"Ich musste Bücher schreiben, um mich vor dem Ruin zu retten"

Von Brigitte Neumann · 28.12.2010
Mit dem farcenhaften Roman "39,90" kam Frédéric Beigbeder zu literarischem Ruhm. Jetzt hat der Ex-Werbetexter, Journalist und TV-Moderator seine Autobiografie verfasst.
"Ich habe eine Art Peter-Pan-Syndrom. Erst gestern wieder in Berlin: Ich möchte immerzu mit jungen Leuten ausgehen, tanzen, über die Stränge schlagen. Und davon kann ich nie genug kriegen. Denn ich finde, nachts sind die Leute schöner."

Aber bei Tag sieht man klarer. Zum Beispiel, dass Frédéric Beigbeider sehr mitgenommen wirkt. Der Teint ist grau, das Gesicht knochig, der Blick flattert unsicher. Er wirkt wie ein großer, tapsiger Junge, der seit ein paar Wochen vergessen hat zu essen und zu schlafen.

Frédéric Beigbeider, der französische Skandalautor, der Frauenheld, der Sohn einer Adligen und eines Head-Hunters: er füttert die französische Medienmaschine unablässig mit Geschichten aus seinem Leben, zuletzt mit seiner Autobiografie unter dem Titel "Ein französischer Roman".

"Als ich den Prix Renaudot bekam, habe ich ihn sofort der Polizei des achten Arrondissements gewidmet, denn sie waren es, die mich zu diesem Buch inspiriert haben."

Zwei Nächte im kalten, feuchten Keller des Pariser Untersuchungsgefängnisses im Januar 2008 hatten ihn dazu gebracht, sich zu fragen: Wie konnte es so weit kommen? So weit, dass er öffentlich Koks schnupfte und sich dabei erwischen ließ? Noch in Gewahrsam begann er an einer Autobiografie zu arbeiten:

"Die französische Republik hat mir einen Vorwand geliefert, um endlich zu gestehen, wer ich bin."

Wer also ist Frédéric Beigbeider? Die Antwort ist: Er weiß es nicht. Er muss recherchieren, wie ein Detektiv.

Denn er kann sich partout nicht an seine Kindheit erinnern. Er weiß schon noch, dass seine Mutter, Christine de Chasteigner de La Rocheposay, Herz-und-Schmerz-Romane übersetzte und schwermütig war. Dass der Vater mit wenigen Telefonaten viel Geld verdiente, Parties gab und auf schwedische Models stand. Aber wo war er? Und was war eigentlich los?

"Ich habe zum Beispiel geglaubt, mein Vater hätte meine Mutter verlassen. Dabei war es genau anders herum."

Mit Hilfe der Verwandtschaft hat er seine Kindheit wenigstens teilweise rekonstruiert. Selbst erinnern kann er sich immer noch nicht:

"Meine Analytikerin sagt, dass ich auf diese Weise Traumata verdecke. Die Scheidung meiner Eltern zum Beispiel. Aber es gibt noch andere Gründe, das Kokain. Durch Kokain verliert man sein das Gedächtnis. … Es gibt einen dritten möglichen Grund: Ich glaubte nur, dass ich unter Gedächtnisschwund leide. In Wirklichkeit bin ich ein großer Faulpelz."

Frédéric Beigbeider streicht sich jetzt immer wieder die gleiche Haarsträhne hinters Ohr.

Er wirkt nicht zerknirscht, trotz der peinlichen Geständnisse. Eher wie einer, der mal eben ein Seelenstriptease abliefert und sich dabei bewundernd zu sieht.
Und er wirkt wie ein im buchstäblichen Sinne Obdachloser, ein 45-Jähriger, zweifach geschiedener Mann aus der besten französischen Gesellschaft, der einfach nicht weiß, wohin mit sich:

"Ich habe den Abstieg meiner Familie miterlebt. Ich musste Bücher schreiben, um mich vor dem Ruin zu retten. Mein Leben ist sehr sehr schwer. Und ich finde, diese familiäre Entwicklung entspricht auch ein wenig der Entwicklung unseres Landes. Wie sind ein altes Kolonialimperium, und heute ein kleines armes Land. So ist es doch."

Was muss das für ein Gefühl sein, synchron gleich dreifach unterzugehen: die Nation, die Familie und Frédéric Beigbeider? Erhebend, wahrscheinlich.

Kein Außenstehender würde auf die Idee kommen, dass Frédéric Beigbeider unterginge. Er kennt alle wichtigen Leute persönlich, bis hin zu Carla Bruni und Nicolas Sarkozy, Schriftstellerkollege Michel Houellebecq hat ihn in seinem neuen Roman als Figur eingearbeitet. Und Beigbeider ist in den französischen Medien überaus präsent. Als TV-Moderator, Kolumnist, Buchkritiker - auf allen Kanälen.

Trotzdem bleibt die Frage: Wer ist Frédéric Beigbeider? In seiner Autobiografie heißt es: "Ich bin eine hohle Form, ein Leben ohne Grund."

Frédéric Beigbeider: Ein französischer Roman
Aus dem Französischen von Brigitte Große
Piper Verlag, München 2010
256 Seiten, 19,95 Euro
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