DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Sabine Küchler Feature Ihre Meinung ist uns wichtig! Wenn aus Konsumenten Prosumenten werden Feature von Barbara Eisenmann Produktion: NDR / DLF 2012 Mitwirkende: Marie-Lou Sellem Technische Realisation: Dietmar Fuchs und Angelika Körber Regie: Ulrich Lampen Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 19. Oktober 2012, 20.10 - 21.00 Uhr INTRO Melkmaschine SPRECHERIN Guten Tag! Ich bin die Administratorin. Was für ein Forum hätten Sie denn gern? Eins ohne Schleichwerbung? MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Sie sei auf der Suche nach einem Deo, das keine Flecken auf den T- Shirts mache. Ob man ihr eines empfehlen könne? Sie nehme immer Deo mit Alkohol, das werde nie weiß unterm Arm. O-TON (Bartl) Wir haben herausgefunden, dass das, was die Menschen wirklich bewegt, unter anderem durch Analyse von Online- Communities, ist, dass Deos keine Flecken mehr machen. SPRECHERIN Ihre Meinung ist uns wichtig! Ihre Meinung ist uns wichtig! Oder: Wenn aus Konsumenten Prosumenten werden. Feature von Barbara Eisenmann. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Mitmachkunden. Lead user. Hobbyarbeiter. Ko-Produzenten. Buzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz. SPRECHERIN Was für Flecken sie denn meine? Die gelben/braunen, die man bei hellen oder weißen T-Shirts mit der Zeit sehe, kämen von oxidiertem Alu, das in fast allen Deos drin sei. Sie benutze (Piepsen). Sie solle auf die Inhaltsangabe schauen: kein Alutralala. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Kundeninnovatoren. Fankunden. Early adopter. Buzzzzzzzzzz. Expertenkunden. Wertschöpfungspartner. O-TON (Bartl) Und da gibt´s ja so gelbliche Verfärbungen auf weißen T-Shirts, weiße Verfärbungen auf schwarzen T-Shirts, des wird online, da werden die T-Shirts und Achseln fotografiert, verschwitzt wie sie sind, und gepostet. SPRECHERIN Sie nehme das Invisible Drive von (Piepsen). Sie habe schon einiges ausprobiert und das am besten gefunden. O-TON (Bartl) Es gibt übrigens nicht nur einen Fleck, sondern genau 8 Flecken, es gibt z.B. auch den crusty stain. Stain heißt Fleck auf Englisch, des ist die Konsumentensprache. Es gibt auch den smelly stain, den sieht man nicht, so´n Deofleck, sondern den riecht man nur, wenn man bügelt z.B. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Innovationsfördernde Persönlichkeiten. Heavy user. Prosumenten. Buzzzzzzzzzzzz. SPRECHERIN Pro-su-men-ten. Produzierende Konsumenten. Was das ist? MUSIK (Ella Fitzgerald: I get a kick) SPRECHERIN Leute, die Flüge buchen, online einchecken, ihre Boardingpässe schon ausgedruckt mitbringen, Billys montieren und für (Piepsen) Arbeitskosten sparen, indem sie Arbeitsplätze vernichten, weil sie die Arbeit selber verrichten. Wir alle sind das. Hängen ständig in irgendwelchen Warteschleifen fest, wo wir auf unsere Kosten den Service der Firma verbessern, die wir eigentlich erreichen wollen und ärgern uns grün und blau. MUSIK (Ella Fitzgerald: I get a kick) SPRECHERIN Dieser Kunde, der bucht, schraubt, telefoniert, sich grün und blau ärgert und einen individuellen Turnschuh trägt, ist eine absolut gegenwärtige Figur. An unserem Radio-Diskussionsforum nehmen verschiedene Leute teil, die sich genau darüber den Kopf zerbrechen. Unsere Teilnehmer sind MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN ein Arbeitssoziologe. O-TON (Voß) Ja, also mein Name ist Günther Voß, ich hab eine Professur für Industrie- und Techniksoziologie an der TU Chemnitz, und ich bin jetzt seit vielen Jahren Arbeitsforscher, wobei zunehmend ich unter Arbeit eben nicht nur Erwerbsarbeit verstehe, sondern alle Formen von Arbeit in der Gesellschaft. D.h. ich beschäftige mich auch mit der Arbeit, die die Privatmenschen als Kunden und Konsumenten verrichten müssen. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Ein Innovationsunternehmer. O-TON (Bartl) Mein Name ist Michael Bartl, ich bin, im Grunde genommen hab ich in der Automobilindustrie angefangen, hab 5 Jahre bei der (Piepsen) in Ingolstadt gearbeitet, und zwar in der Forschung & Entwicklung, was ungewöhnlich für mich war, weil ich kein Ingenieur bin, sondern ein Wirtschaftswissenschaftler SPRECHERIN Wir haben Herrn Bartl schon im Intro zum fleckenfreien Deo gehört. O-TON (Bartl) Ich hatte dann eben promoviert, genau zu dem Thema, wie kann man Kunden einbinden über Internet oder Web 2.0.-Applikation in die Produktentwicklung. Da gab´s den Begriff open innovation noch nicht, der kam erst 2003, co-creation kam auch erst so um den Dreh rum. Des sind Superbegriffe für´n Phänomen, des gab´s schon früher, des hieß damals noch so unsexy Kundenintegration oder Kundeneinbindung in die Produktentwicklung. Die neuen Begriffe sind natürlich viel smarter. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Eine Mitarbeiterin in der Firma, die Herr Bartl 2004 mitgegründet hat. O-TON (Ramakrishnan) Also mein Name ist Sunita Ramakrishnan, und ich bin seit 2010 bei der Hyve AG. Ich hab Diplomkulturwirt studiert in Passau, und hab dann im Anschluss an der TU München promoviert zum Thema lead user-Integration. Lead user ist ein besonderer Kundentypus, ein sehr fortschrittlicher, motivierter Kundentypus, den wir gerne in lead user-Projekte einbinden, um gemeinsam neue Innovationen zu generieren. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Ein Ingenieur und Informatiker. O-TON (Meretz) Ja, mein Name ist Stefan Meretz. Ich hab 1999 das ÖKONUX-Projekt mitgegründet, das ist ne Wortkombination aus Ökonomie und Linux. Damals war freie Software ja das erste Phänomen, was wir heute so als Peer Produktion oder commonsbasierte Peer Produktion bezeichnen. Meine Überlegung ist, wie können Menschen ihre Bedürfnisse zur Geltung bringen, und zwar sowohl auf der produktiven Seite wie auf der konsumtiven Seite, in einer Weise, dass sie nicht mehr nur einfach passive Konsumenten sind, passive Käufer, sondern wie können sie ihre Bedürfnisse auch aktiv zur Geltung bringen, in Produkte einfließen lassen, Produkte mit beeinflussen oder das wäre dann der konsequente Schritt Produkte letztlich auch selber auch mit herstellen, in welcher Form der Beteiligung auch immer. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Ein Motivationsforscher und Unternehmensberater. O-TON (Kehr) Hugo Kehr, ich leite den Lehrstuhl für Psychologie an der TU München und beschäftige mich mit Motivationspsychologie. Nun die Betriebswirtschaftslehre fragt sich immer schon die Frage, was motiviert Konsumenten bei solchen Projekten mitzumachen, was motiviert Consumer sich integrieren zu lassen in den Produktionsprozess. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Und ein Innovationsforscher. O-TON (Habicht) Mein Name ist Hagen Habicht. Ich bin seit Anfang 2009 hier am Center for Leading Innovation and Cooperation an der Handelshochschule Leipzig; ich beschäftige mich im Prinzip mit ´ner ganzen Reihe von Facetten, die Stakeholder-Organisationen beschreiben, also die Frage, wie man unterschiedliche Interessengruppen in einem Wertschöpfungsprozess so miteinander in ne Interaktion bringt, dass das Ganze erfolgreich ist, dass ne Win-Win- Situation entsteht. MUSIK (Nellie McKay: Dododo) SPRECHERIN Die Sache ist nicht mehr so übersichtlich wie früher. MUSIK (Roosevelt Sykes: Henry Ford Blues) SPRECHERIN Die Zeiten, in denen ein Henry Ford ein Auto bauen ließ, das seine Arbeiter, wenn sie einmal genug Geld an seinen Fließbändern verdient hatten, kaufen würden, sind lang vorbei. MUSIK (Roosevelt Sykes: Henry Ford Blues) SPRECHERIN Das Ding, in dem wir nun schon eine ganze Weile leben, Postfordismus zu nennen, leuchtet ein. Nicht, dass es keine Fabriken und Fließbänder mehr gäbe, aber der Wert wird heute anders geschöpft. MUSIK (Roosevelt Sykes: Henry Ford Blues) SPRECHERIN Und wir sind bei dieser neuen in-ter-ak-ti-ven Wertschöpfung mit unserem Wissen, unseren Kommunikations- und vor allem mit unseren Kooperationsfähigkeiten mitten in allerlei Begehrlichkeiten geraten. Wir sind jetzt also SPRECHERIN Innovatoren. Mitmachkunden. Innovationsfördernde Persönlichkeiten. Fankunden. Ko-Produzenten. Lead user. Wertschöpfungspartner. Pro-su-men-ten. Wenn Sie als Arbeitssoziologe sich diesen neuen Kunden anschauen, was sehen Sie da? O-TON (Voß) Die 3 Kategorien, mit denen man sich das anschauen kann, ist das, was die Leute konkret tun; das 2. ist, welche ökonomische Bedeutung das hat; und das 3. ist, wenn man so will, existentiell, also was macht das mit ihrem Leben. Der neue Kunde ist jemand der eben Arbeit verrichtet, und zwar eine Arbeit, die nicht nur für sich selber passiert, also der Kunde musste immer schon zuhause die Butterbrote schmieren oder das Essen kochen, sondern eine Arbeit, die in hohem Maße dem Unternehmen dient. Also er arbeitet regelrecht dem Unternehmen zu und schafft Werte in einer neuen Weise. Mit Werten ist schon die 2.Kategorie angesprochen, der Kunde leistet damit ökonomisch wertvolle Leistungen, nicht nur für sich, indem er sich vielleicht ein bisschen Kosten spart, sondern die Unternehmen haben, und zum Teil in großem Ausmaß, jetzt ökonomische Vorteile davon, dass sie die Kunden die Arbeit machen lassen. Und das 3. ist, diese neue Form von Arbeit zieht massiv in unseren Alltag ein, dominiert uns an ganz vielen Stellen, man nimmt das oft gar nicht wahr, weil es so viele kleine Dinge sind, aber in der Summe ist das sehr gravierend, und das, wenn man so will, wir sagen dazu, verarbeitlicht den Alltag immer mehr. SPRECHERIN Man nimmt es oft nicht als Arbeit wahr, was man da tut: Dinge, die Arbeit darstellen, weil sie woanders zu Geld gemacht werden. Die Sache mit den Cookies. Wir klicken als Kunden, als User, als Verbraucher, wir werden registriert, diese Information wird verarbeitet und kommt in Form von Pop-Up-Werbung zu uns zurück. Ob wir da, ohne es überhaupt zu wissen, für Unternehmen Mehrwert produzieren? MUSIK (Doris Day: Pennys From Heaven) O-TON (Voß) Es ist eine komplizierte Frage, was da entsteht, an der ich auch noch arbeite, auch da drüber nachdenke. Was deutlich ist bei der sich ausweitenden neuen, sag ich mal, Arbeit von Kunden geht es in der Menge oft um neue Selbstbedienung, und was da entsteht ist für die Unternehmen ein Kostenvorteil. Man kann also Kosten, die man hat, Arbeitskraft usw. zum Kunden verlagern, der macht die Arbeit, und die macht der für sich erst mal, also indem ich Selbstbanking mach oder Hotels selber buche und Flüge, tausende von Dingen gibt’s da. Das ist ökonomisch gesehen wichtig und in der Summe auch viel, aber es ist sozusagen nicht die heiße Kiste. MUSIK (Les Baxter Orchestra: Pennys From Heaven, steht eine Weile frei, dann Cut) O-TON (Voß) Die heiße Kiste ist was ganz anderes, nämlich wenn Kunden jetzt Leistungen erbringen, die gar nicht so sehr ihnen dienen, sondern die hochgradig ökonomisch wertvoll sind für die Unternehmen, sozusagen zurückfließen an die Unternehmen. Also ein Beispiel, wenn Kunden Ideen für das Design von Produkten abliefern, ja, so nebenbei aus Spaß oder Wertungen abgeben, die berühmten Sternchen, also Daumen ab, Daumen down. Das sind wichtige Marketinginformationen, die in der Summe gigantische ökonomische Werte zum Teil darstellen, und das kann man ökonomisch gesehen tatsächlich als einen Beitrag zur Mehrwertproduktion der Unternehmen betrachten, also das geht unmittelbar in den Profit ein und ist nicht nur Kostenersparnis. SPRECHERIN Das fleckenfreie Deo ist so eine heiße mehrwertproduzierende Kiste. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Sie kenne diese Flecken auch, von den Shirts ihres Mannes. Es sei tatsächlich das Aluzeugs, das diese Flecken mache. Sie habe den Tipp bekommen, das mit Zitronensäure zu behandeln, als Pulver aus der Apotheke oder dem Drogeriemarkt. O-TON (Bartl) Alles implizites Kundenwissen, das sie in Online-Communities loswerden, und dafür kriegt man dann ein Gefühl, dass das wirklich das ist, was die Menschen brauchen: n´Deo, das keine Flecken mehr macht. SPRECHERIN Sagt Herr Bartl, der sich auf „offene Innovationen“ spezialisiert hat und zusammen mit Herstellerunternehmen auch Produkte entwickelt. MUSIKMIX SPRECHERIN Open innovation. User innovation. SPRECHERIN Gemeint sind Erneuerungen, die von Wissen profitieren, das nicht innerhalb, sondern außerhalb von Unternehmen produziert wird. Von Wissen, das Kunden, Verbraucher, Nutzer, Leute haben und das etwas wert ist. MUSIKMIX SPRECHERIN Co-creation. Costumer driven innovation. SPRECHERIN Herr Habicht, der geschäftsführende Direktor vom CLIC, Center for Leading Innovation and Cooperation, das sich selber als „Ideenschmiede im Feld der Führung von Innovation in Unternehmen und Märkten“ versteht, wo man zu all diesen neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten im gegenwärtigen Kapitalismus forscht, sagt es so: O-TON (Habicht) Wie komm ich an dieses klebrige Wissen ran; Wissen, das wirklich tacit ist, also nicht expliziert ist, das an Menschen klebt, sticky ist, wie kann ich das für den Prozess nutzbar machen, also welche Möglichkeiten gibt es, welche Handhabe habe ich als Manager z.B., um genau dieses Wissen anderen Leuten aufzuzeigen im Innovationsprozess und daraus zu lernen. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Unternehmen müssen heute, wenn sie überleben wollen, mit den Märkten ein- und aus-atmen, in rasender Geschwindigkeit am laufenden Band neue Produkte entwickeln. Forschung und Entwicklung sind aber teuer, während die Produktion selber, in Billiglohnländer ausgewandert, nicht groß ins Gewicht fällt. Was der erfolgreiche Unternehmer also braucht, ist dieses klebrige, lebendige Wissen. Und je schneller er es hat und je weniger er dafür investieren muss, umso besser steht er da. MUSIKATMOMIX (Exotica von Martin Denny, zusammen mit einem Bienenschwarm) O-TON (Bartl) Ich geb Ihnen ein gutes Beispiel. Wir haben grad ein neues Deo entwickelt für / gemeinsam mit (Piepsen) für (Piepsen) in dem Falle. Das macht keine Flecken mehr, und das ist übrigens die erfolgreichste Deoeinführung in der Geschichte von (Piepsen). SPRECHERIN Die erfolgreichste Deoeinführung eines globalen Konzerns! Wow! O-TON (Bartl) Wenn Sie die Techniker alleine lassen, besteht die Gefahr, dass die Techniker sagen, oh ich hab ne neue Formel entwickelt, da mach ich jetzt aus 24 72 Stunden, und des braucht kein Mensch auf der Welt, weil ich mich vielleicht doch jeden Tag dusche. Die entwickeln halt nun mal, da wird auch nicht vorab dann ungefähr immer genau abgeprüft, was der Kunde will, deswegen / des ist ja genau der Vorteil bei der Kundeneinbindung: Wenn Kunden im fuzzy front end früh eingebunden werden, dann wird ihnen klar, dass Deoflecken wichtiger sind als vielleicht alles andere. SPRECHERIN Ein Unternehmer, der weiß, was am fuzzy front end los ist, reduziert sein Floprisiko und hat damit eine Menge gewonnen. O-TON (Bartl) Und des ist ja der Punkt, die Kunden mit vorne zu den Technikern zusammenzubringen; und des ist nicht selbstverständlich, obwohl´s jedem einleuchten würde. SPRECHERIN Fuzzy heißt „unscharf,“ „verschwommen“, „undeutlich“; front end ist eine „anfängliche Situation“. Wir haben es mit etwas Verwischtem zu tun, mit diffusen Zonen, auch mit Grenzen, die verschwimmen. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Fabrik/Gesellschaft. Produktion/Reproduktion. Arbeit/Leben. Öffentlichkeit/Privatheit. SPRECHERIN Das fuzzy front end ist das rechte Glied, die Gesellschaft, die Reproduktionssphäre, das Leben, unsere Privatheit. Der Kunde aus dem fuzzy front end wird jetzt auf die linke Seite gezogen, Richtung Fabrik, Produktion, Arbeit, Öffentlichkeit. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Fabrik/Gesellschaft. Produktion/Reproduktion. Arbeit/Leben. Öffentlichkeit/Privatheit. O-TON (Meretz) Einerseits lebt der Kapitalismus davon, dass diese Grenzen existieren, weil der Kunde soll Kunde bleiben und soll kaufen, der soll ja nicht produzieren, weil wenn er nämlich selber produzieren würde, dann könnte er nicht mehr kaufen. SPRECHERIN Sagt Herr Meretz, der das Ökonux-Projekt mitgegründet hat. Bei Ökonux geht es um die Frage, inwiefern mit den Prinzipien von Freier Software, allgemeiner von freier Kooperation, die Grundlage für eine nicht-kapitalistische Produktionsweise geschaffen werden kann. O-TON (Meretz) Andererseits soll sich diese Grenze auflösen, weil die Produkte ja sehr speziell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten werden müssen, und wenn der Kunde die am besten dem Produzenten auch selber mitteilt, dann ist es das Optimum. SPRECHERIN Bartl und seine Mitarbeiter sind Datensammler, sie durchschnüffeln im Auftrag anderer Unternehmen weltweit Netz-Communities, nennen das Ganze, analog zu Ethnographie, nethnography und machen es zu Geld. ATMO Bienenschwarm SPRECHERIN Vor acht Jahren waren sie noch zu dritt, inzwischen hat ihre Aktiengesellschaft 75 Angestellte. O-TON (Bartl) D.h. Sie kriegen da viel authentischre, authentischere Aussagen raus in Communities, die Sie so sonst nicht bekommen. Und auch, es ist zwar immer noch qualitativ, aber hat schon einen enorm quantitativen Touch,weil sie, auch wenn Sie´s händisch machen, über so´n Zeitraum 1000, 2000 Aussagen bekommen, und des nicht nur auf 5 Personen beruht, was Sie da rausfinden. SPRECHERIN Außerdem initiieren sie Online-Communities, in denen sie Konsumenten schwarmintelligenzartig vernetzen, sie gestalten offene Ideenwettbewerbe im Internet, um besonders entwickelte Kunden für Innovationen zu gewinnen. Der Firmenname (Piepsen) ist eine Mischung aus Hype und Beehive. Man sieht sich als Bienenstock, der Hypes produzieren will. Buzzzzzzzzzz! O-TON (Meretz) Wir brauchen quasi individuelle Produkte, nicht nur Produktpaletten nach bestimmten Kriterien, sondern innerhalb der Produktpaletten müssen die Produkte auch anpassbar, flexibel, adaptierbar sein, durch den Kunden geradezu verändert werden können. MUSIK SPRECHERIN Jeder Fuß ist anders. Nicht einmal deine eigenen beiden Füße sind identisch. Warum solltest du deine Füße also in Standardschuhe quetschen, wenn du deine Schuhe an deine Füße anpassen kannst? Gewinne mit etwas Glück ein Paar (Piepsen) Fußballschuhe deiner Wahl, in deinem Design! Alles was du tun musst: Bild teilen, "gefällt mir" drücken und unsere Facebook-Seite linken. O-TON (Meretz) Das geht nur mit einer hochgradig flexibilisierten Produktion, das wiederum geht nur mit Menschen, die sich nicht einfach mit ihrer physischen Potenz als leibliche Wesen einbringen, sondern als ganze Menschen, mit ihrer Kreativität, mit ihren Ideen, mit ihrer Kommunikation, mit ihrer Kooperationsfähigkeit, mit ihren Wünschen, mit ihren Emotionen usw. MUSIK SPRECHERIN Bei (Piepsen), einem deutschen Sportartikelhersteller, hat man das früh kapiert und den Kunden in den Leistungserstellungsprozess integriert. Der kann sich seinen individuellen Schuh seither selber zusammenbasteln. MUSIK (Nancy Sinatra: These Boots are made for walkin´) ATMO Melken O-TON (Habicht) Also Fazit: Kunden werden dazu benutzt oder nein Kunden wird die Möglichkeit gegeben auf Basis von bestimmten Freiheitsgraden und unter Zuhilfenahme von hoch standardisierten Bausteinen, ihr eigenes Produkt zu designen. SPRECHERIN Der Kunde kriegt einen hübsch individuellen Schuh, das Unternehmen einen hübschen Gewinn. Win-Win! O-TON (Habicht) Also es gibt ne Handvoll guter Studien mittlerweile, die eben zeigen, dass open innovation-Aktivitäten tatsächlich die F&E- Kosten in nem Unternehmen senken können, SPRECHERIN - F und E: Forschung und Entwicklung - O-TON Ja, die gibt es. SPRECHERIN Open innovation geschieht vorne, da, wo die Wertschöpfung beginnt, im fuzzy front end, Sie erinnern sich, Ideenfindung bis hin zur Prototypenerstellung, während mass customization - der individuelle Turnschuh - weiter hinten in der Wertschöpfungskette angesiedelt ist, in Produktion, Vertrieb und After-Sales, da, wo der Kunde an die Marke gebunden werden soll. O-TON (Habicht) Es gibt demgegenüber Studien aus dem Bereich mass customization, die sehr gut zeigen, worin der Zusatznutzen für den Kunden liegt, wie hoch der ist MUSIK (Nancy Sinatra: These Boots are made for walkin´) O-TON (Habicht) und welche Kosten in der Produktion, weil Flexiblermachen heißt auch immer ein Stückweit mehr investieren müssen, welche Kosten dem gegenüberstehen. Und dort gibt es, soweit mir bekannt ist, noch keine Studie, die wirklich explizit zeigt, dass sich mass customization durchweg lohnt. D.h. mit mass customization werden ne ganze Reihe von Werten für das Unternehmen angesprochen, die eben gar nicht im Produkt und im Vertrieb liegen, sondern in der Marke beispielsweise. SPRECHERIN Der individuelle Turnschuh soll eine Beziehung herstellen zwischen dem Kunden und dem Unternehmen. Und die ist wertvoll, auch wenn sie sich nicht beziffern lässt. O-TON (Habicht) Also da gibt´s im Moment ne ganze Reihe von Forschungsprojekten, die sich wirklich konkret die Frage stellen, wie eben Produktivität im Konfigurationsprozess aussieht. Das ist ein ganz wichtiges, ein elementares Problem, weil mass customization ja schon einmal angetreten ist, um die althergebrachte Welt der Massenproduktion zukunftsfähig zu machen durch Individualisierung, und da muss noch einiges geleistet werden; aber ich bin da sehr optimistisch. MUSIK (Nancy Sinatra: These Boots are made for walkin´) ATMO Jukebox O-TON (Habicht) Die letzte Studie, die ich gesehen hab, ist von (Piepsen). SPRECHERIN - ein großer globaler Konsumgüterkonzern - O-TON die eben tatsächlich mal herausfinden wollten, ob der return on investment zwischen geschlossenen und offenen Innovationsprozesssen tatsächlich wirklich unterschiedlich ist, und tatsächlich festgestellt haben, dass der ROI bei open innovation um einiges besser ist als bei geschlossenen Innovationsprozessen. ATMO Bienenschwarm SPRECHERIN Herr Bartl weiß, wie man kostengünstig an das klebrige Wissen kommt, so dass am Ende die Rendite auch stimmt, der return on investment, der Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Beim Deoprojekt O-TON (Bartl) Beim Deoprojekt, da gab´s einen lead user, der heißt the under shirt guy, der hat einen Blog, der schreibt nur über Unterzieh-T-Shirts. Der war natürlich n´Superleaduser, den wir auch angeschrieben haben und haben gesagt: Hilf uns, das Produkt zu entwickeln. Und dann sagt der entweder: Ja super, ich freu mich, ich brauch auch kein Geld dafür, es macht mir einfach Spaß. Und wenn er sagt, ja super, ich freu mich, ich möchte aber was dafür, muss man auch drüber nachdenken. In der Zusammenarbeit geht´s im Wesentlichen immer darum, dass sich beide Parteien gerecht behandelt fühlen müssen, und dass es, ob´s jetzt materiell oder immateriell ist, einen Austausch von Werten gibt. Der kann auch sein, dass es mir einfach nur Spaß macht. Ist auch n´guter Wert, wie lange der ausreicht, weiß ich nicht. SPRECHERIN Lead user. Übersetzungsvorschlag: ein Kunde, der einen verwertbaren Wissensvorsprung hat. Den man mitarbeiten lassen kann. O-TON (Ramakrishnan) Wenn man Glück hat, fallen bei der Netnographie-Analyse schon mal so´n paar innovative Personen ab. MUSIK (Tom Jones: What´s New Pussycat) SPRECHERIN Sagt Frau Ramakrishnan, die in Bartls Firma für die lead-user- Workshops zuständig ist. MUSIK (Tom Jones: What´s New Pussycat) O-TON (Ramakrishnan) Ein lead user-Projekt dauert in der Regel an die 10 Wochen. Wir verbringen 2 Wochen damit, Leute zu identifizieren, SPRECHERIN - im Internet - im Internet - O-TON dann haben wir die, und dann sagen wir denen: So, in 3 Wochen ist der Workshop, hast du da Zeit? Und in diesen 3 Wochen, wo dann so die Leerlaufphase ist, die verbringen wir damit, einen Workshop vorzubereiten. Und normalerweise ist es so, dass wir uns an einem Freitag gegen 18 Uhr treffen, weil die meisten halt sich für so was ungern Urlaub nehmen und lieber ihre Freizeit dafür hernehmen, und der Workshop an sich ist normalerweise eineinhalb Tage und fängt an ´nem Samstag z.B. um 9 Uhr an und geht bis 18 Uhr, und am Sonntag dann noch mal von 9 bis 16 Uhr. SPRECHERIN Ob die teilnehmenden lead user bezahlt werden? O-TON Also es ist so, dass es natürlich schon mal toll ist, wenn man in ´nem richtig schicken Hotel mit nem coolen Rahmenprogramm und gutem Restaurant, des ist schon mal, sag ich, so´n extrinsischer Anreiz, aber es ist nicht das Wichtigste; des ist eher so´n netter Nebeneffekt. Der Hauptpunkt ist der, dass wir wirklich auf der Suche nach Personen sind, die so, sag ich mal, so sehr Freaks oder Tüftler sind in dem jeweiligen Bereich und so nen starken emotionalen Bezug und ne Begeisterung zu dem Themenfeld aufbringen, dass sie nicht an einer extrinsischen Belohnung interessiert sind wie z.B. Geld, sondern das ist sogar, das nennt sich dann in der Wissenschaft crowding-out-Effekt, das kann sogar nach hinten losgehen. SPRECHERIN Mit Crowding-out-Effekt ist gemeint, dass die innere Motivation eines Menschen, etwas zu tun, „verdorben“ wird, „verdorben“, ja, wenn man ihn dafür bezahlt. MUSIKATMOMIX Jahrmarkt O-TON (Ramakrishnan) Wenn man so jemandem für ne Workshopteilnahme 300 Euro bietet, dann empfindet er das vielleicht sogar eher als Beleidigung, weil seine intrinsische Motivation viel höher ist aufgrund dieser emotionalen Beziehung zu dem Thema und nicht mit Geld gemessen werden kann. SPRECHERIN Weil neue Studien gezeigt haben, dass der bezahlte Output geringer als der unbezahlte ist, aber vor allem, weil die Peer-to-Peer- Szene so Unerhörtes bewerkstelligt hat: Linux, Wikipedia, Firefox, werden lang gehätschelte ökonomische Fundamentalannahmen über den Haufen geworfen. Offenbar sind wir doch keine kühl rechnenden Egoisten. O-TON (Meretz) Jahrelang wurde behauptet, so etwas wie freiwilliges Tun gibt´s gar nicht, und die Leute rühren nur einen Finger, wenn sie Geld dafür kriegen. Das ist überhaupt nicht der Fall, und das wird langsam verstanden, und natürlich wenn das entdeckt wird, wird es auch sofort instrumentalisiert. Aber jetzt ist die Frage, ist das tatsächlich Motivation oder ist das eine Form des motivationsförmig verinnerlichten Zwangs, der dahintersteckt. O-TON (Ramakrishnan) Und daher ist es so, das wir auch zu Beginn, wenn wir ein Interview führen, wenn diese Frage kommt, krieg ich dafür was, und wir sagen, nein, und die Person reagiert eher etwas skeptisch oder negativ, dann ist das für uns schon auch ein Kriterium, an dem wir die Motivation messen, weil jemand, der dafür Geld haben möchte, den wollen wir eigentlich gar nicht im Workshop haben. MUSIK SPRECHERIN Bleiben Sie dabei, wenn Sie als Konsument ein echter Produzent werden wollen, wenn Sie das selbstausgebeutete Prosumententum auch satt haben! Den individuellen Turnschuh können wir auch anders bekommen. O-TON (Meretz) Das ist etwas genuin Menschliches, wir möchten uns beteiligen, wir möchten die Dinge schaffen, die wir auch nutzen. Und wenn es solche Angebote innerhalb der Verwertungslogik gibt, natürlich nehm ich die an, aber ich werde dann immer, wenn man so will, mit einem schalen Gefühl zurückbleiben, weil ich behaupten würde, das ist keine wirkliche Motivation, sondern das ist eine motivationsförmige Verinnerlichung des eigentlichen Zwangs, dass wir uns letztlich doch verwerten müssen. SPRECHERIN Weshalb Herr Meretz eine Unterscheidung macht zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung. MUSIK SPRECHERIN Ihre Meinung ist uns wichtig! Wir freuen uns, wenn Sie sich einige Minuten Zeit nehmen und ein paar einfache Fragen beantworten. Ihre Meinung ist uns wichtig! Sie sind uns wichtig! Ja, Sie, Sie, Sie Kunde, Sie klebriger Kunde, an Ihr Schweißfleckwissen wollen wir ran. Die Bank schreibt es uns, die (Piepsen) traktiert uns damit, während wir in einem ihrer Züge sitzen, und auf Webseiten springt es uns an, blinkt und plärrt: Ihre Meinung ist uns wichtig! Selbstverständlich werden alle Ihre Angeben vertraulich behandelt und nur anonymisiert ausgewertet. Vielen Dank. MUSIK SPRECHERIN Als Riesenerfolg gilt den innovativen BWLern (Piepsen), ein mit Risikokapital finanziertes us-amerikanisches Open Innovation- Unternehmen. Freiwillige, die solvers, melden sich auf einer Internetplattform an, um an der Lösung von Problemen zu arbeiten, die Unternehmen, die seekers, dort eingestellt haben. Circa 1.500 hoch spezialisierte Aufgaben aus Bereichen wie Chemie, Biowissenschaften, Informatik oder Physik wurden bisher ausgeschrieben, und 250.000 unbezahlte solver aus mehr als 200 Ländern haben sich registrieren lassen - ist der unternehmenseigenen Webseite zu entnehmen. Das Unternehmen wirbt außerdem damit, dass seine solver the world´s most creative thinkers seien. Im Erfolgsfall, im Erfolgsfall (?!) könne, könne ein solver eine Belohnung zwischen 10.000 und 100.000 Dollar erhalten. Das Unternehmen wirbt auch damit, dass es seinen seekern helfe, schneller zu innovativen Problemlösungen zu kommen und dass das kostengünstiger und mit weniger Risiko als jemals zuvor geschehe We believe that´s the future. SPRECHERIN Wissenskapitalismus. Biokapitalismus. SPRECHERIN Eine schöne Zukunft ist das! Ein Wissenskapitalismus, in dem Kopfarbeit ganz umsonst ist. Und wir Mit-mach-kunden an vorderster Stelle mit dabei. SPRECHERIN Biokapitalismus. Kognitiver Kapitalismus. O-TON (Habicht) Ich sag´s mal so, die cleveren, zukunftsorientierten Unternehmen verstehen, dass die Aufgabe sich wandelt vom Bereitsteller eines fertigen Produkts zum Bereitsteller einer Interaktionsplattform. Interaktionsplattform jetzt nicht als Software gedacht, sondern als Möglichkeit mit all denen, mit denen ich in Kontakt treten muss, tatsächlich in Kontakt zu treten, um etwas zu erreichen, was ich möchte. O-TON (Meretz) Wie kann man Leute dazu bringen, das freiwillig zu tun, was sie tun sollen, diese Fragestellung gibt es schon solange es den Kapitalismus gibt. SPRECHERIN Manager sprechen von free revealings, und Motivationspsychologen wollen herausfinden, was Menschen motiviert, ihr Wissen ohne monetäre Gegenleistung, free revealing-mäßig, einzubringen. MUSIK (Les Baxter Orchestra: Pennys From Heaven) O-TON (Kehr) Dieser Bauchfaktor, diese Bauchkomponente ist da sehr wichtig. Da muss man anders rankommen, und wir versuchen zu zeigen, dass eben gerade diese unbewussten Prozesse recht wichtig sind, wenn es geht zu verstehen, was motiviert Menschen, eben nächtelang ihr Wissen in Wikipedia einzuspeisen und Ähnliches. SPRECHERIN Sagt Herr Kehr, der den Lehrstuhl für Psychologie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der TU München leitet und bei seinen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, aber auch einer deutschen Versicherungsgruppe mitfinanzierten Untersuchungen immer wieder auf den Bauch gestoßen ist und auf 3 Motive: das Anschlussmotiv, das Leistungsmotiv, das Machtmotiv. MUSIK (Doris Day: Pennys From Heaven) ATMO Bienenschwarm SPRECHERIN Herr Kehr hat auch eine eigene Beratungsfirma, die auf der unternehmenseigenen Webseite damit wirbt, dass die „praktische Beratungsarbeit eng mit den Erkenntnissen der aktuellen wissenschaftlichen Forschung“ verknüpft sei. O-TON Es gibt wissenschaftliche Verfahren der Motivmessung, die auf bildgestützten Verfahren basieren. Also wir messen im Vorfeld bereits diese Motive und zeigen dann, dass je nachdem, welche Motive jemand hat, ihn verschiedene Features an dieser Wikipedia-Plattform z.B. interessieren, motivieren, und dass man eben verschiedene Features ebenso einstellen kann, dass sie eben zu den Motiven des Users passen, damit der dann eben noch motivierter dabei ist, um, ja, das, was er da macht zu tun, um jetzt die Internetplattform zu programmieren oder irgendwelche Sharewares zu erstellen oder Sonstiges. SPRECHERIN Den Machtmotivierten kann man, Herrn Kehrs Untersuchungen zufolge, mit einem großen Foto oder auch mit einer Rangordnung auf der Plattform locken, den Leistungsmotivierten mit der Aussicht auf ein Hotlinegespräch mit echten Experten. Der Anschlussmotivierte freut sich vermutlich einfach, dass er mit dabei ist. Win-Win! MUSIK SPRECHERIN Tauschen Sie sich im Forum mit anderen Kunden aus und helfen Sie anderen Kunden bei der Lösung ihrer Probleme. O-TON (Habicht) Wie schaffe ich es, fair gegenüber denjenigen, die ja auf Basis von Freiwilligkeit partizipieren, aufzutreten und mir sozusagen den Input auch anzueignen. Ich muss mir Dinge ja aneignen können, um sie zu einem Produkt weiterverarbeiten zu können, das muss aber auf eine Art und Weise geschehen, die akzeptiert wird von den Leuten da draußen. Es darf eben grade nicht der Eindruck entstehen, dass man übers Ohr / ah übern Tisch gezogen wurde, denn damit verbrennt man, also wörtlich, eine Community. MUSIK SPRECHERIN Tauschen Sie sich im Forum mit anderen Kunden aus und helfen Sie anderen Kunden bei der Lösung ihrer Probleme. O-TON (Bartl) Wie vorhin kurz angesprochen, glaub ich, dass sich des über die nächsten 5 Jahre ändern wird, weil wenn (Piepsen) mich frägt, wenn (Piepsen) mich frägt, wenn (Piepsen) mich frägt, du gib mir mal deine tollen Kommentare und Ideen für ein neues Fahrerassistenzsystem, dann denke ich mir natürlich auch irgendwann: Hey, die fragen mich jetzt alle, des ist ja irgendwas wert, was ich hier tue, ich möchte was dafür haben. Es kann nicht sein, dass ich ne Plattform mach und Ideen absauge von Kunden und den danach rauslass, sondern ich muss ihm langfristig ein wechselseitiges Anreizsystem geben, wo durchaus auch Lizenzvereinbarungen dabei sind, wo es heißt, wenn die Idee umgesetzt wird, kriegst du einen einmaligen Betrag von 5.000 Euro oder 10.000 Euro. MUSIK SPRECHERIN So stellen sich die Betriebswirte eine Win-Win-Situation vor. (Pause) (lakonisch-komisch) Da machen wir doch lieber unser eigenes Ding! SPRECHERIN Stattdessen kommunizieren wir selbstverwertungszwanghaft konditioniert oder motivationstypmäßig adressiert oder einfach genervt, weil die Dinge, die wir gekauft haben, nicht funktionieren und der Kundendienst so hotline-mies ist. Wir kommunizieren und schöpfen dabei Wert. MUSIK SPRECHERIN Nicht für uns, für andere. Für andere schöpfen wir Wert. Interaktive Wertschöpfung. MUSIK O-TON (Habicht) - Interaktive Wertschöpfung entsteht überall dort, wo mehrere unabhängige Akteure gemeinsam etwas machen, das für die Gesellschaft von Wert ist SPRECHERIN Das ist jetzt aber eine nicht-ökonomische Definition von Wert? O-TON Ehm, was heißt ökonomisch? Ökonomisch heißt, ich kann es unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie betrachten. Wir sind uns alle darüber einig, dass es einen ökonomischen Wert von Luft gibt; aber der Wert von Luft ist nicht nur ökonomisch. Und Wertschöpfung ist die ökonomische Betrachtungsweise auf Prozesse, die wir in unserer Gesellschaft zu unserem gegenseitigen Wohlbefinden brauchen. MUSIK (Nancy Sinatra: Up, Up & Away) SPRECHERIN Wert, was soll das sein: Wert? O-TON (Meretz) Wir reden sozusagen mit einer Kategorie, die nicht als Beschreibungsbegriff existiert. Ich kann damit nichts beschreiben, es gibt nichts, was Wert zeigt sozusagen, sondern zeigen tut sich das immer nur auf der Erscheinungsebene, dann Geld, also wenn ich den Wert dann quasi als Tauschwert in Geld umsetzen kann, dann hab ich erst was davon. SPRECHERIN Sagt Herr Meretz, der zu commonsbasierten Peer-Projekten forscht. Peer-Produktion stellt Gemeingüter her, Commons, keine Waren. Dinge wie Linux, Firefox, Wikipedia nützen uns was, werden aber nicht zu Geld gemacht. O-TON (Voß) Eine Unterscheidung von Nutzen und Wert oder jetzt mit Karl Marx gesprochen von Gebrauchswert und na SPRECHERIN - Tauschwert - O-TON Tauschwert, übrigens nicht von Karl Marx erfunden, das geht auf Adam Smith und vorher auf Aristoteles zurück, also diese Unterscheidung ist vergleichsweise banal, aber hoch bedeutsam. Es geht bei Produkten, die entstehen, oder bei Marx sind das die Waren, einmal darum, was haben sie für einen praktischen Nutzen, kann man sie essen, kann man damit sein Auto waschen oder Fernsehgucken, und das andere ist, haben sie einen ökonomischen Wert. Und die These von Marx ist, die Waren werden nicht vorwiegend dazu gemacht, dass sie uns was nützen, sondern vorwiegend dazu, dass sie sich verkaufen lassen und damit dann Profit entsteht, und das ist inzwischen auch völlig unideologisch von allen so gesehen. SPRECHERIN Unser klebriges Gebrauchswertwissen ist heute Geld wert, weil es ein potentiell riesiges Tauschwertpotential für die Unternehmer enthält. Das Innovationsunternehmen (Piepsen) hat daraus sein Geschäftsmodell entwickelt. Weil aber nicht gleich ins Auge springen soll, dass aus Kundenkommunikation Kapital geschlagen wird, verwischt Herr Bartl die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert oder in seinen Worten von Nutzen und Mehrwert lieber. O-TON (Bartl) Wenn ich mich einbring als Kunde und das Unternehmen es gut macht, dann hab ich halt danach n´besseres Produkt. Das hilft mir schon auch, n´Produkt, wo ich nicht mehr so viel zu meckern hab, und des, weil ich mitgemacht hab. Insofern ist das natürlich auch n´Mehrwert, den man langfristig hat. SPRECHERIN Aber ist das ökonomisch gesehen Mehrwert, wenn der Kunde ein besseres Produkt hat? O-TON Ja, für ihn ist´s definitiv n´zusätzlicher Nutzen. Und ökonomischer Mehrwert wird´s auch, wenn er bereit ist, mehr zu zahlen, und manchmal ist man ja auch mehr bereit, dafür zu zahlen, wenn das Deo von mir aus keine Flecken mehr macht. SPRECHERIN Das wäre dann aber ein Mehrwert für das Unternehmen. O-TON Des wär n´Mehrwert fürs Unternehmen, wobei man so was dann auch irgendwann verknüpfen kann, wenn´s n´Mehrwert für´n Unternehmen ist, was auf Kundenaussagen beruht, vielleicht fließt ja dann bisschen was zurück an die Kunden, und zwar auf der anderen Seite für diejenigen, die mitgemacht haben. SPRECHERIN Win-Win! MUSIKATMOMIX O-TON (Voß) Und dies ist auch Teil dieses Vorgangs, dass wir quasi eine Arbeit verrichten, die wir gar nicht als Arbeit wahrnehmen, ja, aber es werden trotzdem Dinge von uns genutzt, also Dinge unserer Aktivitäten, und es ist insoweit auch eine sehr subtile, feine Form von Arbeit. Also unsere Lebensäußerungen haben arbeitsförmigen Wert und sind ökonomisch bedeutsam; dann wird’s fast absurd, das noch Arbeit zu nennen, es ist aber so etwas. MUSIK SPRECHERIN Emotionaler Kapitalismus. Mentaler Kapitalismus. Immaterieller Kapitalismus. SPRECHERIN Ein Kapitalismus, in dem buchstäblich alles in die Wertschöpfung hineingesogen wird. O-TON (Voß) Das, was da passiert in der Konsumwelt, auch in der formellen Erwerbswelt ist ein Zugewinn an Selbstbestimmtheit, und wie vieles andere muss man auch diese Kategorie dann in Anführungszeichen setzen, an Freiheit, vielleicht auch an Demokratie. Und dieser Zugewinn, und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, ist hochgradig ambivalent oder paradox. Es hat Vorteile, jetzt auch für den einzelnen, ein Stück Freiheit, ein Stück Selbstbestimmtheit, und gleichzeitig enthält es eine neue Form von Ausnutzung, von Ausbeutung und damit auch von Gefährdung, die paradoxerweise im Modus der Selbstgefährdung auftritt. MUSIK SPRECHERIN Selbstausbeutung. Selbstbestimmtheit. Selbstverwertung. Selbstentfaltung. Selbstgefährdung. Selbstmord. O-TON (Voß) Also das, was Marx und viele andere als Ausbeutung durch den bösen Kapitalisten, wer auch immer das dann war, gesehen hat, ist jetzt etwas, was man selber macht, aber man macht es sozusagen im Sinne eines Systems, was man selber nicht steuern kann. Es ist nicht wirklich eine selbstbestimmte Ausbeutung, sondern eine Ausbeutung, die man selber betreibt, aber für jemanden, in Anführungszeichen, anderes. Und das ist etwas, was ganz schwer auch zu knacken ist, dagegen kann man sich kaum wehren, weil es Dinge sind, die man selber macht. Es gibt keinen Gegner mehr oder der Gegner ist nicht zu greifen. SPRECHERIN Und wenn wir jetzt noch mal ganz anders draufschauen?! MUSIK (Tom Jones: Help Yourself) SPRECHERIN Durch Managementhandbücher geistert jedenfalls die Frage: Could the culture of participation threaten the existence of the firm? Ob der Schwarm am Ende die Firma killt? Den Kapitalismus bedroht? MUSIK O-TON (Voß) Und die Frage ist tatsächlich, braucht´s überhaupt noch die Firmen, und eine Antwort ist: Es braucht sie noch, aber sie sehen ganz anders aus. Die Firmen finden sozusagen im virtuellen Raum statt. Es sind nicht mehr die Firmen an einem Ort eine bestimmte Gruppe von Leuten mit einer bestimmten Technik, einem Produkt und einem Chef zu einer Zeit, ja, so wurde mal ein Unternehmen beschrieben. Das löst sich alles auf. Also offene, eher Prozesse, die auch nur auf Zeit funktionieren, so, das ist der Tendenz nach das, was moderne Firmen sind. Und dies ist nicht Freiheit, sondern ist ne neue Form der Kooperation, wo auch die Rollen von Arbeitskraft und Kunde sozusagen verfließen, Arbeit und Leben verfließt, auch Kapital und Arbeit verfließt, und auch die Grenze von dem, was jetzt so ökonomische Einrichtung ist, Firma, ja, und andere Welt, Konsumwelt, auch verfließt, wo ich nicht mehr weiß, wo eigentlich außen ist. Ich bin permanent freier Konsumbürger und bin permanent auch Arbeitskraft, ununterbrochen, ich arbeite auch ununterbrochen, in Formen von Arbeit, die man bisher gar nicht als Arbeit gesehen hat, und es zieht mich, mich als Person, als lebendiges Wesen vollständig mit hinein. Diese Freiheit muss man noch mal überdenken. MUSIK (Tom Jones: Help Yourself) SPRECHERIN Haben Sie schon von Fab-Labs gehört? Freie High-Tech-Werkstätten. Von 3–D-Druckern? Erschwingliche, kleine Produktionsmaschinen. Vom global village construction set? Ein Maschinenpark aus 50 Maschinen, die man braucht, um eine kleine Stadt betreiben zu können. Herr Meretz hat es schon angedeutet: Die Open-Source- Bewegung hat die Schwelle vom Immateriellen ins Materielle überschritten. Was für freie Software und deren Codes gilt, dass sie öffentlich sind, dass sie von allen benutzt und verändert werden können: Linux, Wikipedia, wird jetzt auch in der handfesten Produktion möglich. O-TON (Meretz, auf Musik, instrumentale Sequenz) Ich sehe keinen prinzipiellen Grund, warum das an irgendeiner Stelle aufhören sollte und stehen bleiben sollte, d.h. die Voraussage, dass sich das auf den Bereich der Produktion von elektronischen Schaltkreisen, von Alltagsgütern bis Hightechgütern bis besondere Materialien, die besondere Eigenschaften haben, ausdehnt, den seh ich nicht, sondern was möglich ist, wird auch gemacht werden. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Sogar von einer „Marx-Maschine“ ist die Rede. Eine Maschine, die sich selber vervielfältigen kann, indem sie ihre einzelnen Teile einfach dreidimensional druckt. Klingt verrückt, ist aber gar nicht so ferne Zukunftsmusik. Okay, Karl Marx hin oder her, mit einem 3-D- Drucker können Sie sich jetzt schon Ihre ureigene Badelatsche fabrizieren. Sie müssen nur in ein Fab-Lab gehen und ein digitales 3- D-Abbild Ihrer Wunschschlappe dabei haben. Wir Kunden könnten uns zu echten Produzenten mausern, wenn, ja wenn wir aus den Dingen keine Waren machen. Sie erinnern sich? Selbstverwertung oder Selbstentfaltung. O-TON (Meretz) Und die Perspektive wäre dann, wenn man den Widerspruch so formuliert „Selbstverwertung versus Selbstentfaltung“, natürlich die Selbstentfaltung zur Geltung zu bringen und die Selbstverwertung überflüssig zu machen. Die Frage wäre jetzt also, kann man aufbauend auf der Selbstentfaltung eine ganze Gesellschaft bauen und alle Dinge produzieren, die wir brauchen, so dass wir die Warenproduktion vergessen können. Eine commonsbasierte Peer Produktion zu organisieren, heißt ja erst mal, ich schaffe mir einen internen Bereich, der nichts mit der Warenlogik zu tun hat, ich mache das ja nicht primär, um etwas zu verkaufen, sondern ich mach´s für mich, für unsere Bedürfnisse, ich mach, ich geh da von eigenen Kriterien aus. Wenn ich jetzt anfange, diese Güter, die ich herstelle, zu verkaufen, dann kommen auf einmal dritte Kriterien ins Spiel, z.B. die Frage, was lässt sich verkaufen, was ist auf dem Markt konkurrenzfähig. D.h. es kommen auf einmal Kriterien ins Spiel, die nicht mehr meine eigenen sind, die entfremdet sind. Und hier haben wir genau diesen Widerspruch zwischen Selbstentfaltung, die meine ist, von mir ausgeht, und, wenn man so will, Selbstverwertung, d.h. Entfaltung für fremde Zwecke, für dritte Zwecke, die nicht mehr meine eigenen sind, die entfremdete Ziele sind. Das wird nicht immer unbedingt so gesehen, aber, ich glaube, dann möglicherweise schmerzhaft erlebt, weil ein Projekt, was dann quasi sich umstellt auf nur noch Produktion für den Markt, ist dann kein Projekt mehr, sondern wird dann eine Firma. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Also! Lassen wir den Mitmachkunden hinter uns! Sollen die doch schauen, wo sie bleiben ohne unser klebriges, lebendiges Wissen. Die können uns mit ihren Tauschwerten den Buckel runterrutschen. Wir werden jetzt unsere eigenen Produzenten! Und weil uns Ihre Meinung wichtig ist, hätten wir gerne gewusst, wie Sie das finden. MUSIKATMOMIX SPRECHERIN Ihre Meinung ist uns wichtig! Oder: Wenn aus Konsumenten Prosumenten werden. Feature von Barbara Eisenmann. Mit Marie-Lou Sellem. Technische Realisation: Dietmar Fuchs und Angelika Körber. Regie: Ulrich Lampen. Redaktion: Ulrike Toma. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks mit dem Deutschlandfunk 2012. MUSIK (Ella Fitzgerald: I get a kick) 5