Ikea-Gründer wird 90

Bunte Leichtigkeit statt Gelsenkirchener Barock

Ein Kundes des Ikea-Möbelhauses in Hofheim-Wallau betrachtet ein Billy-Regal.
Zu den erfolgreichsten Klassikern gehört das Regalsystem "Billy" © picture-alliance / dpa / Arne Dedert
Florian Hufnagl im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 30.03.2016
Der Designexperte Florian Hufnagl hält Ikea-Möbel längst für museumsreif. Sie zeichneten die gigantischen Veränderungen in der Gesellschaft nach und hätten in den Wohnungen den Gelsenkirchener Barock, die Schrankwand und das Herrenzimmer abgelöst.
Ikea habe den Nerv der Zeit getroffen, sagte der Kunsthistoriker Florian Hufnagl im Deutschlandradio Kultur. "Nicht nur der Gelsenkirchener Barock, sondern auch die Schrankwand, das Herrenzimmer, die astfreie Eiche waren damals das, worauf unsere Eltern besonders stolz waren." Die 1968er-Generation habe stattdessen für Farbe und Leichtigkeit gestanden und sich vom Geschmack der Eltern absetzen wollen. "Genau da hat Ikea reingetroffen", sagte der frühere Direktor der Neuen Sammlung in München über das 1948 in Schweden gegründete Einrichtungshaus.

Schweden als Vorbild

"Schweden war damals das Vorbild, das schwedische Modell einer modernen, offenen und familien- und vor allen Dingen sozial-orientierten Gesellschaft." Die bunten Möbel, die sich an die Pop Art anlehnten, seien da gerade recht gekommen. "Sie waren preiswert und man konnte sie sich leisten", sagte Hufnagl. Das sei eine Sensation gewesen. Es handele sich bei Ikea-Möbeln um einen Minimalismus und Funktionalismus, sagte Hufnagl. Das Möbelhaus pflege auch eine Art schwedischen Landhausstil. Heute wird der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad 90 Jahre alt.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Haben wir einen besseren Einrichtungsgeschmack dank Ikea? Das will ich jetzt von Professor Florian Hufnagl wissen. Er war bis 2014 Direktor des Design Museum München und hat 2009 auch die erste Ikea-Ausstellung in seinem Haus verantwortet mit dem Titel "Democratic Design". Guten Morgen, Herr Hufnagl!
Florian Hufnagl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Hat Ikea unseren Geschmack verbessert, wenn man mal bedenkt, dass in der Bundesrepublik ja lange der Gelsenkirchener Barock vorherrschte?
Hufnagl: Ja, ich glaube schon, zumindest hat Ikea den Nerv der Zeit, und zwar die Zeit der damals Jungen getroffen, denn nicht nur der Gelsenkirchener Barock, sondern auch die Schrankwand, das Herrenzimmer, die astfreie Eiche waren ja damals, wo unsere Eltern besonders stolz waren. Und wir, 68er-Generation – 48 ist Ikea gegründet worden –, wir standen natürlich für Farben, für Leichtigkeit, Absetzen von dem Geschmack und der Meinung der Eltern, und genau da hat Ikea reingegriffen.
Man darf ja nicht vergessen, Schweden war ja damals überhaupt das Vorbild, das schwedische Modell einer modernen, offenen Familien- und vor allen Dingen sozial orientierten Gesellschaft. Und da kamen die bunten Möbel, die sich angelehnt hatten durchaus auch an die Pop-Art, gerade recht. Sie waren preiswert, man konnte sich dieses überhaupt leisten, und das war natürlich eine Sensation.
von Billerbeck: Hand aufs Herz, Herr Hufnagl, besitzen Sie auch Ikea-Möbel?
Hufnagl: Ja, klar.
von Billerbeck: Was denn?
Hufnagl: Also allem voran Billy, das ein bisschen später kam. Aber Billy war natürlich auch …
von Billerbeck: Das weiße Regal.
Hufnagl: … eine Sensation. Wenn Sie sich vorstellen, wir haben ja alle nur Backsteine gehabt, auf die wir dann Vollholzbretter, zum Teil noch mit Rinde, legten, um darauf unsere Bücher abzulegen. Und dann kam Billy, und das war endlich eingelöstes Versprechen, was es im Übrigen schon in Deutschland um 1900 mal gab, nur damals war es unbezahlbar, nämlich eine beliebig erweiterbare Regalwand. Das hieß damals noch das billige Möbel in Deutschland, aber es ist nie umgesetzt worden, weil es die deutschen Vereinigten Werkstätten in Dresden produziert hatten und damit natürlich für einen völlig anderen Kundenkreis. Und dann war Billy da. Das war eine Sensation. Und dazu die Sessel. Es gab Möbel, die man sich leisten konnte, selbst abholen konnte, man musste auch nicht noch für den Transport bezahlen – und dann kam allerdings das Schrauben, ja.

Fluchen beim Aufbauen

von Billerbeck: Ja, und da ist dann die Frage: Billy geht ja noch, aber haben Sie auch so etwas kompliziertere Möbel selber aufgebaut, und vor allem, wie lange haben Sie dafür gebraucht und wie oft haben Sie geflucht?
Hufnagl: Ja, also beim Aufbauen hab ich immer geflucht, aber ich hab auch Sofas zusammengebaut, auch Sessel zusammengebaut, die hab ich allerdings heute nicht mehr, aber es war …
von Billerbeck: Falsch geschraubt oder wie?
Hufnagl: Geschraubt, ja, und zwar nie alleine, weil irgendjemand musste das Ding ja immer halten, sonst ist es zunächst mal umgekippt und man hat wieder von vorne anfangen dürfen.

Minimalismus und Funktionalismus

von Billerbeck: Werden eigentlich Ikea-Möbel, die ja auch in einer ziemlich großen Auflage hergestellt worden sind und die es inzwischen nicht mehr gibt, irgendwann wertvoll, museumsreif?
Hufnagl: Museumsreif sind sie, denn …
von Billerbeck: Das kann man so und so sehen.
Hufnagl: Museumsreif mit Sicherheit, weil diese Möbel natürlich auch die gigantischen Veränderungen in unserer Gesellschaft nachzeichnen, und dies in absolut perfekter Weise. Ob sie einen Handelswert bekommen, das glaube ich eher weniger, denn sie sind in sehr, sehr großen Stückzahlen hergestellt worden, und ich glaube, es werden nur ganz, ganz wenige schaffen – wie vielleicht der Panton-Sessel, der in den 90er-Jahren herausgekommen ist und nur ein Jahr auf dem Markt war.
von Billerbeck: Aber ist die Uniformität unserer Wohnzimmer, also die Ikeanisierung, nicht auch ein bisserl langweilig? Geraten hier nicht auch Traditionen und kulturelle Eigenheiten aus dem Blick?
Hufnagl: Na ja, es ist ein Minimalismus und ein Funktionalismus, und inzwischen hat Ikea eine breite Palette, die auch auf die Swedishness geht, auf die sie sich ja auch berufen, auf die Malereien und Aquarelle von Karl Larsen im 19. Jahrhundert, diese Swedishness, diese Art Landhausstil. Sie gehen inzwischen in jede Nische, also man hat eine relativ breite Produktpalette. Gehen Sie mal – ein guter Rat – über eine Möbelmesse und schauen sich da die Produktion von ganz normalen Herstellern an, für teure Preise. Da muss ich sagen, da ist mir Ikea, wenn es preiswert sein soll, lieber.
von Billerbeck: Florian Hufnagl war das, der einstige Direktor des Münchner Design Museum, über Ikea als Designformer unserer Wohnungen. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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