"Ich mische mich durchaus ein"

Moderation: Frank Meyer · 24.09.2007
Der italienische Autor Umberto Eco legt viel Wert auf gute Übersetzungen. Deshalb trifft er sich regelmäßig mit seinen Übersetzern. Diese müssten mit dem Original relativ frei und zugleich respektvoll umgehen. Beim Prozess des Übersetzens verliere man zwar etwas, gleichzeitig könne etwas Neues hinzugewonnen werden.
Frank Meyer: Die Globalisierung bringt die Länder und ihre Sprachen immer näher zueinander, immer mehr muss übersetzt werden. Das Übersetzen, das hat den italienischen Wissenschaftler und Autor Umberto Eco immer wieder beschäftigt, ganz praktisch und in vielen theoretischen Büchern, es ist ein Lebensthema für ihn. Deshalb war Umberto Eco genau der Richtige, um den Festvortrag zum Geburtstag des Deutschen Übersetzerfonds zu halten. Vor wenigen Tagen wurde der zehnte Geburtstag dieses wichtigsten, bundesweiten Übersetzerfonds gefeiert, unter anderem mit Bundespräsident Horst Köhler, mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann und eben mit Umberto Eco. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn gefragt, Umberto Eco, nehmen wir doch mal Ihr bekanntestes Buch, "Der Name der Rose", 1980 haben Sie das in Italien veröffentlicht. Allein in Deutschland wurden zwei Millionen Exemplare davon verkauft. Waren Sie denn in irgendeiner Weise an den Übersetzungen beteiligt? Haben Sie mit Ihren Übersetzern diskutiert, wenn es um Übersetzungsfragen ging?

Umberto Eco: Bei der Übersetzung meines ersten Buches war ich noch nicht beteiligt, damals war ich sehr jung, ein junger Schriftsteller von 25 Jahren, aber bei allen anderen darauffolgenden Büchern war ich aktiv auch an der Übersetzung beteiligt, zunächst, indem ich den Übersetzern Unterlagen zur Verfügung stellte, Aktenordner von 30, 40 Seiten, neuerdings auch mit Hilfe des Computers, indem ich den Volltext nehme und meine Kommentare einfüge. Ich mische mich also durchaus ein.

Darüber hinaus treffe ich auch mit den Übersetzern direkt zusammen, zunächst versuche ich, Hilfestellung zu geben für jene Sprachen, die ich mehr oder minder gut beherrsche, Englisch, Französisch, auch ein bisschen Deutsch - denn ich bin ja mit einer Deutschen verheiratet. und schließlich habe ich auch festgestellt, dass ich auch mit jenen Übersetzern, deren Sprache ich nicht beherrsche, gut zusammenarbeiten kann, denn wenn die Übersetzer schlau sind, dann können sie die Probleme, die sich ihnen bieten, mir darstellen, und wir können gemeinsam Lösungen finden.

Es hat sich sogar eine Art Übersetzermafia der Umberto-Eco-Übersetzer gebildet, die treffen sich an verschiedenen Orten, sie können gemeinsam Fragen klären. Es ist sogar geschehen, dass mein japanischer Übersetzer mich auf einen Fehler in der englischen Übersetzung hingewiesen hat.

Meyer: Sie haben diesen Festvortrag hier gehalten zum Geburtstag des Deutschen Übersetzerfonds und Sie haben diesen Vortrag "Übersetzen als Verhandeln" genannt. Das leuchtet einem ja nicht auf den ersten Blick ein. Was bedeutet "Übersetzen als Verhandeln"?

Eco: Was bedeutet Verhandlung? Nehmen wir mal an, wir sitzen einander gegenüber, Sie wollen alles von mir, ich will alles von Ihnen, so geht es nicht, jeder muss etwas aufgeben, und das ist der Prozess der Verhandlung. Und genau dieses geschieht auch beim Vorgang des Übersetzens. Es ist unmöglich, die Aussage des Originals eins zu eins in der anderen Sprache wiederzugeben, also muss man Entscheidungen treffen. Etwas wird verloren, aber es ist auch durchaus möglich, dass man etwas hinzugewinnt bei diesem Vorgang, und vor diesem Prozess steht eben der Übersetzer. Er muss aushandeln, was jetzt wirklich wichtig bei einem gegebenen Text ist und was auch in jedem Fall gesichert werden muss.

Nehmen wir einmal an, es sei der Rhythmus oder das Versmaß bei einer Dichtung, dann wird er sich eben bemühen, genau dieses beizubehalten, das ihm als das Wichtigste erscheint, und er wird dabei auch einiges vom wörtlichen Sinn des Textes mit transportieren.

Ich mache immer wieder das folgende Beispiel: Nehmen wir an, in einem Roman macht ein Dummkopf irgendeinen zotigen Witz. Dann muss man nicht genau diesen Witz, der unübersetzbar ist, in der Zielsprache wiedergeben, es genügt, einfach selbst irgendeinen anderen Witz zu erfinden, denn man will ja nur wiedergeben, dass dieser Mensch ein Blödel ist und dass er hier einen blöden Witz macht. Das genügt dann vollkommen für diese Zwecke.

Meyer: Wenn Sie sagen, eine Übersetzung muss relativ frei umgehen mit dem Original und kann es vielleicht sogar übertreffen an bestimmten Punkten - würden Sie tatsächlich sagen, eine Übersetzung kann vielleicht in manchen Fällen auch besser sein als das Original, und können Sie sich das auch für Ihre eigenen Bücher dann vorstellen?

Eco: Das kann durchaus geschehen. So mancher hat ja gesagt, dass einige der Übersetzungen meiner Bücher sogar besser seien als das Original. Nun gut, es kann passieren, aber die Übersetzung darf nicht sehr bedeutend schöner als das Original sein. Ich habe in meinem Leben auch einige wenige Bücher übersetzt, habe aber jedem Buch einige Jahre Arbeit gewidmet, so habe ich etwa "Sylvie" von Gérard de Nerval übersetzt, einem Autor, der einen recht beschränkten Wortschatz hat, der immer wieder dieselben Wörter verwendet. Für mich als Übersetzer wäre es ein Leichtes gewesen, hier Synonyme zu erfinden und dadurch den ganzen Text irgendwie flüssiger oder gefälliger zu machen - ich habe mich dessen enthalten, denn wenn Gérard de Nerval diese Wahl trifft, immer dasselbe Wort zu verwenden, dann wird es dafür Gründe geben, und die habe ich zu respektieren, also muss ich auch selbst dasselbe Wort verwenden.

Meyer: Wie kam es überhaupt, dass Sie selbst zum Übersetzer geworden sind in einigen, wenigen Fällen? Dachten Sie, das können andere nicht so gut übersetzen wie Sie, oder wie kam es dazu?

Eco: Nein, ich habe ja zunächst einmal Gérard de Nerval übersetzt, weil das mein absoluter Lieblingsautor ist, den ich wieder und wieder gelesen habe. Ich wollte diese Herausforderung annehmen, obwohl es ja schon zehn Übersetzungen dieses Buches in italienischer Sprache gab. Das andere Buch, das ich übersetzt habe, war eben "L'Exorcist" von Queneau, und dieses Buch habe ich übersetzt, weil es eigentlich unübersetzbar ist. Man muss es neu schaffen, und Italo Cavino hat diesen Gedanken in mich eingeflößt, dass man es versuchen wollte. Ich wollte diese Wette mit mir selbst eingehen.

Meyer: In Deutschland gibt es gerade eine Auseinandersetzung zwischen Übersetzern und ihren Verlagen, die Übersetzer verlangen eine stärkere Anerkennung ihrer Arbeit, vor allem eine finanzielle Anerkennung dieser Arbeit. Es gibt einige deutsche Verlage, bei denen sich schon etwas verändert hat in den letzten Jahren, der Mare-Verlag druckt zum Beispiel die Namen der Übersetzer vorne mit auf den Titel. Wie steht es denn in Ihrer Heimat, in Italien, um die Wertschätzung der Arbeit eines Übersetzers?

Eco: Auch in Italien bekommen die Übersetzer sehr wenig Vergütung, auch in Italien gab es diesen Kampf, dass der Name des Übersetzers auf dem Titelblatt erscheinen sollte, und für die meisten Verlage ist dieses mittlerweile auch erreicht worden. Schauen wir aber einmal nach Amerika, dort hat der Übersetzer meiner Bücher tatsächlich auch einen festen Anteil an den Erlösen der verkauften Auflage, er verdient also zehnmal so viel wie etwa ein Übersetzer in Italien oder Deutschland. In Japan wurden dem Übersetzer vier Jahre Reisetätigkeit bezahlt, nur damit er all diese Orte fotografieren konnte, an denen mein Roman spielte. Wer könnte sich das in einem westlichen Lande leisten?

Wir sehen also, die Behandlung der Übersetzer ist in den Ländern ganz unterschiedlich, hier verdienen sie weniger, dort verdienen sie mehr. Es ist klar, dass eine schlechte Bezahlung sich auch auf die Qualität der Übersetzung auswirken muss, wenn man vier Jahre den Orten des Romans hinterher reist, kann man natürlich bessere Arbeit leisten, als wenn man in einem Jahr vier Romane übersetzen muss.

Meyer: Das heißt, Sie sind der Meinung, die Übersetzungskultur - Sie haben jetzt die Beispiele Amerika und Japan hervorgehoben -, die ist dort eine bessere als zum Beispiel in Deutschland?

Eco: Das hat nichts mit der Übersetzungskultur zu tun, in Amerika wird so viel gezahlt, weil so wenig übersetzt wird. Die ökonomische Behandlung der Übersetzer hat nichts mit der Übersetzungskultur zu tun. In Japan wird sehr viel übersetzt, es gibt eine sehr ausgebreitete Übersetzungskultur, es gibt also durchaus Länder mit einer großen Übersetzungstradition, in denen die Übersetzer gleichwohl schlecht bezahlt werden, nehmen wir etwa Deutschland. Es gibt einige Länder, die eine mehr kosmopolitische Ausrichtung haben, Länder, die spät erst ihre nationale Einheit erreicht haben wie etwa Italien und Deutschland, die haben eine starke Kultur der Übersetzung aufgebaut, und andere Länder, in denen das nicht der Fall ist, wie etwa Frankreich, die mehr auf sich selbst bezogen sind.

Meyer: Eine Literaturkritikerin der Neuen Züricher Zeitung hat sich mal angeschaut, wie oft ist Umberto Eco eigentlich auf dieses Thema Übersetzen gekommen in seinem Leben? Und sie hat gesehen, dass es immer wieder auftaucht bei Ihnen, in Aufsätzen, in wissenschaftlichen Arbeiten, aber auch in Zeitungsbeiträgen bis hin zu dem Buch, das im letzten Jahr in Deutschland erschienen ist über das Übersetzen von Ihnen. Würden Sie sagen, dass das Übersetzen eines Ihrer großen Lebensthemen ist?

Eco: Na, ganz so ist es ja nicht. Mein Beruf ist es ja, mich mit Kommunikation, mit Sprache zu befassen, Sie wissen ja, ich unterrichte Semiotik, da liegt es doch auch auf der Hand, dass ich mich mit dem Problem der Übersetzung zu befassen habe. Darüber hinaus aber ist die Übersetzung in den letzten 30 Jahren wirklich ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, überall gibt es Übersetzerzentren, es ist ein akademisches Thema geworden. Im Zuge der Globalisierung, im Zuge der vielfältigen Kontakte zwischen Sprachen und Ländern wird man sich immer mehr des Problems der Übersetzungen bewusst.

Ist aber deswegen eine Einheitssprache aufgekommen? Keineswegs. Sonst sprächen ja alle bei den Vereinten Nationen oder in der EU nur noch Englisch. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen gibt es Simultanverdolmetschung in - ich weiß nicht - vielleicht 27 Sprachen. Es ist klar, wenn ich mich zum Beispiel mit Pferdezucht befasst hätte, hätte mich das Problem der Übersetzung nicht so sehr beschäftigt, aber ich bin ja darüber hinaus nicht nur Semiotiker, sondern auch ein Autor, der in viele Sprachen übersetzt wurde. Und als Schriftsteller muss es mich doch interessieren, was mit meinen Texten geschieht.

Ein recht bekannter Schriftstellerkollege hörte mich einmal bei einer Konferenz über das Problem der Übersetzung reden, und er sagte: Es ist doch seltsam, dass du dich mit deinen Übersetzern zusammensetzt und das Problem besprichst. Also, ich muss sagen, ich halte diesen Schriftstellerkollegen für einen Einfaltspinsel. Als wichtiger Schriftsteller müsste er sich doch Gedanken darüber machen, dass in der Übersetzung sein Buch auch verändert werden könnte. Er müsste sich dessen doch annehmen. Entweder ist er also ein Einfaltspinsel, oder alles, was ihn interessiert, ist das Geld, sind die Erlöse, die er mit seinen Büchern machen kann und er kümmert sich überhaupt nicht um seine Leser.

Meyer: Ich wollte auch noch einmal auf Ihre Romane zurückkommen. Ihr deutscher Übersetzer Burkhard Kroeber, der hat einmal so einen richtig tiefen, ironischen Stoßseufzer getan, als er darüber gesprochen hat, wie übersetzbar Ihre Romane sind, und der hat dann gesagt: Oh, wenn die anderen wüssten, wie oft ich darunter gelitten habe, dass mein Autor - also Sie - so gar keine Rücksicht auf seine Übersetzer nimmt, von Buch zu Buch immer weniger, und wie oft ich mir innerlich stoßseufzend wünschte, hätte er doch bloß ein bisschen mehr an den internationalen Markt gedacht und damit auch an die Übersetzbarkeit. Kann sich Ihr Übersetzer, und die anderen damit auch, denn Hoffnung machen, dass Sie da ein bisschen mehr Rücksicht nehmen auf Ihre Übersetzer?

Eco: Na ja, da stecken ja zweierlei Probleme dahinter. Einerseits, die Arbeit der Übersetzer ernst zu nehmen und sich mit ihnen zusammenzusetzen, wie ich das mache, das andere wäre aber, beim Schreiben des Buches schon auf Übersetzbarkeit zu achten, nur damit man sich den Übersetzern andient und allen das Leben leichter macht, und dazu stehe ich nicht zur Verfügung. Im Gegenteil, es ist ja so, dass ich großartige Übersetzer habe wie etwa Kroeber, die wirklich den Stier bei den Hörnern packen und alle Übersetzungsprobleme sorgfältig erwägen.

Meyer: Umberto Eco über das Übersetzen. Sein Buch zum Thema ist im vergangenen Jahr bei uns erschienen und heißt "Quasi dasselbe mit anderen Worten - über das Übersetzen". Das wurde aus dem Italienischen ins Deutsche gebracht von Burkhard Kroeber, im Hansaverlag ist es erschienen, 460 Seiten kosten 27,90 Euro. Unser Gespräch wurde übrigens von Johannes Hampel gedolmetscht, an ihn herzlichen Dank.