erst einmal klar machen. Und wenn man sich's klar macht, dann kann man vielleicht die Entscheidung, ja, sag ich überhaupt, du darfst meine Festplatte durchsuchen, zu einem Dienst, ganz anders treffen. Dann kann man die Konsequenzen ein Stück weit abschätzen. Das ist, glaube ich, die eine Ebene, dass viele Nutzer viel zu wenig über das wissen, was sie eigentlich tun, und nicht so richtig abschätzen können: Was passiert eigentlich? Was für einer Dynamik gebe ich überhaupt nach? Und wo kann das überhaupt alles hinführen, wenn ich jetzt Schritt A und Schritt B mache? Da ist zum Beispiel so ein Buch ein ganz wichtiger Beitrag.

Man kann aber natürlich dabei nicht stehen bleiben. Da muss insgesamt die Internetnutzerschaft schlauer werden und sich wie beim Autofahren erst mal klarer machen, was tue ich da eigentlich und was kann das für Folgen haben. Das macht ja auch nicht jeder irgendwie ohne Auseinandersetzung mit dem, wie ein Auto funktioniert oder wie Straßenverkehr funktioniert.

Das Zweite ist aber, dass es im Grunde für die Firmen im Moment auch keine Anreize gibt, faire Systeme aufzubauen, Systeme, die einen nicht dazu verlocken, mehr als man eigentlich möchte, preiszugeben, mehr als man eigentlich gewollt hat, sich zu öffnen in einer Art und Weise, die dann tatsächlich irgendwann mal ausgenutzt werden kann. Das ist etwas, wo tatsächlich ein politischer Diskurs notwendig ist, aber vielleicht auch einer über Wirtschaft und Wirtschaftsethik. Wie werden eigentlich Nutzerdaten generiert? Wofür werden die eigentlich benutzt? Diese Netzwerke sind so aufgebaut, weil es darum geht, Futter für die Werbeindustrie zu liefern.

Wenn man sich dann, wie gesagt, im Wirtschaftlichen, in der politischen Sphäre Gedanken macht, wie darf Werbung überhaupt funktionieren, was darf Werbung eigentlich, auf was für Daten darf Werbung zugreifen, dann ist, glaub ich, auch noch ganz viel Spielraum da, damit soziale Netzwerke oder andere Internetdienste so aufgebaut werden, dass es eben eher ein faires Geschäft ist, wenn man dort seine Daten hinterlässt.

Maike Albath: Nun ist es aber so, es klang schon in unserem Gespräch an, dass diese sozialen Netzwerke durchaus auch eine Verrohung der Sitten mit sich bringen können.

Also, bei YouTube gab es einen Film vor zwei, drei Wochen, der ein Mädchen zeigte, das Welpen in den Fluss warf. Und das hat dazu geführt, dass eine Schülerin identifiziert wurde und sich dann 30 000 Facebook-Benutzer zusammentaten und wirklich eine Art Mobbing begonnen haben. Dieses Mädchen muss geschützt werden von der Polizei. Das ist digitale Barbarei. Herr Köhler, muss es da nicht Strukturen, die eingezogen werden, dass man auch solche Menschen schützt?

Thomas Köhler: In der Tat hat dort in dem Fall, den Sie ansprechen aus dem Münchner Umland, ein digitales Hexentreiben stattgefunden. Und das ist ganz sicher nicht der letzte Fall, den wir in dem Bereich sehen werden. Da wird da sehr vordergründig, sehr, sehr schnell wird hier irgendwas Vermeintliches verfolgt. Und das hat natürlich auch damit zu tun, dass das, was in anderen Büchern durchaus auch mal diskutiert und beklagt wird, nämlich so was, wie ein digitaler Mob, eben dadurch, durch diese vermeintliche Anonymität da zustande kommt.

Sie merken es vielleicht auch, wenn Sie zum Beispiel nur per Email kommunizieren im geschäftlichen Umfeld und es geht um kritische Dinge. Sie haben nicht den direkten Feedback, wie aus einem Telefongespräch oder einem persönlichen Gespräch. Und da stellt man dann ab und zu mal fest, dass sich manchmal auch triviale Dinge fast aufschaukeln zu irgendwelchen Hasstiraden. Und das scheint so eine Nebenwirkung dieser digitalen Kommunikation zu sein.

Das heißt, jeder muss sich da erst mal am Riemen reißen und überlegen, was tue ich denn da gerade? Und die Frage ist natürlich auch, ob ein Anbieter wie Facebook eine Gruppe mit irgendeinem Titel, "Die und die muss sterben", überhaupt zulassen sollte oder ob da nicht eigentlich eine Kontrolle greifen muss, weil das aus meiner Sicht, ich bin kein Jurist, aber schon fast eine Beihilfe ist zu einer geplanten Straftat.

Maike Albath: Wie sehen Sie das denn beide? Müsste man so etwas einführen wie eine Art Internetführerschein? Müsste es Teil der Erziehung werden? Ihr Buch, Thomas Köhler, geht ja so ein bisschen in die Richtung, dass es wirklich, Lars Reppesgaard sagte es schon, eine Art Knigge ist, also dass man lernt, umzugehen damit und überhaupt weiß, was mit einem passiert.
Müsste man da einen mündigen Internetbürger auch erziehen? Sollte das Teil der Schule werden? Wie meinen Sie das, Lars Reppesgaard?

Lars Reppesgaard: Also, in die Schule gehört so was selbstverständlich als Thema sehr viel stärker als bisher. Es gibt viele Lehrer, die tun auch ganz viel. Es gibt da aber auch leider Lehrer, die halten das Internet für Teufelszeug und sind da vielleicht nicht die richtigen Ansprechpartner. Ganz klar ist das eine Sphäre, wo Ausbildung passiert.

Selbstverständlich sind es auch die Medien. Da müsste es ein bisschen dahin gehen, dass man eben Technologiefortschritt nicht immer nur als technologisches Phänomen und als super begreift, sondern dass man vielleicht auch mal ein bisschen differenzierter betrachtet: Was passiert gerade gesellschaftlich? Was heißt das eigentlich? Was ist die Geschichte hinter der Geschichte von so einem Mädchen? – Ich denke, ein Internetführerschein ist eine unrealistische Forderung. Wer will den ausgeben? Wer will kontrollieren, dass nicht jemand doch am Computer von jemand anderes ans Netz geht? Das ist ein schöner Wunsch, aber wir werden damit leben müssen, dass es so was nicht gibt.

Maike Albath: Ihr Fazit, Thomas Köhler? Was ist empfehlenswert?

Thomas Köhler: Ich denke, wir sollten auf eins nicht verfallen, jetzt das Thema Internet zu verteufeln, was ja immer wieder passiert ist. So seit Mitte der 90er-Jahre kommen ja immer wieder die bösen Pädophilen usw., lauter wichtige Dinge, die aber dann dazu führen, dass natürlich manchmal die negativen Stimmen die Überhand haben. Wenn Sie mein Buch so verstehen, dann wäre es falsch verstanden.

Ganz im Gegenteil, ich möchte eigentlich die Mechanismen erklären. Und letztendlich muss sich jeder damit beschäftigen, der irgendwo online geht oder der auch im Berufsleben steht. Und die Eltern müssen anfangen. Das wäre der erste Schritt, dass sie sich informieren, insbesondere, wenn ihre Kinder so ins Internetalter kommen. Und das ist ja nun immer früher der Fall. Und später letztendlich müsste man auch, ja, ich sag mal, weiter aufklären.

Aber letztendlich müssen die Leute selber entscheiden, was sie tun und inwieweit sie das tun. Einen Internetführerschein oder so was, das wurde ja vor Jahren schon diskutiert aus rein technischer Sicht, halte ich für nicht sinnvoll oder überhaupt nicht zielführend. Ich denke aber, dass Medienkompetenz eigentlich laufend gelernt und weiter gelernt werden muss. – Auch hier lebenslanges Lernen, ganz klar.

Maike Albath: Wir sprachen über das neue Buch von Thomas Köhler, "Die Internetfalle". Es ist gerade erschienen in der Buchserie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jetzt haben wir noch Zeit für einen ganz altmodischen analogen Buchtipp. Lars Reppesgaard, was möchten Sie uns ans Herz legen?

Lars Reppesgaard: Ich würde eigentlich jedem Leser "Afrikanisches Fieber" von Ryszard Kapuscinski ans Herz legen. Ich hab noch die alte Ausgabe von Eichborn, die ganz zerlesen ist inzwischen. Jetzt gibt's von Piper das Ganze als Taschenbuch. Und das ist einfach eine fantastische Art und Weise, wo man sehen kann: So toll kann jemand einfach sich in fremde Leben, fremde Gesellschaften, fremde Umstände einfügen, das wertschätzend erzählen. Und das hat mich in meinem Leben inspiriert und das hat unter anderem dazu geführt, dass ich sagte, ich möchte Journalist werden, dieses Buch.

Maike Albath: Solche Konsequenzen kann Lektüre haben. – Sie, Herr Köhler?

Thomas Köhler: Ich hab noch ein kleines Büchlein. Das heißt: "Danke für Ihre Email" von Christoph Moss. Christoph Moss ist Professor an einer Hochschule in Dortmund. Und er hat Wissenswertes, Kurioses, aber auch Nützliches rund um das Thema Email, also, passend jetzt zu unserem Hauptthema, zusammengetragen. Er geht unter anderem auch der Frage nach, die wir vorhin schon andiskutiert haben, warum denn hier so kommunikative Missverständnisse entstehen. Insofern, meine Empfehlung.

Maike Albath: Das ist erschienen bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", genau wie Ihr Buch. Ich bedanke mich bei meinen Gästen Lars Reppesgaard und Thomas Köhler für ihren Besuch in unserem Buchmessen-Studio.

Das war Lesart Spezial aus Frankfurt.

Nicholas Carr: Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange? - Wie das Internet unser Denken verändert
Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind
Blessing Verlag, München

Thomas Köhler: Die Internetfalle – Was wir online unbewusst über uns preisgeben und wie wir das WorldWideWeb sicher für uns nutzen können
F.A.Z.-Buch, Frankfurt am Main
Cover " Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?" von Nicholas Carr
Cover " Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?" von Nicholas Carr© Blessing Verlag
Cover "Die Internetfalle" von Thomas Köhler
Cover "Die Internetfalle" von Thomas Köhler© F.A.Z.-Buch
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