"Ich persönlich lege meine Hand dafür ins Feuer"

Thomas Schwarz im Gespräch mit Hanns Ostermann · 25.08.2010
Aus Angst, ihr Geld könne in dunklen Kanälen versickern, scheuen viele vor einer Spende für die Flutopfer in Pakistan zurück. Dabei sei die Arbeit der deutschen Hilfsorganisationen sehr vertrauenswürdig, sagt der CARE-Sprecher Thomas Schwarz.
Hanns Ostermann: Nach wie vor sind es Bilder des Grauens, die uns aus Pakistan erreichen, auch wenn mittlerweile Tausende Zelte stehen, viele Menschen mit Lebensmitteln, mit sauberem Wasser oder Decken versorgt werden. Noch immer warten Hunderttausende auf das Nötigste und 800.000 – das haben wir eben in den Nachrichten gehört – sind von jeglicher Hilfe abgeschnitten. Thomas Schwarz war für die Hilfsorganisation CARE zwei Wochen lang in Pakistan. Er ist jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Schwarz.

Thomas Schwarz: Guten Morgen nach Berlin.

Ostermann: Wie gehen Sie eigentlich persönlich mit der dramatischen Lage der Menschen, mit diesen vielen Bildern um? Wie nahe kann man diese Eindrücke als Helfer überhaupt an sich heran lassen?

Schwarz: Ja, das ist eine gute Frage, aber wirklich auch sehr schwierig zu beantworten. Ich fotografiere gerne auch privat und ich habe natürlich dort auch Fotos gemacht, sehe sie mir an und versuche, mich dem Thema, den Menschen zu nähern und gleichzeitig Distanz zu gewinnen, so absurd sich das anhören mag. Aber ich vergleiche auf der anderen Seite das Leben, das ich führe, mit dem Leben der Menschen, die dort zu leiden haben, und dann ist es wieder viel einfacher, mit solchen Eindrücken umzugehen.

Ostermann: Sie kritisieren, dass immer noch – und das inzwischen in der vierten Woche der Katastrophe – zu wenig Hilfe ankommt. Woran liegt das, an der schwierigen Infrastruktur?

Schwarz: Es liegt natürlich vor allem am Ausmaß dieser unglaublichen Katastrophe. Ich kann ja selbst nach zwei Wochen jetzt immer noch nicht wirklich erfassen, selbst auch nicht erfassen, was es bedeutet. Das können sie nur begreifen, wenn sie Menschen treffen, wenn sie ihnen zuhören, wenn sie sehen, unter welchen Umständen sie zu leben haben. Eine schwangere Frau, die 20 ist und nicht weiß, wie sie ihr Kind zur Welt bringt, in einem Waldstück lebt, umgeben unter anderem von Kühen und Ziegen, ein Junge, der in einer Lehmhütte liegt, der leichtes Fieber hat, was man hier mit einer Vitamin-C-Tablette wegblasen würde, von dem die Mutter nicht weiß, ob er überleben kann unter den Umständen, all diese Dinge. Die Hilfe kommt deswegen auch zu langsam, weil es ein ungeheuer großes Gebiet ist und weil so unglaublich viele Menschen davon betroffen sind.

Ostermann: Arbeiten die Hilfsorganisationen effektiv, so weit Sie das beurteilen können?

Schwarz: Ja. Dazu kann ich wirklich ein klares Ja nur sagen. Nicht nur CARE, auch andere haben ja ihre Lager in den ersten Tagen geräumt. Wir versuchen wirklich – das tun wir ja im Grunde genommen auch in diesem Gespräch, wofür ich sehr dankbar bin –, zu mobilisieren, was an Unterstützung zu mobilisieren ist. Vor Ort gibt es natürlich Koordinierungen mit den Vereinten Nationen, die wiederum mit der Regierung in Kontakt stehen. Wir achten darauf, dass wir uns nicht an ein und derselben Stelle auf den Füßen stehen. Wir haben die Aufgaben verteilt, der eine macht das, der andere macht das. Das halte ich für effektiv.

Ostermann: Sie haben die Bundesregierung aufgefordert, mehr Geld für Pakistan zur Verfügung zu stellen - das sind bisher, wenn ich da richtig liege, 25 Millionen Euro -, und obwohl Sie selbst mit anderen Organisationen im Bündnis "Deutschland hilft" 16 Millionen Euro gesammelt haben. Warum brauchen Sie mehr Spender und mehr Spenden?

Schwarz: Wir brauchen mehr Spenden und mehr Geld von öffentlichen Einrichtungen wie der Bundesregierung oder der Europäischen Union, weil wir mit dem Geld, das wir jetzt haben, sicher in den nächsten Wochen etwas tun können, aber wir sehen ja jetzt – ich war am Samstag noch im Nordwesten -, dass das Wasser im Norden zurückgeht und dann wird das konkrete Ausmaß deutlich. Es gibt Menschen, die einfach immer noch nichts zu essen haben, jedenfalls nicht regelmäßig, die vielleicht alle zwei Tage nur etwas zu essen haben. Das schwächt die Menschen dort und wir können nicht warten, bis so viel Geld ausreichend da ist, dass wir vernünftig planen können. Auch das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für eine gute und eine effektive Arbeit vor Ort.

Ostermann: Natürlich brauchen Sie auch private Spenden, aber da sind nicht wenige skeptisch, ob das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Ich zitiere mal aus einem Internet-Forum. Da schreibt jemand, "auch die seriösesten Hilfsorganisationen müssen einen großen Teil der Hilfsgelder dafür aufwenden, örtliche Würdenträger täglich aufs Neue zu überzeugen, und dafür soll ich spenden? – Neh!" Das schreibt ein Blogger in "Welt online" und mit dieser Position steht er nicht allein. Was würden Sie ihm antworten?

Schwarz: In dem konkreten Fall würde ich ihm antworten, dass das aus meiner Erfahrung nicht stimmt. CARE, aber auch andere Organisationen, habe ich gesehen, arbeiten mit lokalen Organisationen vor Ort, die das Geld oder das Material zur Verfügung gestellt bekommen, das zur Hilfe geeignet ist. Man kann nie für alle, für jeden einzelnen seine Hand ins Feuer legen, dass er nicht etwas abzweigt. Das kann man nicht. Aber ich sage für CARE und ich nehme für mich mal in Anspruch, das für alle die deutschen Organisationen, die auch international arbeiten, sagen zu können, dass das Geld, das gespendet wird, wirklich ankommt. Ich habe mich davon überzeugt, ich war in ganz vielen Gegenden, ich war sehr viel unterwegs, im Nordwesten, im Süden, und habe mir angeschaut, wie gearbeitet wird, und das ist vertrauenswürdig. Ich würde das sonst nicht sagen. Ich sage das nicht, weil ich Pressesprecher von CARE bin, sondern ich sage das, weil ich jemand bin, der sehr kritisch sich die Dinge ansieht und sehr vorsichtig ist mit solchen Aussagen. Aber ich persönlich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass das Geld ankommt, das gespendet wird.

Ostermann: Thomas Schwarz war für die Hilfsorganisation CARE zwei Wochen lang in Pakistan. Herr Schwarz, danke Ihnen für das Gespräch heute Früh im Deutschlandradio Kultur.

Schwarz: Ich danke Ihnen!


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