Illustrator Axel Scheffler über den Brexit

"Wütend und enttäuscht"

Der Autor Axel Scheffler posiert in Köln vor einer Lesung im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne.
Axel Scheffler (*1957 in Hamburg) wurde vor allem mit seinen Illustrationen zum Kinderbuch "Der Grüffelo" bekannt, gemeinsam mit Autorin Julia Donaldson. Das Buch wurde ein Weltbestseller. © picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Axel Scheffler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.03.2017
Seit 35 Jahren lebt der deutsche Illustrator Axel Scheffler ("Der Grüffelo") mit seiner Familie in Großbritannien. Jetzt, da es mit dem Brexit ernst wird, fühlt er sich unsicher: Wird er bleiben können? Von seinem Gastland ist Scheffler enttäuscht.
Eigentlich lebt Axel Scheffler, wie er sagt, in einer Blase: London habe gegen den Brexit gestimmt - und sein Stadtteil, vermutet er, zu siebzig Prozent. Dennoch habe er das Gefühl, "als würde einem der Teppich unter den Füßen weggezogen":
"Ab heute sind wir nämlich - wie sie hier sagen: 'bargaining chips' in den Verhandlungen, also eine Art Spielgeld in den Verhandlungen, das eingesetzt wird - und unsere Sicherheit, hierbleiben zu können, ist weg von einem Tag auf den anderen."

"Wohin sollen wir eigentlich?"

Als EU-Bürger hätten er und seine französische Partnerin bisher das Recht gehabt, in Großbritannien leben zu können. Das stehe nun "in den Sternen". In den 35 Jahren hätten sie in dem Land ihr Leben aufgebaut und sich auch in die britische Gesellschaft eingebracht: "Das ist wirklich ein sehr unangenehmes, trauriges Gefühl, ich bin sehr wütend darüber und enttäuscht von meinem Gastland." Mehr und mehr -"eigentlich jeden Tag" - denke er an Umzug, so Scheffler: "Es kommen einem die Momente, wo man nachts wachliegt und denkt: Wann machen wir den Schritt und wohin sollen wir eigentlich?"
Eine Hoffnung hat der Künstler: Wenn die "leave voter" in ihrem Geldbeutel die Auswirkungen des Brexit spürten, werde es vielleicht ein zweites Referendum geben.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Ab heute tickt sie, die Uhr. Der Brexit ist beschlossene Sache, der Brief an die EU wird heute in Brüssel übergeben. Tja – wie aber ist das, so als EU-Bürger zu leben im Brexit-Land? Die Frage können, die Frage müssen drei Millionen Menschen beantworten, die dort leben, auf den britischen Inseln. Und auch der Illustrator Axel Scheffler, den Sie ganz sicher kennen, denn er hat den Kinderbuchklassiker "Grüffelo" gezeichnet, er lebt seit vielen Jahren in Großbritannien und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Scheffler!
Axel Scheffler: Schönen guten Morgen aus London, oder Richmond, genauer gesagt.
von Billerbeck: Wie fühlen Sie sich dieser Tage? Auch wie ein Alien, wie damals Sting beschrieben hat, als er als English Man in New York war?
Scheffler: Als Alien fühle ich mich noch nicht wirklich hier. Ich lebe hier seit 35 Jahren, und das war 35 Jahre lang mein Zuhause, das geht nicht so schnell weg. Ich fühle trotzdem, dass – man hat immer das Gefühl, als würde einem der Teppich unter den Füßen weggezogen. Ab heute sind wir nämlich, wie sie hier sagen, bargaining chips in den Verhandlungen, also eine Art Spielgeld in den Verhandlungen, das eingesetzt wird. Und unsere Sicherheit, hier bleiben zu können, ist weg von einem Tag auf den anderen.

"Wir leben in totaler Unsicherheit"

von Billerbeck: Woran machen Sie das fest, dass Sie plötzlich so ein Gefühl haben, da rutscht Ihnen der Boden unter den Füßen weg?
Scheffler: Das Gefühl war eigentlich schon nach dem Brexit-Votum da. Wir machen das fest, dass wir in totaler Unsicherheit leben im Moment, wie es weitergeht, was unser rechtlicher Status hier sein wird. Bisher durften wir hier sein. Großbritannien wird noch zwei Jahre in der EU bleiben, das auf jeden Fall, so lange können wir noch hier sein. Was danach passiert, steht in den Sternen. Ja, es ist einfach diese Ungewissheit, die wir jetzt haben, die die ganze Zeit nicht da war.
von Billerbeck: Beschreiben Sie uns das doch mal konkret. Was sind denn die Dinge, die Sie da besonders befürchten? Wenn man 35 Jahre in Großbritannien lebt, das ist ja nun wirklich fast das ganze Leben schon, das man als Erwachsener hinter sich hat.
Scheffler: Wir hatten als EU-Bürger ja einfach das Recht, hier zu sein. Und das steht jetzt, wie gesagt, in den Sternen, ob das so bleibt. Wir haben dann vielleicht die Möglichkeit, eine 'permanent residency' zu beantragen. Man hört unterschiedliche Geschichten, wie leicht oder wie schwierig das ist. Oder man müsste britischer Staatsbürger sein.
Auf jeden Fall können wir im Moment nicht mit Sicherheit sagen, dass wir mit unserem deutschen oder französischen Pass, wie bei meiner Partnerin, hier bleiben können, hier leben können, wo wir uns unser Leben hier aufgebaut haben in all der Zeit und uns auch eingebracht haben in die britische Gesellschaft. Das ist wirklich ein sehr unangenehmes, trauriges Gefühl. Ich bin sehr wütend darüber und enttäuscht von meinem Gastland, von der ganzen Geschichte.
von Billerbeck: Merken Sie das auch ganz konkret im Alltag bei den Menschen, mit denen Sie zu tun haben? Werden Sie jetzt plötzlich anders angeguckt, gibt es ein anderes Verhalten Ihnen gegenüber?
Scheffler: Ich merke das nicht, da ich in einer Umgebung in London – man sprach hier auch wegen des Brexits schon von einer Blase, in der wir Londoner hier leben…
von Billerbeck: Ja, London hat sich dagegen entschieden.
Scheffler: London hat sich dagegen, mein Stadtteil hat sich mit, ich weiß nicht, 70 Prozent oder so dagegen entschieden. Insofern werde ich hier nicht – ich hab keine Auswirkungen gespürt. Und ich arbeite in einer Branche, wo auch 70 Prozent der Leute gegen den Brexit sind. Insofern habe ich es persönlich überhaupt noch nicht wahrgenommen. Man merkt es, wenn man in die Presse guckt und wenn man die Zeitungen liest, dann merkt man das schon. Persönlich nicht.
von Billerbeck: Persönlich noch nicht. Nun sind Sie ja ein bekannter Mensch, ein bekannter Künstler. Haben Sie mal überlegt, als Kinderbuchillustrator, auch dieses Thema Brexit und die Folgen zu einem Buch zu machen, Zeichnungen zu machen, das zu illustrieren? Also einfach dieses Gefühl, was Sie jetzt da ereilt hat?
Scheffler: Das habe ich noch nicht konkret überlegt.
von Billerbeck: Dann war das jetzt die Idee für Sie.
Scheffler: Genau. Vielen Dank. Wie viel muss ich Ihnen da Prozente abgeben.?
von Billerbeck: Ach, können wir drüber reden.

"Es geht um die Zukunft der Kinder"

Scheffler: Ich hatte die Idee, ob man nicht was für Kinder macht auch über Europa, gleich nach dem Brexit-Votum, aber ich hab dann irgendwie keine Idee, wirklich keine Idee gehabt. Ich hatte auch die Idee vor dem Brexit-Votum noch, was mit Kollegen zusammen zu machen. Aber das war einfach zu kurzfristig, und die zündende Idee fehlte. Ich denke, die Kinder sind davon betroffen, es ist deren Zukunft, um die es geht.
Auch viele britische Freunde sind total wütend darüber, dass denen jetzt die Zukunft sozusagen zum Teil verbaut wird. Und eigentlich müssten die Kinder auch ein Bewusstsein dafür entwickeln. Und ein Kinderbuch wäre vielleicht keine schlechte Idee, aber, wie gesagt, ich hatte noch keine konkrete Idee, und ich bin aber auch busy mit anderen Dingen, und, ja, vielleicht kommt das ja noch. Aber es scheint irgendwie zu spät zu sein für Großbritannien.
von Billerbeck: Sie haben da keine Hoffnung, dass da irgendwas sich noch zurückdreht?
Scheffler: Doch, ich habe große Hoffnungen. Ich habe Hoffnung, dass die irgendwann einsehen, dass das Ganze so komplex und so schwierig sein wird und sie so viel Geld kosten wird und so katastrophale Folgen für das Land haben wird, dass sie sich irgendwas ausdenken, dass sie irgendwie die Kurve kriegen. Man kann ja diesen Antrag angeblich nicht zurückziehen.
von Billerbeck: Nein, wenn er heute überreicht wird, der Brief, dann ist es vorbei.
Scheffler: Aber in der Politik ist so viel möglich. Und wenn die Leute das wirklich in ihrem Geldbeutel spüren, was ja passieren wird nach einer Weile – ich glaube, ich hab gelesen in einer Umfrage, dass die Hälfte der "Leave"-Voter, also der Brexit-Befürworter, keinerlei finanzielle Folgen haben wollten. Und die werden kommen, und dann wird es vielleicht ein zweites Referendum geben. Also, ich denke, man kann die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben, aber im Moment sieht es eher schlecht aus. Die Regierung scheint ja dem Kurs dieser Hardliner zu folgen.

Zur Not die 'permanent residency' beantragen?

von Billerbeck: Haben Sie einmal in dieser ganzen Zeit darüber nachgedacht, umzuziehen vielleicht nach Deutschland oder nach Frankreich, woher Ihre Partnerin kommt?
Scheffler: Ich denke das mehr und mehr, eigentlich fast jeden Tag. Und es kommen diese Momente, wo man irgendwie nachts wachliegt und denkt, wann machen wir den Schritt, und wohin sollen wir eigentlich? Ich fühle mich eigentlich sehr wohl hier und habe mich immer wohlgefühlt hier. Und jetzt kommt doch dieser Gedanke, und auch bei vielen Bekannten aus unserem Umkreis. Unsere Tochter geht auf die deutsche Schule hier.
Viele EU-Bürger haben die gleichen Gedanken. Das kommt in der Nacht, und man liegt wach und überlegt, was machen wir denn jetzt? Und tagsüber geht es dann irgendwie weiter. Und man ist dann vielleicht britisch genug, um zu sagen, jetzt warten wir erst mal ab, wie schlimm es denn wirklich wird, und zur Not beantragen wir eben die 'permanent residency' und bleiben doch hier. Im Moment weiß ich es wirklich nicht. Es ist sehr ambivalent und schwankt, und aber dieser Gedanke, weg zu gehen – der wächst und wächst.
von Billerbeck: Der Illustrator Axel Scheffler war das, der seit 35 Jahren in Großbritannien lebt. Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute!
Scheffler: Gern geschehen, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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