"Ich kann Leute nur ermuntern, solche Wege zu gehen"

Angela Marquardt mit Gespräch mit Gabi Wuttke · 30.05.2011
Angela Marquardt, früher prominente PDS-Politikerin, heute bei den Sozialdemokraten, spricht sich für die geplante Parteireform der SPD aus. Die SPD müsse attraktiv an sich sein, – "auch für Menschen, die von der Linkspartei enttäuscht sind".
Gabi Wuttke: Wählen Sie unseren Kanzlerkandidaten oder einen neuen Anwärter für Ihr Landratsamt, auch wenn Sie kein SPD-Parteibuch haben! Heute soll dieser Plan von Sigmar Gabriel offiziell dem Vorstand vorgelegt werden – zunächst wird der Parteichef sich im Willy-Brandt-Haus aber erklären müssen, wie er es denn nun mit der Linkspartei zu halten gedenkt. Denn Gabriel hat enttäuschte Mitglieder in die SPD eingeladen und den, Zitat, Wunsch hinterhergeschickt, "dass wir nicht jedem Straftäter mehr Resozialisierungschancen geben als jemandem, der mal in der SED war". Um 7:49 Uhr begrüße ich im Deutschlandradio Kultur Angela Marquardt. Sie war 13 Jahre Mitglied der PDS, ging dann in das Büro von Andrea Nahles, heute SPD-Generalsekretärin, und trat vor drei Jahren in die SPD ein. Guten Morgen, Frau Marquardt!

Angela Marquardt: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Warum streichelt Sigmar Gabriel jetzt die Linkspartei?

Marquardt: Ich glaube nicht, dass er sie streichelt. Ich denke, es geht um einen entspannten oder sagen wir entspannteren Umgang mit dieser Partei, hart in der Sache, wenn es um inhaltliche Auseinandersetzungen geht, aber das Verhältnis von der SPD zur Linkspartei – das ist, glaube ich, ein offenes Geheimnis – ist natürlich nicht wirklich entspannt gewesen in den letzten Jahren. Und um diese Entspannung, denke ich, geht es.

Wuttke: Ein Charmeoffensive?

Marquardt: Was heißt eine Charmeoffensive? Ich halte es so ein bisschen mit dem Bremer Modell, wenn ich das mal lustigerweise sagen darf. Im letzten Jahr hatten wir das Phänomen, dass in die Bremer SPD aus allen Parteien Leute eingetreten sind, insofern geht es, glaube ich, gar nicht um den ausschließlichen Fokus Linkspartei, sondern die SPD muss attraktiv an sich sein, vielleicht auch für Menschen, die von der Linkspartei enttäuscht sind. Dass diese Partei schwierige Diskussionsprozesse hat, egal ob es um Personal oder programmatische Fragen geht, ist klar, aber die SPD hat auch ein paar Hausaufgaben, glaube ich, die sie machen muss. Insofern, ich denke und darum sollte es auch immer gehen, betrachten wir die Partei als das, was sie ist. Sie ist eine politische Konkurrenz, man muss mit ihr streiten um Inhalte, man muss sich mit ihr auseinandersetzen, aber man muss sie sicherlich nicht zum Dämon hochstilisieren und sich ständig an ihr abarbeiten. Das nützt niemandem, weder der SPD noch den Inhalten, um die es hier eigentlich geht.

Wuttke: Aber gerade weil sie Konkurrenz ist, wäre es doch ziemlich unklug, da Mitglieder in die SPD zu ziehen, die für die Linkspartei selbst in gewisser Weise Ballast sind.

Marquardt: Ich gehe mal von mir persönlich aus. Als ich in der PDS gewesen bin, ab 1991, da hat man mir im Grunde genommen auch zehn, 13 Jahre lang erklärt: Mensch, Angela, du bist irgendwie in der falschen Partei, mit deinen Vorstellungen zur Geschichte, mit deinen Vorstellungen von Politik gehörst du nicht in diese Partei. Und auf keinen Einzigen habe ich gehört, sondern das war ein individueller Prozess, der auch bei mir eingesetzt hat, zu merken, hei, so wie diese Partei sich entwickelt hat damals – wie gesagt, ich spreche über die PDS –, das ist irgendwie nicht mehr deine Partei. Und dann war das ein langer Prozess, der dazu geführt hat, dass ich ausgetreten bin und mich sozusagen von Politik auch ein Stück weit entfernt habe. Insofern geht es ja nicht darum, einzelne Personen rauszuziehen oder zu sagen, hei, komm zu uns, das muss jeder für sich ganz individuell entscheiden, und an den Punkt, aus einer Partei auszutreten, zu kommen. Das ist, denke ich, auch gar kein leichter Prozess, jedenfalls kann ich das aus eigener Erfahrung sagen. Sie verlassen Freunde, Sie verlassen, sage ich mal, eine politische Heimat und Sie verlassen vor allen Dingen auch ein soziales Netzwerk. Insofern, ich verstehe – und das bezieht sich ja alles auf das Interview, was Sigmar Gabriel mit Dietmar Bartsch zusammen gegeben hat: Es ist eine Konkurrenz, mit der man sich aber entspannt auseinandersetzen kann, wenn auch in der Sache hart.

Wuttke: Bleiben wir doch mal bei Ihren persönlichen Erfahrungen. Wurden Sie außerhalb des Büros von Andrea Nahles mit offenen Armen von der SPD empfangen?

Marquardt: Ach, na ja, das war recht unterschiedlich. Ich bin im Oktober 2006 in das Büro von der Frau Nahles gekommen, und wenn man bei Andrea Nahles sozusagen arbeitet, dann hat man natürlich auch ganz andere Möglichkeiten und Chancen, die SPD kennenzulernen. Ich bin damals in das Büro gekommen, als die Partei über ihr neues Programm, das heutige Hamburger Programm, debattiert hat, und ich hatte die Möglichkeit, über zwei Jahre im Grunde genommen an politischen Prozessen innerhalb der SPD teilzunehmen, und am Ende stand sozusagen mein Entschluss, in die Partei einzutreten, weil ich mich sehr intensiv an der Programmdebatte beteiligt habe. Bis heute gibt es sicherlich Menschen in der SPD, die mehr Gewöhnung oder für die ich gewöhnungsbedürftiger bin, als dass die SPD für mich gewöhnungsbedürftig ist. Aber ich glaube, das ist immer so – gerade wenn man auch eine exponierte Stellung in einer anderen Partei hatte, wird man natürlich nicht überall mit offenen Armen empfangen. Hinzu kommt – das wird Sie nicht wundern –, ich bin ganz explizit mit der Message, ich möchte den linken Flügel in der Partei stärken, eingetreten, insofern haben Sie automatisch Menschen, die sagen, hm, na ja, vielleicht hätten wir auch drauf verzichten können. Aber Gott, es wird nie eine Partei geben, wo alle von einer Person begeistert sind. Ich bin ja auch nicht von allen Sozialdemokraten begeistert.

Wuttke: Sie sind, wenn auch nicht mehr ein Neuzugang, so immerhin ein Zugang bei der SPD – die hat inzwischen nicht mal mehr eine halbe Million Mitglieder, und auf der Oppositionsbank macht sie auch wenig von sich reden, kurzum: Der parteiinterne Widerstand gegen die Urwahl, von der wir nun wissen, dass sie heute dem Vorstand vorgelegt werden soll, die ist jetzt schon ziemlich immens. Ist das größte Problem der SPD die SPD selbst?

Marquardt: Manchmal stehen sich Parteien, glaube ich, selbst im Wege, und das trifft sicherlich auch zuweilen auf die SPD zu. Aber diese Debatte, die Sie gerade angesprochen haben, da sage ich mal, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Gestern war zum Beispiel die Unterbezirksvorsitzendenkonferenz, an der auch Frau Nahles teilgenommen hat, da wurde über diese ganzen Themen gesprochen. Frau Nahles und Sigmar Gabriel hatten den Auftrag vom Parteitag, ein Parteireformkonzept vorzulegen. Viele haben darauf gewartet, Mensch, legt doch jetzt endlich mal was vor, und jetzt wurde was vorgelegt, und nun geht ein Aufschrei durch die Partei.

Wuttke: Ja, also geht es doch um Erbhöfe?

Marquardt: Ja, ich glaube, es geht einfach um ein unterschiedliches Verständnis, wie Partei heute auch gelebt werden kann. Da mache ich es auch lieber persönlich: Für mich war schon immer eine Partei Mittel zum Zweck. Ich grille lieber mit meinen Freunden, als dass ich mit dem Ortsverein grille, ohne dass ich damit ...

Wuttke: Ich sag dem Ortsverein Bescheid.

Marquardt: ... ohne dass ich damit dem Ortsverein in irgendeiner Art und Weise zu nahe treten will. Ich gehe zum Ortsverein oder in meine Basisgruppe, wenn ich mich über politische Sachen auseinandersetzen will. Aber eins ist auch klar: Vor 20, 30, 40 Jahren sind Parteien natürlich mehr als einfach nur ein Ort politischer Diskussionen gewesen, sondern das war auch irgendwo das Leben jedes Einzelnen, der sich dafür entschieden hat.

Wuttke: Aber Kritiker sagen ja jetzt, wenn wir das so machen, dann hat ja ein SPD-Parteibuch überhaupt keinen Wert mehr.

Marquardt: Das würde ich so nicht sagen, weil viele reden natürlich nur über diese ganzen Urwahl-Konzeptionsvorschläge, aber da stehen ja auch ganz andere Sachen drin, wie die Beteiligung an politischen Sachfragen und so weiter. Ich glaube, dass wir es hier mehr mit dem Problem zu tun haben, wenn Sie sich an die Schröder-Zeit erinnern ...

Wuttke: Dunkel.

Marquardt: ... ich bin damals noch nicht in der SPD gewesen: die Basta-Politik. Dafür steht natürlich so ein Stück weit die Schröder-Ära. Ich habe das Gefühl, dass viele Mitglieder jetzt Angst haben, dass ihnen hier von oben etwas aufoktroyiert wird. Das Problem ist doch aber oder der Vorteil ist doch aber, wir haben jetzt hier einen Vorschlag, den man bis Ende des Jahres debattieren kann, denn erst auf dem Parteitag werden konkrete Sachen festgezogen. Und niemand soll verpflichtet werden, solche Vorschläge, wie sie hier auf dem Tisch liegen, umzusetzen, sondern es soll lediglich die statutarische Möglichkeit geben, Wahlen durchzuführen, wo auch Nichtmitglieder der SPD sozusagen mitmachen können. Und ich kann Leute nur ermuntern, solche Wege zu gehen. Ich selber habe den Weg in die SPD über so eine Möglichkeit gefunden, das heißt nicht, dass das für jeden die passende Lösung ist. Und ob wir den Kanzlerkandidaten über einen solchen Weg wählen, na ja, ich meine, da ist noch ein bisschen Zeit. Und der Wert an sich, Mitglied der SPD zu sein, resultiert doch nicht daraus, ob man nun sozusagen mit entscheiden darf, Kanzlerkandidat oder nicht zu sein, sondern der Wert an sich ist doch, welche Möglichkeiten der Information, der politischen Diskussion, aber auch sozusagen der Teilnahme an bestimmten Aktionen habe ich über eine Mitgliedschaft. Und da muss die SPD natürlich Wege finden, dass Mitglieder immer noch herausgestellt sind und nicht ausschließlich gleichgestellt sind mit Leuten, die sich nicht entscheiden, in eine Partei einzutreten.

Wuttke: Die SPD, ihre Parteireform und eine, die diese Parteireform in Arbeit verteidigt: Angela Marquardt, SPD-Mitglied seit 2008, im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Besten Dank!

Marquardt: Ja, tschüss!
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