"Ich werde ihn vermissen, aber ich bin froh, dass er weg ist"

26.05.2010
Es verblüffe ihn, dass der hessische Ministerpräsident die Lust an der Macht verloren habe, sagt Peter Härtling, der in Hessen lebt. Roland Koch sei "jemand, der in der Politik ganz eindeutig brachial vorgeht".
Degenhardt: Es reicht: Hessens Ministerpräsident Roland Koch macht Schluss mit der Politik und geht in die Wirtschaft. Heute sind die Zeitungen voll mit dieser Personalie – in manchen Kommentaren ist Bedauern zu spüren, in anderen dominiert Genugtuung. Auch Anerkennendes ist zu lesen. Keine Frage: Koch hat in seiner gesamten Amtszeit nicht nur polarisiert, er hat Spuren hinterlassen, in Hessen wie auf der Bundesebene. Peter Härtling ist, wenn man so will, ein Landsmann von Koch. Der Schriftsteller ist in Mörfelden-Walldorf zu Hause und dort auch Ehrenbürger. Guten Morgen, Herr Härtling!

Peter Härtling: Guten Morgen!

Degenhardt: Am 31. August will Koch sein Amt aufgeben. Werden Sie ihn vermissen?

Härtling: Ja, das ist, würde ich sagen, zweischneidig. Da muss ich eine Antwort geben, die sozusagen verdoppelt ist: Ja, ich werde ihn vermissen, aber ich bin froh, dass er weg ist!

Degenhardt: Haben Sie ihn denn mal persönlich kennengelernt und bei welcher Gelegenheit?

Härtling: Ich habe ihn ein paar Mal bei öffentlichen Dingen kennengelernt, aber flüchtig.

Degenhardt: Was ist das Zweischneidige, wenn man Roland Koch begegnet?

Härtling: Roland Koch ist jemand, der in der Politik – und Politik ist ja sein Fach – ganz eindeutig brachial vorgeht. Es interessiert ihn nicht, wer ihm verloren geht oder was ihm verloren geht, und das hat mich manchmal doch konsterniert.

Degenhardt: Aber mit diesem Stil ist er doch sehr erfolgreich gewesen: Elfeinhalb Jahre hat er in Hessen regiert.

Härtling: Ja, das kann man tun elfeinhalb Jahre, wenn man Lust an der Macht hat. Und was mich verblüfft ist im Übrigen, dass er die Lust verloren hat.

Degenhardt: Gut, nun kennen wir nicht die Einzelheiten des Angebotes aus der Wirtschaft und was noch dahintersteht. Da müssen wir uns auf das Feld der Mutmaßung begeben. Koch rechnet sich selbst als Verdienst an, eine stabile, bürgerliche Mehrheit in Hessen erreicht und gesichert zu haben. Ist das sein Hauptverdienst, aus dem ehemals roten Hessen eine CDU-Hochburg gemacht zu haben?

Härtling: Also, das rote Hessen war auch immer ein durchaus gemischt-bürgerlich-arbeiterliches Hessen. Es war auch stabil, das kann man nicht anders sagen. Er hat in der Tat ungleich mehr auf sozusagen die Bestandsbürger geachtet, und die haben ihn auch gehalten.

Degenhardt: Hatte er eigentlich das Zeug zu mehr als zum hessischen Ministerpräsidenten oder war er dafür – Sie haben es schon angedeutet – mit seinen Ansichten auch zu schroff?

Härtling: Also, das glaube ich nicht, dass er darüber hinaus hätte kommen können. Ich habe oft gezweifelt, wenn darüber gesprochen wurde, er könnte Nachfolger der Kanzlerin werden – das habe ich nie erwartet und auch nie gedacht, zu denken gewagt für ihn.

Degenhardt: Das klingt jetzt ein bisschen wie ein Nachruf, aber was bleibt noch von ihm – der brutalstmögliche Aufklärer einer Parteispendenaffäre oder doch zum Beispiel mehr der Freund des Dalai Lama?

Härtling: Der Freund des Dalai Lama ist eine ganz rührende Randglosse einer politischen Existenz, die häufig böse Schrunden hinterließ – denken Sie an die erste Wahl, die er mit fremdenfeindlichen Parolen gewonnen hat, denken Sie an die Spendenaffäre, die also wirklich mit bösen Lügen verdeckt wurde oder denken Sie jetzt auch an die Auseinandersetzung über Herrn Bouffier, wo er mit großer Heftigkeit reagierte auf die Opposition, oder denken Sie an die Verluste, die er ertragen hat unter seinen Freunden, ein Jung und ein Kanther. Er hat auch manche hinter sich gelassen, sozusagen im Graben, und das sollte ihm auch manchmal nachgehen.

Degenhardt: Herr Bouffier, das sei noch angefügt, ist der Innenminister in seinem Kabinett und einer der möglichen Nachfolger von Roland Koch. Zuletzt hatte der ja mit seiner Forderung Aufsehen erregt, dass beim Sparen auch Bildung und Kleinkinderbetreuung nicht ausgenommen werden dürften. Sind ihm solche Zuspitzungen einfach mal passiert oder hat er sie vielleicht auch ganz bewusst eingesetzt, weil er wusste und weiß, wie man Schlagzeilen kriegt?

Härtling: Also, da bin ich sicher, dass Roland Koch genau wusste, wie er die Medien bedienen kann. Da war er ein Artist.

Degenhardt: Und wir waren gewissermaßen die dankbaren Abnehmer?

Härtling: Ja, das ist wohl wahr. Allerdings waren die Bürger und auch die kritischen Bürger – wie ich einer bin – im Lande Hessen manchmal doch sehr geschmerzt, um es deutlich zu sagen. Es tat uns manchmal weh, diese Brachialgewalt, mit der er mit Minderheiten umging, mit der er seine Thesen durchsetzen wollte, obwohl die oft gar nicht durchgesetzt wurden. Und das ist jetzt bei seinen Sparvorschlägen ja auch der Fall.

Degenhardt: Bei allem Pro und bei allem Contra, Herr Härtling – bei Koch wusste man zumindest, woran man war. Sehen Sie denn einen Nachfolger seines Kalibers in der hessischen Politik?

Härtling: Herr Bouffier wird es sicher nicht sein. Der Koch, der Roland Koch war eine deutliche Figur, das kann man nur sagen, er hat Kontur gehabt und an ihm konnte man sich reiben, auch politisch reiben. Das allerdings wird fehlen.

Degenhardt: Herr Härtling, Sie haben jetzt die einmalige Chance, Herrn Koch, falls er uns hören sollte, noch etwas mitzugeben auf den weiteren Weg, wenn er aus der Politik ausscheidet und in die Wirtschaft geht. Was könnte das sein, Ihrer Meinung nach?

Härtling: Ich könnte ihm nachrufen oder in die Wirtschaft nachrufen auf diesen Posten, der ihm vielleicht noch besser bezahlt wird als der Ministerpräsident: Ich wünsche ihm sehr, dass er nicht so vorschnell urteilt oder vorschnell vorprescht, sondern – er wird ja älter – dass er etwas nachdenklicher wird.

Degenhardt: Der Schriftsteller Peter Härtling zum Abschied von Roland Koch aus der Politik. Vielen Dank, Herr Härtling für das Gespräch und einen schönen Tag noch!

Härtling: Das wünsche ich Ihnen auch!