"Im Großen und Ganzen wird die Meinungsfreiheit respektiert"

Mohammed al-Achaari im Gespräch mit Britta Bürger · 15.09.2011
Der frühere marokkanische Kulturminister und Schriftsteller Mohammed al-Achaari ist überzeugt, dass die Demokratisierung seines Heimatlandes weiter voranschreiten wird. Allerdings gebe es auch in Marokko eine Reihe islamistischer Strömungen, die sich staatlicher Kontrolle entziehen.
Britta Bürger: Er ist Anfang 60 und lebt in Rabat, der marokkanische Schriftsteller und langjährige Kulturminister Mohammed al-Achaari. Derzeit ist er zu Gast beim internationalen Literaturfestival in Berlin, wo er unter anderem seinen Roman "Der Bogen und der Schmetterling" vorgestellt hat, ein Buch, für das al-Achaari den internationalen Preis für arabische Belletristik bekommen hat. Herr al-Achaari, herzlich willkommen hier bei uns im "Radiofeuilleton"!

Mohammed al-Achaari: Merci beaucoup!

Bürger: In diesem noch nicht auf Deutsch übersetzten Roman geht es um die Auswirkungen des islamistischen Terrors auf das Leben einer liberalen muslimischen Familie. Der Vater steht politisch links und muss erfahren, dass sein Sohn nicht wie behauptet in Paris studiert, sondern, dass er als Märtyrer in Afghanistan gestorben ist. Herr al-Achaari, wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen? Hat sie einen realen Hintergrund?

al-Achaari: Nun, das basiert jetzt nicht ganz direkt auf Dingen, die sich so zugetragen haben. Andererseits ist dieser Terrorismus, von dem ich rede, ja schon etwas sehr Reelles, was die internationale Gemeinschaft doch in den letzten Jahren sehr durcheinandergewirbelt hat. Und ich habe mir also diese Geschichte ausgedacht, wie das Leben in einer ganz normalen bürgerlichen Familie durcheinandergebracht wird, wenn so etwas wie der Terrorismus dort mit eindringt. Und das war der Ausgangspunkt für diese Geschichte.

Bürger: Und kommt es Ihnen dabei vor allem auf den privaten Konflikt an, also den klassischen Vater-Sohn-Konflikt, in dem sich der Junge radikal vom Alten absetzt? Oder interessiert Sie mehr doch die öffentliche, die politische Ebene, warum sich junge Menschen von den Islamisten angezogen fühlen?

al-Achaari: Nun, Eltern haben immer Angst um ihre Kinder, nur bisher geschah dies aus anderen Gründen. Man hatte Angst, dass sie drogenabhängig sind, dass sie vielleicht Verbrecher werden, oder dass sie in der Schule versagen. Aber nun gibt es eine neue Angst, nämlich, dass man eines Tages erfährt, dass der eigene Sohn oder die eigene Tochter Terrorist geworden ist, Dschihadist geworden ist. Und das ist eine ganz reelle Gefahr. Man kann heutzutage wirklich die Zeitung lesen, und man liest dann plötzlich über Menschen, mit denen man aufgewachsen ist, die man gekannt hat, dass sie zu solchen Monstern geworden sind, die zu Mitteln des Terrorismus greifen, und das allein ist schon sehr destabilisierend.

Bürger: Welche Rolle spielen die Islamisten in Marokko, und wie positioniert sich die Regierung jetzt unter König Mohammed VI. dazu?

al-Achaari: Es gibt da diverse islamistische Bewegungen. Es gibt eine, die ist legitimiert, das ist eine politische Partei. Sie hat ihre Rolle im Parlament, sie spielt ihre Rolle im Parlament, und sie wird auch als solche und als politische Partei akzeptiert. Dann gibt es aber auch eine islamistische Bewegung, die ist nicht legitimiert, ist allerdings auch in der Gesellschaft präsent, und drückt sich manchmal auch auf eine sehr gewalttätige Art und Weise aus. Und dann darf man nicht vergessen, gibt es sozusagen die Antennen von anderen, internationalen islamistischen Terrorbewegungen, wie beispielsweise El Kaida, oder aber auch diverse andere terroristische Bewegungen vom Dschihad, die versuchen, ihre Antennen bis nach Marokko hin auszustrecken. Und wir haben von beiden islamischen Bewegungen oder islamistischen Bewegungen Beispiele, also einerseits die politische Partei, die akzeptiert ist, mit der wir umgehen können, und dann aber eben auch, es gab Attentate in Marokko, Attentate, die sehr gewalttätig waren, und da ist die Haltung des Königs und auch aller politischen Parteien in Marokko ziemlich eindeutig: Man ist da sehr unnachgiebig, was diese Form des Terrorismus betrifft. Aber wir sind eine moderne demokratische Gesellschaft, das ist das Streben des Königs, und wir sind auch eine muslimische Gesellschaft, und das impliziert, dass da auch weniger akzeptable Strömungen des Islamismus sich in dieser Gesellschaft befinden.

Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Mohammed al-Achaari, dem marokkanischen Schriftsteller und langjährigen Kulturminister des Landes. 2007 ist er aus diesem Amt ausgeschieden. Herr al-Achaari, welchen Gestaltungsspielraum hatten Sie als Minister in Marokko, als Kulturminister, und wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?

al-Achaari: Lassen Sie mich vielleicht zunächst erklären, wie ich überhaupt Kulturminister geworden bin. Dazu muss ich vielleicht ein wenig ausholen und muss sagen, ich bin Teil einer Familie, die politisch sehr links stand und die immer sehr für die Demokratie in Marokko gekämpft hat und dafür auch einen Preis bezahlt hat.

In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre gab es zum ersten Mal in Marokko relativ freie Wahlen, die dazu führten, dass die Partei, der meine Familie auch angehört, zur größten Partei in Marokko aufstieg und Hassan II., der am Ende seiner Regierungszeit angekommen war, war sehr beunruhigt und hat dann doch beschlossen, seine Regentschaft irgendwie positiv abzuschließen und gerade auch der Jugend und der marokkanischen Gesellschaft ein positives Signal mitzugeben. Und so hat er selber – und das war das erste Mal in der Geschichte des unabhängigen Marokkos – einen politischen Wandel eingeleitet, der dazu führte, dass er einen Oppositionsführer, der im Exil in Frankreich lebte, damit beauftragt hatte, eine neue Regierung zu bilden, und dieser große Mann, dieser große Demokrat, der bat mich, in dieser Regierung Kulturminister zu werden, sodass ich dann 1998 Kulturminister wurde, also etwas ganz Anderes machte, als was ich bis dahin getan hatte. Bis dahin war ich der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes und auch Journalist. Aber nun, ab 1998, wurde ich dann Kulturminister.

Und mir war es vor allen Dingen wichtig, in dieser Zeit, wo ich die Kulturpolitik beeinflussen konnte, vor allen Dingen etwas für die Produktion, für die kulturelle Produktion zu tun, also ganz besonders fürs Theater, für die Musik, auch für Galerien, für die Künste im weiten Sinne. Und da war es auch erst mal ganz wichtig, staatliche Hilfen erst einmal zu etablieren, Kulturhäuser zu bauen, Flächen auch für Bibliotheken oder Mediatheken zu schaffen, eine Art Infrastruktur, eine Art kulturelle Infrastruktur in den Städten zu schaffen, das war auch sehr wichtig. Und dann ging es mir auch um die Bewahrung des marokkanischen kulturellen Erbes, das erst einmal gesichert werden musste, das konserviert werden musste. Und das waren, wenn Sie so wollen, so die großen Achsen in meiner Zeit, als ich Kulturminister war. Und ich habe auch dafür gesorgt, dass die Städte sich kulturell belebten durch Festivals, durch Musikfestivals, Theater, auch durch Kinofestivals, aber das waren sozusagen die zwei Mandate, die ich ausgefüllt habe, da ging es mir um diese Dinge.

Bürger: Im Laufe der Jahre wurde Ihr Amt als Kulturminister auch ausgeweitet zum Ministerium für Kultur und Massenmedien. Das heißt, das Thema Meinungsfreiheit fiel unmittelbar in Ihren Zuständigkeitsbereich. Wie steht es heute in Marokko um die Meinungsfreiheit?

al-Achaari: Man kann schon sagen, dass sich das seit 1998 doch sehr weit entwickelt hat. Natürlich gibt es immer noch Probleme zwischen der Presse und der politischen Macht, aber im Großen und Ganzen wird die Meinungsfreiheit respektiert. Und nicht nur in der Presse, sondern auch bei den Verlagen – überhaupt allgemein in der Kunst, es findet keine Form von Vorzensur mehr statt, und Künstler dürfen wirklich sehr, sehr viel wagen, ohne da gestört zu werden. Was die Presse betrifft, gibt es natürlich manchmal immer noch Konflikte, gerade zwischen einer unabhängigen Presse und der politischen Macht im Land. Und wir sind dennoch weit, weit entfernt von den Zeiten, wo die Meinungsfreiheit doch sehr, sehr stark eigenschränkt war bei uns in Marokko. Also, man könnte sagen, es herrscht noch keine völlige Meinungsfreiheit, aber sie geht mittlerweile schon sehr, sehr weit.

Bürger: Während der Diktatur in Marokko sind ja sehr viele Künstler und Intellektuelle ins Exil gegangen. Ein prominenter Vertreter ist zum Beispiel der Schriftsteller Tahar ben Jelloun, der nach Paris gegangen ist. Er war vergangene Woche hier bei uns auch zu Gast. Inwieweit gibt es Austausch oder auch Auseinandersetzungen zwischen jenen Autoren, die ins Exil gegangen sind, und denen, die in Marokko geblieben sind?

al-Achaari: Also, ich möchte hier vielleicht einfügen, dass Tahar ben Jelloun niemals von Zensurmaßnahmen oder von irgendwelchen Verfolgungsmaßnahmen der Diktatur betroffen war, das ist nicht der Grund, warum er nach Frankreich gegangen ist. Ich könnte Ihnen sehr wohl andere Namen zitieren von Leuten, die wirklich unter der Diktatur gelitten haben und die wirklich gezwungen waren aus politischen Kunden ins Exil zu gehen, das war allerdings bei Tahar ben Jelloun nicht der Fall. Es gab durchaus sehr, sehr große Dichter, auch sehr, sehr große Schriftsteller, die nicht nur jahrelang im Gefängnis saßen, sondern dann auch noch jahrelang ins Exil gegangen sind, und während dieser bleiernen Zeit bei uns in Marokko, da waren es wirklich die Künstler, es waren die Schriftsteller, die Kulturschaffenden, die den Kampf gegen die Diktatur aufgenommen haben, sie waren sozusagen die Avant-Garde im Kampf für Freiheit und Demokratie, und sie waren auch die ersten Opfer der Repression. Und es gab keinen einzigen großen politischen Prozess in Marokko, bei dem nicht Kulturmenschen, Kulturschaffende, Künstler auf der Anklagebank gesessen hätten.

Bürger: Mohammed al Achaari. Der marokkanische Schriftsteller und ehemalige Kulturminister des Landes war zu Gast hier bei uns im Deutschlandradio Kultur. Herzlichen Dank für das Gespräch!

al-Achaari: Merci à vous.

Bürger: Und danke auch Jörg Taszman für die Übersetzung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema:
Der arabische Aufstand - Sammelportal