Ikonografie des Terrors

Wer die Symbole trifft, trifft ins Mark

Eine Schneise der Verwüstung ist am 20.12.2016, am Tag nach dem möglichen Anschlag mit einem Lastwagen, auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen.
Eine Schneise der Verwüstung ist am 20.12.2016, am Tag nach dem möglichen Anschlag mit einem Lastwagen, auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Ursula Welter · 20.12.2016
Der Terror zielt auf die Symbole der Gesellschaft, auf Orte, die für Freude und westliche Werte stehen. Damit schüre er Angst und Hass, kommentiert Politikjournalistin Ursula Welter. Die Saat der Terroristen gehe dort auf, wo sich Bürger gegeneinander aufhetzen lassen.
Trauer und Mitgefühl sind angemessene Reaktionen. Wut und Angst sind nachvollziehbar. Jedoch: Wenn Wut kippt, wenn Angst regiert, wird daraus radikales Denken und Handeln. So geht es jetzt vor allem um Besonnenheit.
Viele Menschen in unserem Nachbarland Frankreich leben uns vor, wie dem Terror die zivilisierte Stirn geboten werden kann. Nach den vielen Anschlägen dort, mit hunderten Toten, besuchen sie öffentliche Veranstaltungen, jetzt erst recht. Sitzen auf den Terrassen der Restaurants, jetzt erst recht. Gehen in die Weihnachtsmessen, jetzt erst recht.

Frankreich ist wachsamer als Deutschland

Es werden Anschläge vereitelt, die Sicherheitsbehörden arbeiten unter Hochdruck. Aber jedermann weiß, die Gesellschaften bleiben fragil, verwundbar. So wie es Frankreich getroffen hat, hat es Belgien getroffen und eben auch Deutschland. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Frankreich hat einen deutlichen Vorsprung in der Erfahrung eines Lebens unter dem Terror: Die Hauptstadt wurde attackiert, die Restaurants, die feiernde Menge am Nationalfeiertag, Kirchen und Priester wurden angegriffen. Symbole einer Welt, die der Terror beherrschen will. Die Behörden in Frankreich haben viel unternommen. Vieles, was auch in Deutschland diskutiert, gefordert wird. Zigtausend Soldaten patrouillieren im Inland durch die Straßen, Betonsperren schützen Plätze, Taschenkontrollen sind an der Tagesordnung. Frankreich ist in dieser Hinsicht wachsamer als Deutschland. Das öffentliche Leben hat sich binnen Monaten drastisch verändert. Und doch ist der Lebensmut ungebrochen.

Hoffen, dass der Tyrann Angst nicht die Oberhand gewinnt

Frankreich mag also ein Lehrstück in trotziger Lebensfreude sein. In anderer Hinsicht sollte es uns der Blick zu den Nachbarn Warnung sein: Die Saat der Terroristen geht auf überall dort, wo die Menschen sich Extremisten anschließen, wo sie radikalen Politikern hinterherlaufen, die umfassenden Schutz vorgaukeln. Die Saat geht dort auf, wo sich Bürger aufhetzen lassen, der eine gegen den anderen. Das ist die Welt, die sich Terroristen wünschen, denn in dieser Welt wütet eine andere, zerstörerische Kraft, eine, die die Demokratie mit sich reißt. Auch deshalb zielt der Terror auf die Symbole der Gesellschaft, auf Orte, der Freude, auf Orte, die für westliche Werte und Haltungen stehen. Wer die Symbole trifft, trifft ins Mark und wer ins Mark trifft, schürt Angst, befördert Hass.
"Wir stehen auf festem Grund", hat Bundespräsident Gauck heute formuliert. Man mag es hoffen. Man mag hoffen, dass der Tyrann Angst nicht die Oberhand gewinnt, denn, auch das sagt man in Frankreich – "wir sind es den Opfern schuldig".
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