Ikonen der APO

11.04.2008
Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof bewegten sich in den 60er Jahren in ganz unterschiedlichen Milieus. Während Meinhof sich als Journalistin betätigte, zählte Dutschke zu den Köpfen der Studentenbewegung. Jutta Ditfurth hat Verbindungen zwischen den beiden aufgespürt und will Belege für eine Freundschaft gefunden haben.
Die Schüsse auf Rudi Dutschke 1968 waren für die linke Journalistin und spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof "ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben", wie Jutta Ditfurth in ihrem Buch "Rudi und Ulrike – Geschichte einer Freundschaft" schreibt. Meinhof, fünf Jahre älter als Dutschke, war damals eine vielbeachtete Journalistin, deren Kolumnen in "konkret" weit über das linke Stammpublikum hinaus strahlten – wohl auch deswegen, weil Meinhofs gesellschaftskritische Artikel in einem aufreizenden Gegensatz standen zu ihrer Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der wohlsituierten Hamburger Medienszene. Durch Interviews und private Gespräche näherten sich Dutschke und Meinhof an – von der ersten Begegnung im Frühjahr 1967 bis zum letzten Treffen im Mai 1969. Meinhof nannte Dutschke kurz vor dieser Begegnung "den mir liebsten unter meinen politischen Freunden".

Doch kann man diese Begegnungen, die zudem seltsam undokumentiert bleiben in den schriftlichen Zeugnissen von Dutschke und Meinhof, wirklich als "Freundschaft" bezeichnen? Jutta Ditfurth tut es mit fast schon aufdringlicher Konstanz, vom Buchrücken protzt gar die Formulierung "Eine Freundschaft, die die Republik veränderte" – doch bleibt die Autorin den Beleg für die angeblich enge Freundschaft schuldig. Stattdessen führt Ditfurth Begegnungen und Beinahe-Begegnungen als "Beweis" für das enge Verhältnis zwischen Meinhof und Dutschke an - das liest sich stellenweise wie Realsatire: beispielsweise ein Besuch bei dem kommunistischen Verleger Feltrinelli in Italien: "Ulrike Meinhof war seit einigen Tagen wieder zurück in Hamburg, als Rudi Dutschke vom 11. bis 13. September 1967 nach Mailand fuhr (…). Die Gespräche zwischen Feltrinelli und Dutschke einerseits und Feltrinelli und Meinhof andererseits dürften sich überschnitten haben."

Oder: "Ulrike Meinhof könnte am 24. November 1967 im Audimax der Hamburger Universität gewesen sein, als Rudi Dutschke sich (…) mit Rudolf Augstein, Ralf Dahrendorf und anderen auf dem Podium stritt." Könnte, dürfte, müsste – der Konjunktiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Darstellung der von Ditfurth behaupteten Freundschaft.

Die wirklich interessanten Fragen beantwortet Jutta Ditfurth nicht: Was hat Dutschke und Meinhof verbunden? Wie haben sie über die Frage der Gewalt gesprochen? Warum ist die eine bei der RAF gelandet, die der andere so vehement ablehnte? Stattdessen Altbekanntes, in manichäischer "Bullen böse – Revolution gut"-Rhetorik aufbereitet. Kritische Annäherung, gar Distanz? Fehlanzeige.

Dabei hat das Buch wirklich starke, packende Seiten: Jutta Ditfurth zeichnet die politischen Biografien und die privaten Hintergründe der beiden Hauptakteure akribisch und detailfreudig nach. Besondere Sorgfalt verwendet sie auf die Schilderung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes: das Ringen der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, um den "richtigen" Kurs und um die Frage, welche und wie viel Gewalt statthaft sein könnte beim Kampf für eine andere Gesellschaft

Der kurzweilige Reportagestil und die material- und kenntnisreiche Verknüpfung von Zeitgeschichte und Personenportraits verdichten sich in Ditfurths Buch zu einer Nahsicht auf die reformerischen und revolutionären Kräfte der Bundesrepublik der 60er Jahre – wenn auch im erwartbar klassenkämpferischen Duktus, was dem Buch eine seltsam angestaubte Anmutung verleiht. Ditfurth erzählt hoch engagiert und detailfreudig – welchen Erkenntniswert es allerdings hat, von der Angewohnheit Meinhofs zu berichten, beim Artikelschreiben die Banderole der Zigarettenpackung zu einem Röllchen zu drehen, weiß allein die Autorin.

Überhaupt die Details: Oft hat man den Eindruck, die Detailfülle soll vielleicht den wichtigsten Mangel dieses Buches überspielen: dass nämlich Jutta Ditfurth gar nicht so viel über die angeblich enge Verbindung zwischen "Rudi und Ulrike" erzählen kann, zumindest quellenmäßig abgesichert erzählen kann.

Wohl deshalb stützt sich Ditfurth in ihrem Buch auf wohlbekannte Quellen und Buchveröffentlichungen: Die biographischen Aspekte über Ulrike Meinhof stammen größtenteils aus Ditfurths Meinhof-Biografie vom vergangenen Jahr. Und viele Informationen, die sie über Rudi Dutschke schreibt, entnimmt sie der Dutschke-Biographie von Ulrich Chaussy und Dutschkes Autobiographie "Aufrecht gehen". Neuigkeitswert haben bestenfalls die (spärlichen) Interviews mit einstigen SDS-Altvorderen.

Rezensiert von Holger Hettinger

Jutta Ditfurth: Rudi und Ulrike - Geschichte einer Freundschaft
Droemer-Verlag 2008
238 Seiten, 16,95 Euro