Neuer Wohnraum im Münchner Umland

Im alten Kloster Schlehdorf entsteht eine Mega-WG

08:40 Minuten
Kloster Schlehdorf in Bayern.
Das Kloster in Schlehdorf in Bayern soll Co-Haus werden: Co-Living-Co-Working, Co-watching und ja auch Co-Cooking. © imago / imagebroker
Von Susanne Lettenbauer · 07.06.2019
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Wer eine Wohnung in München sucht, ist arm dran: Kaum etwas zu finden und die Mieten sind hoch. Die Genossenschaft Wogeno will nun in einem alten Kloster im Umland bezahlbaren Wohnraum schaffen. Es geht voran – aber gewiss ist der Erfolg noch nicht.
Kein Autolärm nirgends. Keine Hochhäuser oder Mietskasernen.
Nur Vogelgezwitscher, grüne Wiesen, das Blau des Kochelsees in der Ferne und dahinter die ersten Alpenspitzen. Um 770 schauten die ersten Mönche auf genau diese Gegend, die heute das "Blaue Land" genannt wird.
Die barocke Klosterkirche von Schlehdorf ist fast 1250 Jahre später bis zum Dach eingerüstet, Bauzäune stehen davor. Seit zehn Jahren restauriert das Denkmalamt Bayern die Fassade, ein Ende ist nicht abzusehen. Ein Symbol für den Wandel hier. Parkplätze sind rar, auf Pendler ist man hier, 65 Kilometer von München entfernt, noch nicht eingerichtet.

Die Nonnen sind schon umgezogen

Ulrike Rose, Expertin für die Transformation von Frauenklöstern steht vor der alten Eingangspforte – ohne Ordenstracht. Die Missions-Dominikanerinnen, die über 300 Jahre lang hier lebten, sind umgezogen, in einen kleineren Neubau nebenan.
Rose ist keine Nonne, sondern als Berliner Baukulturexpertin verantwortlich für den Umbau des Klosters, das demnächst als Wohngenossenschaft neues Leben in die alten Mauern bringen will: "Das ist die ehemalige Pforte, das ist jetzt mittlerweile unser Büro. Da haben wir alles freigeräumt. Hier ist der ehemalige Klosterladen."
Bis April 2018 liefen die verbliebenen 30 Missions-Dominikanernonnen die halligen Treppen auf und ab; begrüßten Besucher im Gästehaus; leiteten eine Mädchen-Realschule im angrenzenden Komplex; waren zuverlässig bei den Messen in der Klosterkirche dabei, die auch von der Pfarrei der Gemeinde Schlehdorf genutzt wird.
In Kürze gehört das Kloster nun der Wogeno. Jetzt hängen schon provisorische A4-Blätter mit den Namen der Gästezimmer auf jeder der drei Etagen. In Co-Working-Räumen stehen Laptops und Telefone. Im Hauskino, dem Co-Watching-Raum, laden Matratzen auf Paletten zum Relaxen ein. Drei Flügel stehen den Bewohnern zur Verfügung. Ein Fernseher im Gemeinschaftsraum. Im ehemaligen Nähzimmer der Nonnen wohnt jetzt ein junges Pärchen.

Co-Living und Co-Working im Kloster

"Bei diesen Sachen sieht man ja schon den neuen Geist. Das ist von einem Kommunikationsdesigner, Singhi Vanit, der hier bei uns im Haus ist, und der hat hier dieses Wegeleitsystem entwickelt. Dadurch dass es noch im Probebetrieb ist, ist alles noch so auf Papier."
222 Zimmer inklusive Keller und Dachgeschoss beherbergen die dicken Mauern, erklärt Ulrike Rose. Ein fünfköpfiges Team leitet das riesige Gebäude, mit dabei ein Hauswirtschafter, ein Geschäftsführer, Bürokräfte. 66 Zimmer seien bereits belegt, rund 80 Interessenten hätten sich von den Mitgliedern der Münchner Wogeno gemeldet, sagt Ulrike Rose. Und begrüßt Philipp Oswald, der vor einem Jahr aus Stuttgart zuzog:
"Ja, gute Frage: Warum ein Kloster? 'Probiere mal was Neues!', habe ich gedacht. Ich habe da nicht zurückgeschreckt vor so einem großen Objekt und Gebäude. Ich habe mich auch gleich wohlgefühlt in den dicken Mauern. Das ist echt eine positive Aura hier."

Alle müssen mithelfen wollen

Das alte Kloster nennt sich jetzt Co-Haus Schlehdorf. Co-Living-Co-Working, Co-watching und ja auch Co-Cooking – eine Mega-WG für junge Leute, Singles, Münchner, Oberbayern, Home-Office-Arbeiter, Freiberufler, Künstler. Einzige Bedingung: Alle müssen mithelfen wollen. Rasenmähen, Rosen schneiden, Gemüsegarten jäten, Flure und Fenster putzen:
"Das ist unser Kanban-Board, wie wir uns organisieren im Haus: Kann-man-machen, Ist-schon-im-Werden, Ist-erledigt. Dass heißt, wann immer wir vom Management Aufgaben haben oder jemand im Haus etwas sieht, was er selbst nicht erledigen kann, dann kommt das auf die linke Seite."

22 Häuser betreibt die Wogeno in München, 140 Wohnungen sind im Bau und schon an Mitglieder vergeben. Weitere 180 Wohnungen sind geplant und sollen in den nächsten drei bis vier Jahren fertig werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Seit Anfang 2019 greift die Genossenschaft verstärkt nach neuen Immobilien im Umkreis der Landeshauptstadt. Einerseits weil der Preis für Baugrund in der Stadt extrem gestiegen ist, auch für Genossenschaften. Andererseits, so Wogeno-Vorstand Peter Schmidt:
"Wir haben vor anderthalb Jahren einen Grundsatzbeschluss gefasst in den Gremien, wenn sich kompatible Elemente ergeben, Punkte, an die man andocken kann, die nicht unbedingt in der Kernstadt sind, sondern im Umland, dass wir uns das dann mit Interesse anschauen wollen, weil wir der Überzeugung sind, dass eine Kooperation zwischen Kernstadt und den ländlichen Regionen ringsum gut ist und notwendig und wir durch unsere Vorgehensweise gute Impulse setzen können".
"Guten Morgen, Moin, Hallo."
"Also, ich bin Maximilian. Ich wohne seit Juli 2018 primär im Kloster. Ich bin immer noch ein-, zweimal in der Woche in München bei der Arbeit, die restliche Zeit kann ich remote arbeiten, weil ich Software-Entwickler bin."
Kloster Schlehdorf am Kochelsee, Oberbayern, Bayern
Am Kochelsees steht das Kloster Schlehdorf, das bald bezahlbaren Wohnraum bieten soll. Nach München sind es nur gut 65 Kilometer.© imago / imagebroker

340 Euro im Monat, plus Zusatzkosten

Der 25-jährige Maximilian wohnte früher in einer WG in München, 18 Quadratmeter, 500 Euro. Künftig soll eine Klosterunterkunft 340 Euro kosten, die Betriebsausgaben können mit Eigenleistungen reduziert werden. Klingt verlockend, wären da nicht die Zusatzkosten für Fahrten ins 65 Kilometer entfernte München.
Finanziert wird das neue Co-Haus durch die üblichen Anteile, die jedes Mitglied zusätzlich zur Mitgliedschaft, die 1500 Euro kostet, zeichnen muss. Für ein Zimmer im Kloster kommen 10.000 Euro zusätzlich hinzu. Wer sich das nicht leisten kann, für den gibt es, wie auch in München, Finanzierungsmodelle oder Patenschaften.
Die ehemalige Klosteräbtissin Schwester Josefa kommt regelmäßig noch in ihr altes Kloster, wird von dem neuen weltlichen Management in die Testphase als Co-Haus mit einbezogen. "Mir geht es gut damit, wenn es gut weitergeht. Ich habe da kein Problem damit, Heimweh habe ich nicht."

Kauf noch nicht in trockenen Tüchern

Natürlich hätte sie eine christliche Nachnutzung bevorzugt, ein Bildungshaus, eine soziale Einrichtung oder am besten ein Klosterleben wie noch vor zehn Jahren:
"Ich war über 50 Jahre in diesem Kloster Schlehdorf, bin also in meiner Jugend hier hergekommen und bis zum Ende meiner Arbeitszeit hier gewesen. Und wir sind jetzt ausgezogen, weil die Schwesternzahl sich verringert hat. In ein neugebautes Haus außerhalb, also am Rande des Klosters, und wir sind jetzt auf der Suche und mit der großen Hoffnung, dass sich dieses Kloster wieder füllt mit sinnvollem Leben."
Noch ist der Kauf für die Münchner Wohnungsbaugenossenschaft nicht in trockenen Tüchern. Das zuständige Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen erwartet ein konkretes Konzept zur Umnutzung.
Der Brandschutz muss geprüft werden, das Denkmalschutzamt schaut argwöhnisch auf die neuen Betreiber. Alle alten Holzschränke, Kreuze, Gemälde oder Skulpturen wurden bereits auf einem Flur zusammengesammelt, katalogisiert und gesichert. Das historische Erbe, die Spiritualität des Ortes, die Geschichte des Hauses – für den künftigen Geschäftsführer Johannes Hochholzer gehört das zum Genossenschaftswohnen im Kloster dazu:
"Man muss auch sagen: Der Ort ist nicht für jeden. Wenn jemand jetzt nicht mit der spirituellen Geschichte dieses Ortes irgendwie einen Bezug findet, dann würde ich sagen, weiß ich nicht, ob das der richtige Ort ist. Die Leute müssen sich schon auch bewusst dafür entscheiden. Möchte ich hier leben, ist diese Form der Gemeinschaft etwas für mich? Das sollen die Leute herausfinden, herkommen und schauen, ob es passt."
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