Idil Baydar alias Jilet Ayse

"Ich bin diese Problemausländerin"

Die Schauspielerin und Kabarettistin Idil Baydar in ihrer Rolle als Jilet Ayse, autoupierter Pony, böser Blick in die Kamera, die Faust geballt (aufgenommen 2015 in Berlin)
Die Schauspielerin und Kabarettistin Idil Baydar in ihrer Rolle als Jilet Ayse © picture alliance / dpa / XAMAX
Von Kai Adler · 04.07.2016
Jilet Ayshe gilt als deutsch-türkische Antwort auf Cindy aus Marzahn. Mit der prolligen Kunstfigur hält die Kabarettistin Idil Baydar vor allem den Nicht-Migranten den Spiegel vor.
"Hallo, ich muss mich erstmal vorstellen, nicht alle kennen mich obwohl ich bin berühmt und so, hab ich gehört. Aber, Deutschland, ich bin Jilet Ayshe..." (Applaus)
Die Haare sind hoch toupiert, an den Ohren baumeln riesige Hänger. Im Trainingsanzug, den Kopf zwischen den Schultern leicht vorgereckt - so schlurft Jilet Ayshe auf die Bühne. "Wallah, ich habe nix gemacht" stellt der Aufdruck auf ihrem T-Shirt klar.
"Ja, Dankeschön, und nur damit ihr könnt mich in eine Box packen: Ich bin diese Integrationsunwillige, Problemausländer... ich hab diese poly-multiple Vermittlungsschwierigkeiten... und ich bin potentiell gewaltbereit... Ja, ihr wisst gar nicht, wie schwer das Leben als Kanacke ist!"

"Ich muss eine Integrierte vorspielen"

Das gängige Bild des "Kanacken" bedient Jilet Ayshe perfekt. Und hält genau damit den Nicht-Migranten, von ihr liebevoll "Kartoffel" genannten Deutschen, den Spiegel vor.
"Es gibt in allem, was ich tue, weil ich es ja tue, immer nen Bezug zu mir. Aber die Rolle ist schon ne sehr eigenständige Rolle."
... sagt Idil Baydar. Mit ihrer Kunstfigur gemein hat sie nur die kraftvolle Präsenz, mit der die 41-Jährige den Raum einnimmt. Wallende Haare, flackernde Augen und große Sprachgewalt - das fällt als Erstes an Idil Baydar auf. Wie wurde aus Idil Baydar die Jilet Ayshe?
"Ich habe nur beobachtet. Natürlich ist es auch biografisch, Dinge, die mir passiert sind. Und irgendwann gab es auch einen Punkt, da gab's ne Wende. Also wenn du alles leistest und auch alles geleistet hast, was man so als Integration auch undefiniert im Raum stehen lässt, du denkst dann selbst: Naja, Sprache müsste sein, Beruf müsste sein... ich bin ja hier geboren, das heißt, ich muss ja hier einen Integrationsprozess vollziehen, der völlig unnötig ist, weil ich ja hier geboren bin. Ich muss ja Integration spielen, ich muss der Mehrheitsgesellschaft eine Integrierte vorspielen."

"Meine Mutter ist sehr progressiv"

Als Kind türkischer Einwanderer ist Idil Baydar im niedersächsischen Celle geboren und aufgewachsen. Ein Scheidungskind, das, wie sie sagt, das Glück hatte, guten Kontakt zu beiden Eltern zu haben. Ihren Humor habe sie vom Vater, erzählt sie, die Lebenseinstellung von der Mutter.
"Meine Mutter ist sehr progressiv, hochintelligent und ist ihrer Zeit einfach um Lichtjahre voraus. Leben und Lernen ist eigentlich so ihr täglich Brot gewesen. Es war für uns total normal, dass man sich weiter entwickelt und dass man sein Interesse ausbaut. Und versucht, weiter zu kommen. Das war der absolute O-Ton meiner Erziehung."
Ihre Tochter Idil schickt die Mutter auf die Waldorfschule, damit sie eine progressive Erziehung bekommt. Die Mutter fängt als Fabrikarbeiterin in Deutschland an und lässt sich in verschiedenen Berufen weiterbilden. Heute arbeitet sie als Familientherapeutin.
Von ihr stammt die Idee, die ersten Comedy-Versuche der Tochter auf Youtube hochzuladen. Dort wird Idil alias Jilet schnell bekannt.
"Ganz ehrlich, er hält seine Fresse nicht, ich hab ihm so bahm eine gegeben. Du weißt gar nicht, mit wem du dich anlegst, Alter. Weißt du, wer ich bin? / Bahm Bahm auf die Fresse / Übertreib nicht deine Rolle, sonst gibt's Bahm auf die Fresse."

Nachhilfelehrerin an der Neuköllner Rütlischule

Den Gangsta-Slang der Jilet Ayshe hat sich Idil Baydar aus ihrer Zeit als Nachhilfelehrerin unter anderem an der Neuköllner Rütlischule abgeschaut.
"Da ist natürlich ein ganz starker Zusammenhang zur Identität. Man spricht die Sprache von der Welt, in der man lebt. Selbst die, die so sprechen wie Jilet Ayshe, man darf die überhaupt nicht unterschätzen. Das ist, glaube ich, der große Fehler. Weil man feststellt, dass die die deutsche Sprache nicht in der festgelegten Form anwenden, dass sie zu dumm seien, das zu tun. Das ist der größte Fehler, den man machen kann. Das sind hochintelligente Kinder, die sogar so weit gehen, den Anforderungen ihrer Identität zu folgen und das sogar noch auszukreieren. Also ihre Identität in einer gewissen Form auch mit der Sprache zu kreieren."
Neben der Jilet Ayshe hat Idil Baydar die Figur der Gerda Grischke geschaffen: Die berlinernde, gegen Ausländer hetzende AfD-Wählerin Grischke ist mit ihrer Kittelschürze das urdeutsche Pendant zu Jilet Ayshe - Klischeefiguren aus ein und demselben Stoff. Im Zitieren und Ad-absurdum-Führen der Klischees und Rassismen sieht Baydar auch die Komik des umstrittenen Schmähgedichts von Jan Böhmermann.
"Für mich war das Satirische eigentlich, dass er genau das Abbild der Klischees der Türken in Deutschland hier dargestellt hat. Das hat die Ebene von Erdogan ganz schnell verlassen. Weil sie dürfen nicht vergessen, so was wie Ziegenficker haben sich Deutsche ausgedacht, nicht Türken. Das heißt, es gehört also zur deutschen Narrative über Migranten. Und ich finde, deshalb ist es so exzellent und eigentlich großartig gewesen, dass Böhmermann das mal ganz klar dargestellt hat."
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