Im Namen des Dschihad

25.06.2007
Durch die jüngsten innerpalästinensischen Kämpfe ist die Hamas erneut ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten. Die Islamisten wollen die uneingeschränkte Macht über Palästina. Der Historiker Joseph Croitoru gibt in seinem Buch "Hamas. Der islamische Kampf um Palästina" einen Überblick über die Wurzeln, die Ideologie und die Entwicklung der radikal-islamischen Organisation.
Seit den Ereignissen in Gaza vor zwei Wochen, ist die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas verstärkt ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit getreten. Mit ihrer gewaltsamen Machtübernahme in dem kleinen Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten manifestiert Hamas ihren Einfluss auf die Politik im Nahen Osten. Wer aber verbirgt sich hinter den vermummten Kämpfern, was sind ihre Ziele?

Der in Haifa geborene, seit vielen Jahren in Deutschland lebende Historiker und Journalist Joseph Croitoru hat 2003 bereits ein fundiertes Buch über die historischen Wurzeln von Selbstmordattentaten vorgelegt. In seinem neuesten Werk befasst er sich mit der "Islamischen Widerstandsbewegung Palästinas": "Hamas - Der islamische Kampf um Palästina."

Croitoru wertet neben englischsprachigen vor allem auch arabische und hebräische Quellen aus. Darunter viele Internetportale. Sein Buch ist das einzige in deutscher Sprache, das sachlich und detailliert die historischen Wurzeln der Hamas, ihrer Ideologie und die Entwicklung der Organisation bis heute übersichtlich nachzeichnet. Wer es liest, wundert sich kaum über die unlängst erfolgte, gewaltsame Marginalisierung der Fatah des gemäßigten palästinensischen Präsidenten Abbas durch die Hamas in Gaza. Man staunt vielmehr darüber, dass sie erst jetzt stattfindet. Abbas’ Führungsanspruch als Vertreter der Palästinenser ist nicht gesichert. Nach Croitorus Befund ist der Einfluss der Hamas auch im Westjordanland erheblich, obgleich weniger sichtbar.

Die Ursprünge der militanten islamischen Widerstandsbewegung Hamas, die sich vor 20 Jahren formierte, findet der Autor in der vom Ägypter Hassan al-Banna 1928 gegründeten "Muslimbruderschaft" - einer Vereinigung, deren vorrangiges Ziel darin bestand, Ägypten, damals britisches Protektorat, vom Einfluss der Kolonialmacht zu befreien und in den Schoß des Islam zurückzuführen. Die Muslimbrüderschaft, die schnell Filialen in anderen arabischen Ländern bildete, ist ideologisch und strukturell das Vorbild der Hamas und bis heute, vom Iran unterstützt, in islamischen Ländern aktiv.

Von Beginn an war es Ziel der Muslimbrüder, die Gesellschaft islamisch umzuerziehen. Anfangs wenig revolutionär, strebten sie eine Reformierung bestehender Verhältnisse an. Einfluss auf weite Teile der Gesellschaft nahmen sie, darin christliche Missionsarbeit kopierend, durch ihre soziale und karitative Arbeit. Sie betrieben Krankenhäuser, stärkten die Solidarität unter Muslimen, kümmerten sich um Jugendliche, Arme und Alte. Vergaben Stipendien, organisierten Kulturveranstaltungen. Gleichzeitig bekannten sich die Muslimbrüder als religiöse Organisation - verpflichteten sich zum Dschihad, gaben Verhaltensregeln vor, bestanden auf Verbreitung des Islam und unterstrichen dessen Totalitätsanspruch.

Croitoru geht chronologisch vor. Zu Beginn seines Buches schildert er die Entstehung der Muslimbrüderschaft. Dann die durch Gründung des Staates Israel 1948 veränderte politische Situation im Nahen Osten. Er zeigt auf, dass der Widerstand gegen den jüdischen Staat seitens der Muslimbrüder schon in den 40er Jahren stark religiös geprägt und die Eroberung ganz Palästinas ihr ausdrückliches Ziel war.

Den Israelis galt lange Zeit die 1958 von Jassir Arafat gegründete, säkulare palästinensische Kampforganisation Fatah als Hauptfeind. Auch nach Besetzung der im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberten Gebiete, ließ die israelische Militärverwaltung zu, dass die Islamisten ihren Einfluss vergrößerten. Glaubte sie doch, dass palästinensische Jugendliche, die in den Moscheen der Muslimbrüder Koranstunden nahmen oder unter ihrer Aufsicht sich sportlich betätigten, nicht den Untergrundkampf der Fatah unterstützten.

Wie sehr sich die Israelis getäuscht hatten macht der Autor in aller Schärfe deutlich. Als 1987 die Intifada ausbrach, gründeten die Muslimbrüder in Palästina, die sich zuvor bereits bewaffnet hatten, ihre Kampforganisation Hamas. Sie kämpfte an zwei Fronten: gegen Arafats Fatah, die den Konflikt mit Israel in den folgenden Jahren vom bewaffneten Kampf auf die politische Ebene verlagern wollte. Und gegen Israel selbst. Hamas sprach Israel jegliches Existenzrecht ab, bekannte sich zum Krieg als einzige Lösung der palästinensischen Frage und definierte sich selbstbewusst als Erfüller eines göttlichen Plans.

Joseph Croitoru zeigt, dass die Geschichte der Hamas untrennbar mit der der Fatah verbunden ist. Beide Organisationen konkurrierten von vornherein um den Führungsanspruch im Palästinenserlager. Geschickt profilierte sich Hamas gegenüber der zunehmend unglücklich taktierenden Fatah und unterhöhlte deren Friedensbemühungen immer wieder mit gezielten Terroranschlägen in Israel, sowie massiven Einschüchterungen derjenigen Palästinenser, die sie nicht unterstützten. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah kommt es bereits seit den 80er Jahren.

Croitorus Buch liefert das Hintergrundwissen zum Verständnis der aktuellen Situation. Die gewalttätige Entmachtung der Fatah in Gaza durch die Hamas muss man als konsequente Umsetzung ihres Programms verstehen. Für die Zukunft lässt das nichts Gutes erwarten. Weder für die Palästinenser, noch für die gesamte Region.

Rezensiert von Carsten Hueck

Joseph Croitoru: Hamas. Der islamische Kampf um Palästina
C.H. Beck Verlag, München 2007
254 Seiten, 19,90 Euro
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