"Ich halte Star Trek für einen großen Text der westlichen Kultur"

Alan N. Shapiro im Gespräch mit Joachim Scholl · 10.12.2009
Der Philosoph und Computerexperte Alan N. Shapiro hat sein eigenes Ideal für eine Zukunft als "Arbeitgeber" erklärt. "Ich schaffe keine Arbeitsplätze, sondern Spielplätze", sagte Shapiro.
Joachim Scholl: Wir wollen futurologisch-philosophisch beginnen mit einem schrägen Geist namens Alan N. Shapiro. Dieser Amerikaner ist in moderner Computertechnologie genauso zu Hause wie im Universum von "Star-Trek"-Science-Fiction, und die bindet er kurzerhand mit den Gedanken des Philosophen Jean Baudrillard zusammen. Wie das geht, wird Alan N. Shapiro uns gleich selbst verraten.

Alan N. Shapiro gilt als ein sogenannter interdisziplinärer Denker. Er hat Technologieforschung am Massachusetts Institute of Technology studiert, aber auch Philosophie und Literatur. Er hat als Software-Entwickler gearbeitet und große Unternehmen beraten. Von der weltweiten großen Fangemeinde der "Star-Trek"-Serie wird Alan Shapiro verehrt als Autor des Buches "Star Trek: Technologien des Verschwindens", ein Buch, das viel mit der komplizierten Gedankenwelt des französischen Philosophen Jean Beaudrillard zu tun hat. Demnächst wird Alan Shapiro Gast beim Zukunftskongress transmediale in Berlin sein, und jetzt ist er erst mal bei uns. Guten Tag, Herr Shapiro!

Alan N. Shapiro: Guten Tag!

Scholl: Auf diesem Kongress werden Sie einen Vortrag über die Zukunft des Autos halten, wie wir erfahren haben. Fanden Sie es eben nicht gerade schrecklich banal, mit einem gewöhnlichen Taxi zu kommen?

Shapiro: Okay, ich hatte mit dem Taxifahrer ein ganz interessantes Gespräch gerade über das Thema …

Scholl: Über das Auto?

Shapiro: … über das Auto der Zukunft, und habe etwas von ihm gelernt, weil eine Hauptidee, die ich habe, ist das Auto als neue Spielplattform mit der virtuellen Realität - dass das Glas auf allen Seiten auch Videoscreen sein sollen, und dann kauft man ein Game Cartridge für mehrere hundert Euro, und dann erlebt man das Auto als Cockpit und Simulator, als Nachfolger des Autokinos. Und dann hat das Auto eine neue, zweite Nutzung, nicht nur als Transportmittel, sondern auch als Unterhaltungsplattform. Und der Taxifahrer hat mir gesagt: Da haben Sie ein Problem mit der Heizung, dass es kann nicht in einer Garage stehen, wenn es mir kalt wird.

Scholl: Na, das sind dann sozusagen die praktischen Probleme von solchen futuristischen Konzepten. Damit sind wir schon bei einem Gebiet, mit dem Sie sich intensiv beschäftigt haben, Mister Shapiro, nämlich mit der Filmserie "Star Trek". Ihr haben Sie ein ganzes Buch gewidmet. Und in diesem Science Fiction-Universum von "Star Trek", da gibt es ja parallele Welten, Hyperrealität, Menschen können sich entmaterialisieren, und Sie bringen diese Motive nun mit der Theorie des Philosophen Jean Beaudrillard zusammen, der ja gesagt hat: Ja, die Welt existiert mehr in unserer Vorstellung als in der Realität. Was hat das mit "Star Trek" zu tun?

Shapiro: Also, ich halte "Star Trek" für einen großen Text der westlichen Kultur. Die Bibel ist ein großer Text, Shakespeare ist ein großer Text, wir sehen, in zeitgenössischer Zeit, "Star Trek" ist ein großer Text, und diese Geschichten sagen uns sehr viel über die Zukunft in der Tat.

Und ich glaube, alle "Star-Trek"-Technologien, inklusive die Zeitreise, sind in den nächsten 30 Jahren zu verwirklichen. Ich gründe eine Firma, ich bin international tätig, wir haben in Frankfurt am Main schon neun Mitglieder. Es ist gleichzeitig ein wissenschaftliches Projekt, um den Durchbruch in künstlicher Intelligenz zu machen. Das ist ein … 2001 ist für mich (…) ein Computer mit autonomem Denken.

Seit 50 Jahren scheitert das Projekt künstliche Intelligenz. Warum? Weil das sind nur Computerwissenschaftler, die da tätig sind, und die haben keine Ahnung von Philosophie, Kunst und Literatur. Die schließen das aus. Um Computerwissenschaft als technische Disziplin zu etablieren, zu gründen, ich schließe unst, Philosophie und Literatur nicht mehr aus. Ich mache da eine Vereinigung und die französische Philosophie … Also, IBM, Microsoft und diese Labore, die machen sich lustig über französische Philosophie. Ich bin das Gegenteil, ich nehme das sehr, sehr ernst, und das ist der Schlüssel zum Durchbruch in der künstlichen Intelligenz und mehr fortgeschrittene Computerwissenschaft. Es ist in der Tat so, denn da geht es sehr viel um holistisches Denken, die Wichtigkeit der Sprache.

Scholl: Schon Baudrillard hat die Realität, wie wir sie gemeinhin wahrnehmen, unter den Verdacht der Simulation gestellt. Alles ist nur so wirklich, wie wir es denken, hat er gesagt, die Bilder, die wir von der Welt haben, sind die eigentliche Wirkungsmacht. Und es gibt eigentlich, wenn man so will, ja keine bessere Philosophie für das Computerzeitalter. Sie haben es gerade entwickelt, also, Realität und Fiktion verbrüdern sich zur Virtualität.

Shapiro: Ja, ich glaube, wir brauchen ein Zusammenkommen von Realität und Virtualität. Baudrilliard - ich halte ihn für einen sehr wichtigen Denker, aber er war in Bezug auf neue Technologien, neue Medien ein bisschen nicht so gut informiert, ja, so von dieser 68er-Generation. Und ich denke, in Europa, in Deutschland, es gibt leider eine Spaltung, generation gap, Spaltung zwischen Generationen. Es gibt die Soziologieprofessoren, die wissen sehr viel über Literaturwissen… also, ein sehr gutes Beispiel in deutschen Medien ist die Debatte zwischen Thomas Gottschalk und Marcel Reich-Ranicki im Oktober 2008. Fand ich sehr interessant.

Scholl: Über das Fernsehen?

Shapiro: Ja. Aber ich bin natürlich eher solidarisch mit der Position Reich-Ranickis, weil ich Literatur liebe und so weiter, aber das ist eine binäre Opposition. Der eine glaubt, Fernsehen als Unterhaltung und dass die Leute zu dumm sind, dass die keine ernsthaften Themen … Reich-Ranicki ist in der Tradition der Literaturwissenschaft, der Kreativität, der Poesie, das respektiere ich total, aber die echte Kreativität wäre, diese Dualität oder binäre Opposition zwischen Literatur, Kunst auf der einen Seite und Unterhaltung auf der anderen Seite zu überwinden.

Warum können wir nicht Filme und Fernsehserien haben, die gleichzeitig uns unterhalten und auch den Menschen Aufklärung bringen und Bildung und die kreativer machen? Und niemand … alles ist binäre Opposition. Das hat ein anderer ganz große französische Denker, Jacques Derrida, gesagt, dass die ganze westliche Kultur sitzt fest in binärer Opposition. Zum Beispiel männlich, weiblich ist auch ein Beispiel davon.

Scholl: Alan Shapiro, Philosoph, Computerexperte, "Star-Trek"-Fan hier zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Shapiro, ist dieses Überwinden der binären Oppositionen auch Teil der New Computer Science, also dieser neuen Wissenschaft, die Sie mitbegründet haben.

Shapiro: Ganz genau.

Scholl: Wie müssen wir uns denn dann die Zukunft vorstellen, wenn wir das überwinden? Was wäre denn Ihr Ideal?

Shapiro: In meiner Firma werden die Mitglieder der Firma nicht arbeiten, und wir werden, ich hoffe, sehr viele Menschen in Deutschland haben, die bei meiner Firma sind. Ich habe einen Slogan: Ich schaffe keine Arbeitsplätze, sondern Spielplätze. Ich bin gegen Arbeit wie der junge Marx, der über entfremdete Arbeit gesprochen hat, das ist Calvinismus, Puritanismus.

Was mich interessiert, ist Freiheit, individuelle Freiheit, Spiel, Kreativität und Vielfältigkeit. Und jeder sogenannte Mitarbeiter in meiner Firma ist ein freier Mensch, hat keine festen Arbeitszeiten, und ich halte es für möglich, eine Verbindung zwischen Kreativität und Produktivität zu schaffen, anstatt die gewöhnliche Verbindung zwischen Arbeit und Produktivität. Das ist ein großes Stück meiner Vision, und die sollen auch Freunde sein, Freundschaft ist das zweite Prinzip.

Scholl: Shapiro Technologies soll die Firma heißen, und Freundschaft und Nicht-Arbeit, das sind die beiden Grundsätze. Das klingt natürlich höchst charmant, aber man muss ja auch die Miete zahlen.

Shapiro: Also, ich werfe Arbeit nicht weg. Man kann sagen, wir werden so halb arbeiten. Die neuen Technologien fordern vor allem Kreativität, neue Medien und neue Technologien. Mit Kreativität schafft man die besten Produkte, und nicht mit Mitarbeitern, die unglücklich sind oder viel Stress im Leben haben.

Scholl: Alan Shapiro, er ist Philosoph, er ist Computerexperte, über "Star Trek" und (..) hat er Bücher geschrieben und heute war er im Deutschlandradio Kultur. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shapiro: Ich bedanke mich sehr!