Im Namen der Freiheit

Rezensiert von Cora Stephan · 14.12.2008
Die Freiheit der Frauen ist immer noch eine Diskussion wert. Der Grund: Gerade beim weiblichen Geschlecht meinen immer noch zu viele Außenstehende zu wissen, was für sie das Beste ist. Ein Plädoyer dafür, den Frauen ihre eigene Wahl zu lassen, ist Susan Pinkers Werk "Das Geschlechterparadox".
Frauen können alles, und das auch noch besser. Die Rede vom angeborenen Schwachsinn des Weibes wagt heutzutage keiner mehr - nicht nur, weil es politisch nicht korrekt wäre. Sondern weil die Evidenzen schon im Vorschulalter klar zu Tage treten: Mädchen lernen schneller und besser, werden seltener auffällig oder aggressiv, sind angepasster, friedfertiger, besser gerüstet also fürs Leben. Weshalb sie, trotz Bundeskanzlerin hier, Aufsichtsrätin dort, noch immer Exoten in den Vorstandsetagen der Macht sind?

Es kann nur an einem liegen: an einer Verschwörung, da mächtige Männer stets diejenigen bei der Job- und Machtvergabe zu bevorzugen scheinen, die weniger schlau, stark und schön sind als die weiblichen Mitbewerber: den durchschnittlichen Mann, der zwar weniger im Hirn hat (und auch nicht unbedingt mehr in der Hose), dafür aber bereit ist, seinem Chef 60 Stunden in der Woche in den Allerwertesten zu kriechen.

Das ist die eine Sicht der Dinge: Frauen als Opfer der Verhältnisse, wie gehabt. Was aber, wenn sie mittun bei diesem Spiel?

"Die meisten Frauen der westlichen Welt sind heute erwerbstätig. Doch hochbegabte, qualifizierte Frauen mit den besten Chancen und Wahlmöglichkeiten schlagen offenbar nicht in gleicher Zahl die gleichen Wege ein wie die Männer in ihrem Umfeld",

konstatiert die amerikanische Psychologin und Journalistin Susan Pinker. Und um ihre These vorwegzunehmen: Frauen nehmen sich die Freiheit, die sie heute haben, um sich anders zu entscheiden als Männer, weil sie andere Ansprüche ans Leben und ans Berufsleben haben. Männer und Frauen sind unterschiedlich.

Diese These ist heute noch immer heftig umstritten. Wer sich die Freiheit nimmt, Frauen in ihren Lebensentscheidungen ernst zu nehmen, wer daraus auf Geschlechtsunterschiede schließt und gar die Biologie, die Hormone, die "Natur" zitiert, darf mit erbittertem Widerstand rechnen. Frauen selbst trauen der Freiheit ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht, bezweifeln, dass sich Frauen wirklich frei für Kinder und Haushalt entscheiden könnten oder selbstbewusst dem sozialen Beruf statt der lukrativen Karriere den Vorzug geben. Reden von Manipulation, erinnern mahnend an die Rente.

Doch unbeirrt treffen die meisten Frauen auch weiterhin wenig karrierefördernde Entscheidungen, arbeiten Teilzeit und lassen sich von den Männern abhängen, die mit größerem Ehrgeiz und der freiwilligen 60-80-Stundenwoche an ihnen vorbeiziehen. Sie scheinen, ganz einfach, andere Ziele zu haben:

"(Viele) Frauen betrachten es nicht als ihre vordringliche Aufgabe, ihren Status aufzupolieren, indem sie bluffen oder Werbung in eigener Sache machen. Ihnen kommt es in erster Linie darauf an, daß sie wegen ihres Könnens, ihrer Wertvorstellungen und ihrer inneren Qualitäten ernst genommen werden. Das hat nicht zur Folge, daß Frauen mit geringerer Begabung sich selbst aus dem Rennen nehmen, sondern daß viele begabte Frauen gar nicht erst antreten. Ihre zögernde Haltung gibt anderen Kandidaten, die vielleicht weniger qualifiziert, aber selbstbewußter sind, die Möglichkeit, diesen Platz einzunehmen."

Männer glauben eher an sich, setzen sich eher durch, gehen größere Risiken ein, überschätzen sich meist und sind damit auch noch erfolgreich.

Und Frauen sind dafür sozialer, werteorientierter, netter? Wenn nur das die Botschaft wäre, könnte man das Buch getrost weglegen. Aber Pinker informiert fast ebenso umfangreich über Leiden und Lust der Männer: über ihre wenig attraktive biologische Rolle, die ein freundlicher Anthropologe mal mit "Stud, Dud, Thud" umschrieben hat - also etwa: rammeln, versagen, tot umfallen.

Über männliches Genie und Wahnsinn. Über unermüdliche Schaffer, die sich krummlegen für die künftige Rente - und dann, wie zum Hohn, kurz nach dem 65. Lebensjahr tot umfallen. Über Jungkriminelle, Abenteuerer, Zocker.

"Die wissenschaftliche Erforschung der Geschlechterunterschiede ist zweifellos eine Wundertüte voller Überraschungen. Es herrscht die verbreitete Überzeugung, daß Männer das stärkere Geschlecht seien und daß sie durch historische und kulturelle Vorurteile weiterhin bessere Startvoraussetzungen hätten. Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, daß Männer anfällig für alle möglichen biologischen und psychologischen Pannen sind und unter einer Vielzahl von Lern- und Verhaltensproblemen leiden. Andererseits führt eine stärkere Neigung zu Wettbewerb und Wagemut einige Männer zu höchsten Leistungen und spektakulären Erfolgen - und andere zu traurigen Rekordzahlen bei Unfällen und Selbstmorden."

Einige Männer bezahlen ihr Genie und ihre Leistungsfähigkeit mit partiellem Wahnsinn. Frauen, könnte man schließen, sind in ihrer Mehrzahl die normaleren - und deshalb machen sie nicht jeden Unsinn mit. Das hält gesund, beschert eine längere Lebensdauer und womöglich auch mehr Freude. Also wieder mal: Frauen, das bessere Geschlecht?

Damit täte man dem Buch unrecht. Dass wenige Männer zu extremeren Leistungen fähig sind, obwohl viele Frauen begabter sind als der männliche Durchschnitt, erkaufen sie mit Asperger, ADHS oder Legasthenie. Ihre Ausnahmeleistungen ermöglichen ihnen kein besseres Leben, wohl aber allen anderen, von ihrem Genie zu profitieren.

Das Leben wäre ärmer ohne verrückte Männer und weit gefährlicher ohne vernünftige Frauen. Ganz offenkundig gehören beide zum Spiel - wie übrigens auch die etwa 20 Prozent der Frauen, die das männliche Karrieremodell vorziehen und jene Minderheit der Männer, die es lieber kuschelig hat.

Ob jeder Einzelbefund in Pinkers Buch stimmt, soll hier nicht beurteilt werden. Für viele ihrer Thesen jedoch sprechen Anschauung und Erfahrung. Wer wollte leugnen, was man täglich erleben kann? Männer und Frauen unterscheiden sich und wenn man ihre je unterschiedlichen Qualitäten schätzt oder gar gewinnbringend einsetzen will, muss man ihre Vorlieben berücksichtigen.

Insbesondere gilt das für die Wiedereinstiegschancen von Frauen ins Berufsleben, die der Kinder wegen zeitweilig ausgestiegen sind: Frauen sind weniger auf das mit der Rente beschlossene Berufsende fixiert, sie suchen nach sinnvoller Beschäftigung, sind allerdings nicht dumm genug, für jeden Preis fast alles zu tun.

Alles spricht also für ein Zurückdrängen des männlichen Karrieremodells, für die Entzerrung von Berufsbiografien und für eine neue Form der Kooperation der beiden mit unterschiedlichen Präferenzen und Stärken ausgestatteten Geschlechter.

"Einige geschlechtsspezifische Asymmetrien am Arbeitsplatz sind nicht Ausdruck versteckter Vorurteile, sondern Zeichen für eine freie und aufgeklärte Gesellschaft, in der Individuen fähig sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen… Die Möglichkeit, den eigenen Neigungen zu folgen, anstatt tun zu müssen, was andere für passend halten, gehört dazu."

Was also soll die Aufregung? Biologische Unterschiede zu leugnen, wäre dumm. Man sollte lediglich klug mit ihnen rechnen. Denn schon ein bisschen soziale Fantasie kann aus Unterschieden einen Vorteil machen. Nötig wäre das allemal: mit einer älter werdenden Gesellschaft kann man weder auf gut qualifizierte Frauen noch auf Ältere verzichten. Ihre Bedürfnisse werden also zu berücksichtigen sein. Kein Rollback, sondern ein neuer Generations- und Geschlechtervertrag kündigt sich an.

Susan Pinker: Das Geschlechterparadox - Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen
Aus dem Englischen von Maren Klostermann
Deutsche Verlagsanstalt, München 2008
Susan Pinker: Das Geschlechterparadox
Susan Pinker: Das Geschlechterparadox© Deutsche Verlagsanstalt