Igelstation Berlin

Abschied von geliebten Wintergästen

Ein kleiner Igel
Jetzt, im Frühjahr erwachen Igel aus dem Winterschlaf © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Nadine Wojcik · 20.05.2017
Igel werden gepäppelt, damit sie den Winter gut überstehen. Allein trauen wir ihm offenbar das Überleben nicht zu. Der Igel ist extrem beliebt und deshalb so verhätschelt. Warum ist das so? Ein Besuch in der Igelstation Berlin, wo die Tierchen gerade aus dem Winterschlaf aufwachen.
"Da kommt ein Igel raus!" – "Na, das ist aber selten. Da guckt einer: Ja! Der denkt, was ist hier für ein Tremoli." –" Ja, na los Kumpel, komm schon raus."
Zuckelnd stupst die kleine punktförmige Igelnase hervor, sucht sich ihren Weg durch das geschredderte Zeitungspapier des Pappkartonhäuschens. Der schnuppernden Nase folgt schließlich das gesamte Köpfchen. Die schwarzen Knopfaugen fixieren kurz Gabi Gaede, die Leiterin der Igelstation, und Hannelore, ihre neue Kollegin. Dann dreht sich das Stacheltier ruckartig um, verschwindet im Karton.
"Es gibt welche, die sind zutraulich, das ist etwas gefährlich. Die sollen sich ja nicht an den Menschen gewöhnen. Es gibt welche, die sofort fauchen und einen in den Finger beißen, also das ist ganz verschieden", sagt Gabi Gaede.

30 Igel zum Überwintern im eigenen Keller

Die 63-Jährige mit akkurater Kurzhaarfrisur rettet bereits seit 30 Jahren Igel. Manche sammeln Briefmarken, sie setze sich eben für die Stacheltiere ein, erklärt Gaede ihr zeitintensives Ehrenamt.
Gabi Gaede, Leiterin der Igelstation Berlin
Sie sei "igelinfiziert", sagt Gabi Gaede, Leiterin der Igelstation Berlin, über sich selbst.© Deutschlandradio / Nadine Wojcik
Diese Urtiere hätten es ihr einfach angetan, nachdem sie damals rein zufällig mit ihren Kindern zwei Igel durch den Winter gebracht hatte. Heute seien ihre – längst erwachsenen – Kinder igelgeschädigt, sagt die organisierte Rentnerin, halb lachend halb ernst. Vergangenes Jahr hatte sie die Stacheltiere ganzjährig zur Pflege, Baby-Igel, Verkehrsunfälle, Kranke - jeden Tag. Neben der Igelstation versorgt sie im Winter weitere 30 Tiere in ihrem Privatkeller.
Nach der stacheligen Stippvisite füllt Gabi Gaede schon wieder Futternäpfe auf. Hannelore ist neu in der Igelstation, die Ehrenamtliche steht noch immer andächtig vor dem Gitterkäfig.

Igelfreunde - eine eingeschworene Gemeinschaft

"Wenn einer mal rauskommt, freu ich mich, für Gabi ist das kein Highlight mehr. Ja, da lacht sie. Aber ich mag das. Ich mag auch die Gesichter und die Charaktere. Der Dicke vorhin, der sich kaum zusammenrollen konnte. Manche halten ihr Häuschen sauber, kackern an eine Ecke, manche überallhin ... Schweine-Igel."
Gefährdet sind die Stacheltiere nicht, allerdings landen sie überdurchschnittlich oft unter den Rädern – eine halbe Million pro Jahr sollen es sein. Mehr als die Hälfte der Jungtiere überleben zudem den Winter nicht. Die Igel-Station in Hermsdorf in Nordberlin hat Platz für 30 Wintergäste. Zehn Freiwillige arbeiten hier. Täglich wird gereinigt und gefüttert, zusätzlich mit Schulklassen und Kitas zusammengearbeitet.

Schwerer Abschied im Frühjahr

Die Igel-Freunde, das sei eine eingeschworene Gemeinschaft, sagt Hannelore. Gottfried Gaede, Ehemann der Vorsitzenden und ebenfalls igel-infiziert, hat in Handarbeit Gitterkäfige angefertigt, sie stehen übereinandergestapelt vor einer Wand des angemieteten Erdgeschossladens. Trotz der 30 hier lebenden Wildtiere ist es pedantisch rein. Jeder Igel bekommt ein Schälchen Wasser, Trockenfutter, Hundefutter – und wenn nötig medizinische Betreuung. Gaede öffnet einen der Käfige und stellt eine besondere Futtermischung hinein.
"Gegen Lungenwürmer und Darmwürmer, weil der hustet auch. Da muss er natürlich Medikamente bekommen, bevor er jetzt auch rausgesetzt wird." – "Der schläft nicht mehr." – "Aha, der Nächste, die wachen jetzt alle auf, die klar." – "Ja, der hat gefressen." – "Ah ja."
Aufgenommen werden nur kranke und geschwächte Igel – fitfidele nimmt Gabi Gaede nicht. Es gehe um Tierschutz, nicht ums Verhätscheln, auch wenn das manche Tierfreunde nicht begreifen wollen. Namen gibt sie den Wintergästen darum nicht.
"Sind Wildtiere, die haben im Frühjahr rauszukommen, dann ist der Abschied nicht so schwer. Die ganz kleinen Babys, die man mit der Hand aufgezogen hat, man hat dann irgendwo doch eine Beziehung schon, aber im Frühjahr ist Schluss. So wie jetzt, die werden jetzt noch aufgepäppelt und ordnungsgemäß ausgewildert."
Zurück in die Natur geht es dank Gärten von zahlreichen Freiwilligen. Gaede und ihr Team bringen dann einen bewohnten Pappkarton vorbei, die Gastgeber stellen die ersten Tage noch Futter und Wasser daneben – dann sind die Stacheltiere weg.
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