"Ikonische Projekte sind immer sexy"

Moderation: Matthias Hanselmann · 25.06.2013
Stadtbewohner brauchen ein Wohnumfeld, das sie benutzen können - dazu gehören S-Bahnen und Freizeitorte. Über diese zukünftige Städteplanung, die die Menschen frühzeitig einbeziehen müsse, haben Jeremy Gains und Stefan Jäger ein Buch geschrieben.
Matthias Hanselmann: "Wir bauen Deutschland" – das ist der Titel eines Buches, das 40 Menschen aus 40 Städten vorstellt, die alle eines gemeinsam haben: Sie bestimmen das Gesicht unserer Städte. Sie planen und gestalten und – sie entscheiden. Oft lange, bevor dann wirklich gebaut wird. Sie sind Bürgermeister und Dezernenten, Amtsleiter und Gestaltungsbeiräte, Stadtbauräte und Stadtplaner. 40 von ihnen haben die beiden Herren interviewt, die jetzt für uns in einem Studio des Hessischen Rundfunks in Frankfurt sind, nämlich der Publizist Jeremy Gaines und der Journalist Stefan Jäger. Willkommen beim Radiofeuilleton!

Stefan Jäger: Schönen guten Tag!

Jeremy Gaines: Hallo!

Hanselmann: Im Titel Ihres Buches steckt ja schon der Hinweis, dass es nicht der Architekt oder gar der Star-Architekt allein ist, der den deutschen Städten ihr Gesicht gibt, sondern dass viele Akteure im Spiel sind, einige habe ich genannt. Wer sind eigentlich die Entscheidungsträger, bevor der Architekt dann ins Spiel kommt?

Jäger: Das sind tatsächlich die Leiter der Stadtplanungsämter, die Baudezernenten vor Ort in den Städten. Die haben sehr viel Einfluss, aber nicht zu unterschätzen sind natürlich auch die kommunalen Stadtparlamente. Über Baurecht können Städte, können Kommunen entscheiden tatsächlich, wie ihre Stadt aussieht und den Architekten entweder das Leben schwer machen oder auch leicht.

Hanselmann: Für wen bauen die Städte eigentlich? Nur für ihre Bürger und deren Bedürfnisse?

Gaines: Ich denke, schon. Man sollte bedenken, dass 74 Prozent aller Deutschen in Städten leben. Und die Städte werden – also die Entscheidungsträger werden ja gewählt von ihrer jeweiligen Bevölkerung. Und da geht es um die Kernfragen des menschlichen Zusammenlebens. Wie man sich zusammen Zukunft vorstellt – baue ich mehr Parkplätze oder brauche ich mehr grüne Zonen für meine Enkelkinder?

Jäger: Ergänzend dazu: Es ist natürlich heutzutage, insbesondere in Ballungszentren, für die Planer dort auch immer eine Herausforderung, die Pendler mit einzudenken, mit einzuplanen. Bei den Städten, die wir besucht haben, wo wir Interviews geführt haben, ist das Verhältnis der Pendler so hoch, dass die wirklich ein signifikanter Teil sind dieser Bevölkerung, für die die Planer zu planen haben und für die sie dann auch planen.

Hanselmann: Ich möchte noch mal zum "Wir" in Ihrem Buchtitel kommen. Das könnte ja auch Bürgerbeteiligung bedeuten. Welche Entscheidungsmöglichkeiten haben die Bürger, haben wir in Deutschland im Hinblick auf Stadtplanung?

Jäger: Die Bürger werden, man kann sagen, eigentlich seit zwei Jahrzehnten auf verschiedenste Art und Weise in den Kommunen und Städten in die Planungen mit einbezogen. Das ist – ganz banal fängt das an, dass sie über Faltblätter informiert werden heutzutage in Zeiten des Internet, was für Manchen dann doch kein Neuland ist. Es wäre vielleicht sinnvoll auch für die Zukunft, dass sich Städte vielleicht auch auf gemeinsame Verfahren der Bürgerbeteiligung einigen würden, die dann auch relativ früh einsetzen. Und das ist, glaube ich, auch das Zauberwort, nämlich dass man sehr früh den Bürger mit einbezieht in die Planungen, denn nachher wird sich das dann ja, als positiv herausstellen und es wird die Planungszeit insgesamt verkürzen, je eher man den Bürger mit einbezieht.

Hanselmann: Haben Sie in Ihrem Buch Beispiele dafür, dass die Politik an Bürgerbeteiligung interessiert ist und die Bürger einbindet?

Gaines: Das Interessante war ja an den ganzen Interviews, dass in fast allen Städten Deutschlands solche Prozesse schon existieren, teilweise seit geraumer Zeit, aber noch nicht ausgereift sind. Es ist ein Teil unserer Demokratie, der relativ jung ist, vielleicht aus der basisdemokratischen Bewegung der Grünen kommen, aus den 80er-Jahren. Es gab in Essen zum Beispiel ein soziales Stadtintegrationsprojekt mit Begrünung eines ganz kleinen Platzes.

Dazu hat die Stadt Essen mehrere Town-Hall-Meetings organisiert, sich intensiv mit den Bürgern ausgetauscht, also das funktioniert auf der kleinsten Ebene – wie soll dieser Platz aussehen? Und das geht hoch bis zu der großen Ebene – wie soll ich meine Einkaufsmeile gestalten, soll es eine Fußgängerzone sein? Wie soll diese Fußgängerzone dann ausgelegt werden? Das wird dann über eine große Menge an Internetanfragen strukturiert, aber das ist ein sehr mühsamer Prozess. Aber wenn man die Bürger dann mitnimmt, dann hat man die Sicherheit, dass am Ende alle das für gut halten.

Hanselmann: Der ehemalige Präsident der Bundesarchitektenkammer und Politiker Peter Conradi schreibt im Vorwort zu Ihrem Buch "Wir bauen Deutschland", dass die geplante und gebaute Umwelt die ganze Gesellschaft betrifft, nur sei dies noch nicht in den Köpfen angekommen. Warum nicht?

Jäger: Weil wir wahrscheinlich einfach noch nicht so sehen, wo tatsächlich die wichtigen Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden.

Gaines: Man sollte bedenken, dass die Stadt an sich in Deutschland heutzutage sehr viele souveräne Aufgaben des Bundes übernommen hat. Dafür gibt es, glaube ich, noch kein Bewusstsein kollektiv unter den städtischen Leitern, sagen wir mal, den Bürgermeistern, und auch nicht in Berlin beim Bund. Wenn die Städte diese Aufgaben alle erfüllen müssen, dann müssen die anders finanziell aufgestellt werden, weil die Bürgermeister oder Stadtverwalter, die wir interviewt haben, sind alle sehr bemüht, langfristig zu denken, teilweise über ihre eigenen Wahlzyklen hinaus, können aber teilweise wenig handeln.

Hanselmann: Gibt es eigentlich bei diesen Entscheidungsträgern Etats, die dafür da sind, die Baukultur den Bürgern näher zu bringen?

Jäger: Speziell extra Etats für Baukultur, das ist uns jetzt – also mir ist es in Interviews jetzt nicht begegnet. Es ist aber in der Tat so, dass es natürlich Städte gibt, die traditionell sehr hohen Wert auf Baukultur legen, also beispielsweise Ulm. Da ist es mir begegnet, da gibt es auch eine sehr starke Identifikation der Bürger mit der Stadt, mit dem Stadtbild. Und da hat man dann vor Augen dieses historische Gebäude, dieses grandiose Ulmer Münster auf der einen Seite, und da gab es vor Jahren eine Riesendiskussion, als direkt nebendran ein modernes Museum gebaut werden sollte.

Gaines: Baukultur ist für die Städte zurzeit sozialer Wohnungsbau, nicht Prestigeprojekte. Wie bringe ich Wohnungsbau so an den Mann, dass er das sich leisten kann? Wie kann ich das tun in Zeiten der Energiewende? Ist ein Passivhaus zu teuer, ist ein Niedrigenergiehaus besser? Dafür gibt es Geld, das wird den Bürgern näher gebracht, und das ist eigentlich das Entscheidende für die Zukunft. Wo wohnen die Leute, können sie es sich überhaupt leisten noch, städtisch zu wohnen? Können sie in nachverdichteten Gebäuden wohnen? Müssen wir neu bauen auf der Grünen Wiese? Das sind eher die Fragen, die Baukultur im Sinne Conradis für die Gesamtgesellschaft wichtig sind.

Hanselmann: Aber in der Öffentlichkeit wird am meisten diskutiert, werden Projekte diskutiert wie das Stadtschloss, ob in Berlin oder Potsdam. Oder die Elbphilharmonie und so weiter, also die ganz, ganz großen Projekte. Die stehen im Vordergrund.

Gaines: Ikonische Projekte sind immer sexy. Aber die Menschen wohnen nicht in ikonischen Projekten, das können Touristen besuchen. Das sind eigentlich nicht die Einwohner der Stadt, die das hauptsächlich benutzen werden. Die werden das vielleicht sehen auf dem Weg zur Arbeit, aber benutzen werden sie es ja nicht. Sie müssen wohnen, sie brauchen eine Stadtbahn oder sie brauchen eine S-Bahn, sie brauchen Abstellplatz oder einen Abstellplatz für ein Fahrrad. Sie müssen wissen, wo sie ihre Freizeit verbringen werden. Und das sind die Fragen, die Städte anzugehen haben und die die Städte auch angehen, soweit sie das finanzieren können.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Jeremy Gaines und Stefan Jäger, Autoren des Buches "Wir bauen Deutschland". Wie haben Sie eigentlich in Ihren Interviews die Entscheidungsträger der verschiedenen deutschen Städte erlebt, die sich mit Bau beschäftigen? Mit welchen auch Emotionen betreiben die eigentlich ihren Job?

Jäger: Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Da ist zunächst mal die Unterscheidung zu treffen, welchen Hintergrund haben die Leute? Sind das reine Politiker, die mehr oder weniger zufällig dann auch mit dem Thema konfrontiert werden? Im besten Falle haben diese Politiker eine starke emotionale Bindung zu der Stadt, die sie dann regieren. Auf der anderen Seite sind uns aber sehr, sehr qualifizierte Chefs der Stadtplanungsämter begegnet, denen man auch – ich meine, das Vorurteil ist ja da, auf diesen Ämtern, da sitzen solche Bürokraten und Langweiler –, aber die Menschen, die mir da begegnet sind, sind eigentlich sehr gewissenhaft und machen sich sehr genau Gedanken, für wen sie planen und wie die Stadt in Zukunft aussehen soll.

Gaines: Ich nehme das Beispiel Rostock. In Rostock wird die Verwaltung für Planung angeführt von einem Herrn, der kam aus der Verwaltung, hat 20 Jahre Erfahrung in der Verwaltung gesammelt und hat sich dann parteipolitisch engagiert. Dieser Mensch kennt seine Stadt in- und auswendig, hat aber auch eine ganz klare Vision, wo Rostock stehen soll in 20 oder 30 Jahren. Dies umzusetzen, dafür braucht er Politiker. Aber dafür muss er auch engagiert genug sein, um die richtigen Vorlagen auf den Tisch zu bringen, sodass die Politiker darüber entscheiden können. Zum Beispiel, wie benutzen wir Fernwärme in der Zukunft? Wie baue ich mein Fahrradnetz aus? Wie kann ich gewährleisten, dass alle Leute mit Blick aufs Wasser wohnen werden?

Hanselmann: Wir haben es am Anfang schon angedeutet, die Frage des Einflusses der Politik. Wie viel Einfluss hat denn die Politik auf Bauherren? Zählt letztlich nicht doch das Wort desjenigen, der viel, viel Geld mitbringt, der investiert und Arbeitsplätze schafft?

Jäger: Also da auch ein konkretes Beispiel aus Ulm. Die alte Frage, wie sollen unsere Innenstädte in Zukunft aussehen, öffentlicher Raum versus der privaten Nutzung von öffentlichem Raum. Dort hat die Stadt Ulm sehr wohl Einfluss genommen und dem dortigen Planer einer großen Kette von Einkaufszentren sehr wohl auch sagen können, wie macht ihr das, wie soll sich das Ganze in das Stadtensemble einfügen? Also, wenn der Wille da ist, dann hat Politik vor Ort durchaus auch die Möglichkeiten, auch unter ökonomischem Druck tatsächlich Einfluss zu nehmen, und das im Sinne der gesamten Stadt zu lösen.

Gaines: Es ist auch so, dass in den Großstädten Deutschland, sei es Hamburg, Berlin, München, Frankfurt, die Planungsabteilungen und die Baudezernenten sehr wohl mit Investoren umzugehen wissen. Sie wissen, was sie selbst haben wollen in ihrer Stadt und sie können entsprechend aus einer Position der Macht heraus verhandeln. Und ich glaube, das tun sie sehr erfolgreich.

Hanselmann: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Jeremy Gaines und Stefan Jäger, Autoren des Buches "Wir bauen Deutschland. Von Masterplänen und Wirklichkeit". Vor welchen Herausforderungen Stadtplaner heute stehen und wie diese umgesetzt werden. Das Buch ist erschienen bei jovis und kostet 42 Euro. Danke schön nach Frankfurt!

Jäger: Sehr gerne, bitte!

Gaines: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.