"Ich weiß, dass Wunder existieren."

Von Mirko Schwanitz · 22.04.2005
Der Literat Jovan Nikolic zählt zu den wichtigsten Autoren seines Volkes. Er ist ein serbischer Roma, der es geschafft hat, sich in beiden Kulturkreisen gleichermaßen zu bewegen - dem der Roma und dem der "Gadshe", der Nicht-Roma. Und als Mitbegründer des internationalen Roma-Schriftstellerverbandes kämpft Jovan Nikolic seit geraumer Zeit für das Projekt einer Romani-Bibliothek.
"Alle Bilder meiner Kindheit sind mit einem Klang verbunden, einem Ton. "

Wenn Jovan Nikolic zu diesen Klängen und Tönen einen Text schreibt, kommen Lieder heraus wie "Bubamara". Der serbische Kult-Regisseur Emir Kusturica hat es, zusammen mit den Erinnerungen seines Freundes Jovan, zum Leitmotiv seines Films "Schwarze Katze, weißer Kater" gemacht.

Da hängen Räuber samt Geldkoffer an Eisenbahnschranken, Blinde fahren Auto und Tote zwinkern plötzlich mit den Augen...

"Ich habe keine Fantasie, die wie ein Schweizer Uhrwerk Metaphern produziert. Das alles sind persönliche Erfahrungen. "

Nachts von der Sintflut träumen und am Morgen einen Fisch unterm Kopfkissen finden - solcherart sind die Erfahrungen des Jovan Nikolic. Nachzulesen in seinem jüngst auch in Deutsch erschienenem Buch "Zimmer mit Rad". Auch dieses Buch ist Produkt eines Traumes.

"Die Idee einer Romani-Bibliothek habe ich schon lange. Um sie zu verwirklichen, habe ich mit Freunden den internationalen Roma-Schriftsteller-Verband gegründet und mich in Köln mit Verlegern getroffen. "

Das "Zimmer mit Rad" nun das erste Buch dieser gedachten weltweiten Sammlung zeitgenössischer Roma-Literatur ist, erstaunt Nikolic noch immer. Denn die Erfahrung, selbst Roma zu sein, macht der 1955 geborene erst spät.

"Meine Mutter gehörte zur feinen bürgerlichen Gesellschaft Belgrads. Bis sie ausgestoßen wurde, weil sie sich in meinen Vater verliebte, einen Roma-Musiker, der zu einer anderen Gesellschaft gehörte - der Frauenhelden, der Kneipengänger, der Trinker. "

Die ersten Lebensjahre zieht Jovan mit den Eltern von Hotel zu Hotel. Am Vormittag bringt ihm die Mutter Lesen und Schreiben bei. Am Abend singt sie.

Niemanden interessiert die Herkunft der Nikolics. Bis Jovan zwölf Jahre alt ist und die Familie sich in einer überfüllten Roma-Siedlung in Cacak wiederfindet.

"In der serbischen Schule hörte ich das erste Mal dieses Wort: Zigeuner. "
"Wir wohnten in dieser Roma-Siedlung in Cacak. Auch hier war ich ein Fremder. Sie betrachteten mich wie einen Behinderten, der gerade aus einer Klinik gekommen ist. Romakinder wissen wie man läuft, wie man klettert. Das Kompliment aber, dass einer klug ist, steht bei ihnen an letzter Stelle. "

Kann eine Romani-Bibliothek daran etwas ändern? Bildung braucht Lesen. Und Lesen braucht Bücher. Bücher in der eigenen Sprache.

"Deshalb wollen wir mit dieser Bibliothek auch schauen, was überhaupt da ist an zeitgenössischer Roma-Literatur. Es geht auch um Stipendien und die Förderung junger Roma-Autoren. "

Wie wichtig das ist, hat Nikolic selbst erfahren, als er sich Anfang der achtziger Jahre nach Belgrad aufmacht.

"Belgrad mag Zugereiste nicht besonders. Ich hatte Glück, dass mich eine Lobby von bekannten Musikern, Schriftstellern und Regisseuren aufgenommen hat. "

1982 veröffentlicht Jovan Nikolic seinen ersten Gedichtband, dem fünf weitere folgen. Er schreibt Texte für Rockgruppen. Auch "Bubamara" entsteht in dieser Zeit.

"Bis Mitte der Achtziger gab es eine rasante Entwicklung der Kulturszene in Belgrad. Doch 1989 war klar, das Ganze war wie ein Sandkasten, kontrolliert von der Regierung Milosevic, die ein paar Kinder in einer Ecke pinkeln ließ. "

1999, nach den NATO-Bombardements auf Belgrad, kehrt Nikolic Serbien den Rücken. Seitdem reist er durch Deutschland und liest aus seinem Buch, das noch immer das einzige ist in der Romani-Bibliothek.

"Ich fürchte, dass wir nach diesem Buch Unterstützung brauchen. Denn Roma-Autoren in Europa bekannt zu machen ist eine Riesenaufgabe und ich finde, dass die EU im selbst proklamierten Jahrzehnt der Roma-Integration solche Projekte mitfinanzieren sollte. "

Manchmal wird er auf Lesungen gefragt, ob er an Wunder glaube und antwortet:

"Ich weiß, dass Wunder existieren. Deswegen brauche ich nicht an Wunder zu glauben. "