Im Club der Audiofreaks

Von Ingo Kottkamp · 19.09.2006
Hall, Delay, Flanger, Vocoder, Verzerrer - Musik ist voll von Effekten. Früher war dazu die Arbeit in einem teueren Studio erforderlich, heute wird die Musik am Computer bearbeitet. Erforderlich ist dazu nur eine entsprechende Software und die stellt das Portal <papaya:link href="http://www.smartelectronix.com/" text="Smartelectronix" title="Smartelectronix" target="_blank" /> kostenlos zur Verfügung.
Kaum noch vorstellbar ist heute die Zeit, als die elektronische Musik ihre ersten Gehversuche machte. Karlheinz Stockhausen schuf Mitte der 50er Jahre den "Gesang der Jünglinge" inmitten eines Arsenals aus Studioapparaturen. Elektronische Musik fand damals in wenigen, sündhaften teuren Studios statt. Die bekanntesten standen in Köln und Paris – Tempel der Moderne, in die kein normal Sterblicher Zutritt hatte.

50 Jahre später. Auch die Band "Funkstörung" macht elektronische Musik, die weltweit gehört wird. Doch diese Musik entsteht im Wohnzimmer – mit Rechner, Musiksoftware und kostenlosen Effekten aus dem Internet.

Zu Besuch bei Andreas Schnetzler in Basel. Im Internet nennt er sich ioplong und ist einer von 15 Programmierern beim Internetportal Smartelectronix. Smartelectronix macht so genannte Plugins und stellt sie kostenlos im Internet zum Herunterladen bereit. Plugins, das sind kleine Hilfsprogramme, die heutzutage beinahe bei jeder Musikproduktion verwendet werden. Einige erzeugen Klänge mit dem Rechner, andere verfremden vorhandene Klänge.

"Es gibt ja zwei Arten von Plugins, es gibt die so genannten Instrumente und die so genannten Effekte. Es ist eigentlich ein Programm, das die Funktionalität eines anderen Programms erweitert."

In diesem Fall die eines Tonbearbeitungsprogramms. Dort spielt man eine Audiodatei ab ...

"Also das ist ein Hall-Plugin."

... und schaltet das Plugin zu. Der Effekt Ambience stammt von einem Entwickler aus Schweden.

"Das ist ein Hall-Plugin."

Spielt man ein bisschen an den Reglern herum, kann man den Hall auch ins Unendliche verlängern.

"Smartelectronix ist eine Community von Audiosoftwareprogrammierern ... von Leuten, die sich zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig auch zu helfen in Programmierfragen und ein bisschen Spaß zu haben."

Smartelectronix wurde gegründet von Bram de Jong, einem umtriebigen Programmierer aus Belgien, der auch andere Projekte wie das kostenlose Geräuscharchiv Freesound ins Leben gerufen hat. Anfangs war er allein; seit 2001 kamen Mitglieder unter anderem aus Schweden, Russland, Frankreich und den USA dazu. Wobei "gründen" und "Mitglieder" eigentlich die falschen Begriffe sind für diesen Club der Audiofreaks, der eher einem virtuellen Programmierertreff gleicht als einem Verein mit Satzung und Statuten. Gemeinsam ist allen nur die Bereitschaft, für ihre Ideen ganze Nächte vor dem Rechner zu verbringen.

"... speziell für Musiksachen, die nicht unbedingt so ganz jetzt im großen Mainstream Erfolg haben würden."

Zum Beispiel Skidder, ein Plugin des amerikanischen Entwicklerteams Destroy FX. Skidder zeigt, wie man auch mit einfachen Ideen starke Wirkungen entfalten kann. Der Effekt stanzt einfach Pausen in die Tonaufnahme, deren Länge und Häufigkeit man variabel regeln kann.

Wer einen fertigen Bausatz komplett mit Anleitung erwartet, ist bei Smartelectronix falsch: Hier werden Bausteine von Tüftlern für Tüftler hergestellt.

"Es war auch nie die Idee, möglichst groß zu werden, sondern eigentlich mehr einfach, Leute zusammenzubringen, die irgendwie eine ähnliche Denkweise haben."

Zu der auch die Bereitschaft gehört, auf eigenes Risiko zu arbeiten. Die Programme sind kostenlos; wer will, kann dem Entwickler für seine langwierige Mühe etwas spenden. Donationware nennt sich dieses Konzept. Was dabei zusammenkommt, reicht aber kaum mehr als für ein paar CDs im Jahr.

"Das hat auch niemand erwartet, das man davon leben kann, es war mehr ... So vor drei vier Jahren gab’s mal so ’ne Diskussion bei Smartelectronix, ob wir auch Sharewaresachen zulassen wollen, also dass wir auch Software verkaufen können. Und dann haben wir uns aber entschlossen, das nicht zu machen, sondern, dass das alles gratis bleibt. Und dann kam halt die Donationwareidee so ’n bisschen als Mittellösung."

Ein komplett altruistisches Projekt ist die Freeware-Szene aber auch nicht. Viele stellen ihre Programme kostenlos ins Netz, um Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Andreas Schnetzler hat auf diese Weise seinen jetzigen Job in einer Firma für Musiksoftware gefunden. Dem Franzosen Remy Müller, ebenfalls Programmierer bei Smartelectronix, ging es ähnlich. Von ihm stammt Livecut, ein Programm, das auch in vielen professionellen Produktionen eingesetzt wird.

"Livecut ist ein Plugin, das automatische Breaks machen kann. Das heißt, man kann da einen Beatloop durchspielen und dann kommen zahlreiche Variationen hinten raus."

Komplett hat sich die Produktion von elektronischer Musik nicht ins Wohnzimmer verlagert. Es lässt sich nicht immer genau sagen, wo die private Bastelarbeit aufhört und das Engagement großer Firmen und Studios anfängt. Während Remy Müller weiterhin bei Smartelectronix werkelt, arbeitet er im Brotberuf für das IRCAM in Paris: das ist weltweit eines der renommiertesten musikalischen Forschungszentren. Auf diese Weise sind die Wohnzimmerfrickler doch noch angekommen in den Tempeln der elektronischen Musik.