"Ich habe schon fünf Termine für Weltuntergänge gefunden"

Michael Kunkel im Gespräch mit Ute Welty · 20.12.2010
Der Mathematiker Michael Kunkel überprüft Wahrsager-Prognosen. Er erklärt, warum 2010 die Vorhersagen des WM-Krakenorakels Paul doch keine Sensation waren und bedauert für 2011 vor allem Kölner und Düsseldorfer. Ausgerechnet für den 11.11. werde der Weltuntergang prophezeit.
Ute Welty: Ich gebe es zu, ich gehöre zu den Menschen, die am Jahresanfang ihr Horoskop aus der Lieblings-Frauenzeitschrift herausreißen, aufheben und dann am Ende des Jahres nachschauen, was denn so gepasst hat. Und irgendwie sind Michael Kunkel und ich uns dann nicht so ganz unähnlich, aber natürlich unterscheiden wir uns sehr, denn im Gegensatz zu mir hat Michael Kunkel vor allem ein wissenschaftliches Interesse. Guten Morgen, Herr Kunkel.

Michael Kunkel: Guten Morgen!

Welty: Ihr Interesse besteht darin, als Mathematiker für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften die Vorhersagen für 2010 zu prüfen. Rufen Sie uns doch bitte einmal noch ins Gedächtnis, was alles für 2010 vorhergesagt worden ist.

Kunkel: Für 2010 wurden, wie übrigens für jedes Jahr, alle nur erdenklichen Katastrophen vorhergesagt, Erdbeben, Vulkanausbrüche, das übliche, am liebsten natürlich Erdbeben in Kalifornien, weil das ist ja tatsächlich erdbebengefährdet. Am liebsten sind mir dann doch noch die ganz diffusen Prognosen. Meine liebste im letzten Jahr war, ein totaler Crash wird die Menschheit überrollen, und zwar am 13. August – das war ein Freitag – um 10:15 Uhr.

Welty: Aber immerhin mit einer präzisen Uhrzeitangabe.

Kunkel: Ja. Das ist aber sehr selten. Normalerweise sagen die im allgemeinen, es wird Erdbeben geben. Erdbeben gibt es allerdings täglich auf der Welt. Es gibt im Internet eine Seite, da können sie praktisch live verfolgen, wo auf der Welt gerade ein Erdbeben passiert. Die meisten natürlich nicht so schlimm, dass da Leute zu Schaden kommen.

Welty: Lassen Sie uns noch mal eben bei diesem Crash bleiben. Ist irgendwie definiert, um was für einen Crash es sich handelt, um einen Börsen-Crash, um einen mmmhhhhh…-Crash?

Kunkel: Nein. Genau das ist auch eine Schwäche dieser Prognosen. Es wird nicht genau definiert. Die hat einfach gesagt, der totale Crash wird die Menschheit überrollen, was immer das auch bedeutet.

Welty: Bei welchen Vorhersagen sind Sie besonders froh, dass sie nicht eingetreten sind?

Kunkel: Bei allen möglichen Terror- und natürlich auch bei vielen Katastrophenprognosen. Es gibt einen Wahrsager in Deutschland, der hat seit Jahren immer sehr genau Terroranschläge vorausgesagt, in den letzten Jahren immer für Berlin und Frankfurt, mal für die zweite Oktoberwoche, im letzten Jahr war es für die dritte Juli- und die zweite Augustwoche. Alle sind glücklicherweise nicht eingetreten.

Welty: Jetzt überprüfen Sie ja rund 110 Prognosen und kommen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jedes Jahr zu dem Ergebnis, dass die meisten Prognosen irren. Langweilt Sie das nicht furchtbar?

Kunkel: Nein. Das Ergebnis ist schon immer das gleiche. Interessant ist natürlich, welche neuen Prognosen haben sich die Wahrsager und Hellseher ausgedacht. Und man kann da zum Beispiel immer bestimmte Modeströmungen sehen. Seit 2001, nach den Terroranschlägen in New York, wurde vermehrt Terror auch in westlichen Städten vorausgesagt. Seit Weihnachten 2004 taucht das Wort Tsunami in den Prognosen auf, vorher gab es das schlicht und einfach nicht.

Welty: Das heißt, die realen Ereignisse der vergangenen Jahre haben Einfluss auf die Vorhersage für das nächste Jahr?

Kunkel: Ja, weil sobald etwas passiert, etwas Überraschendes, dann wird es denkbar und dann wird es auch in die Prognosen aufgenommen. Ich bin ziemlich sicher, nachdem wir letztes Jahr die Flugausfälle wegen des Vulkanausbruchs in Island hatten, dass solche Prognosen auch in den nächsten Jahren verstärkt vorkommen werden.

Welty: Aber eigentlich widerspricht das doch jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung, denn wenn ein solch seltenes Ereignis einmal eingetreten ist, dann liegt es ja nicht so nahe, dass dieses seltene Ereignis jetzt sofort noch mal wieder eintreten wird?

Kunkel: Das stört die Wahrsager und Hellseher, glaube ich, nicht. Es war auch schon in den 80er-Jahren so. Nach dem Anschlag auf den Papst wurden Anschläge auf den Papst jahrelang immer wieder vorausgesagt. Das hat in letzter Zeit nachgelassen.

Welty: Und können Sie schon vorhersagen, was die Wahrsager und Hellseher für 2011 vorhersagen werden?

Kunkel: Ich habe schon fünf Termine für Weltuntergänge gefunden und der Rest sind im Moment wieder die allgemeinen Prognosen für irgendwelche Katastrophen, Erdbeben und so weiter. Da wird sich nicht viel ändern. Nur für Leute in Köln und Düsseldorf ist eine Weltuntergangsprognose ärgerlich, weil das soll am 11.11. passieren.

Welty: Da haben sowieso mehrere Menschen das Gefühl, dass die Welt untergeht.

Kunkel: Das stimmt, aber für die Leute in Köln und Düsseldorf kann man vielleicht hoffen, dass es erst nachmittags ist.

Welty: Okay. – 11.11., gibt es sonst noch irgendwelche Daten, die ich mir schon mal rot markieren sollte im Kalender?

Kunkel: Wenn das nicht funktioniert, es gibt auch den 22.11. und die anderen habe ich jetzt nicht im Kopf, aber es waren fünf Stück, ich glaube Mai, September und Oktober oder August und September. Da gab es immer noch jeweils einen Termin, den irgendjemand vorhergesagt hat.

Welty: Haben Sie eigentlich einen Lieblingswahrsager oder eine Lieblingshellseherin, eine oder einen, der oder die vielleicht besonders grandios an der Wirklichkeit scheitert?

Kunkel: Am liebsten ist mir Nikki Pezaro, das ist ein kanadisches Medium, das jedes Jahr so mindestens 200 Prognosen macht, die meisten sehr kurz und knackig. Die sagt zum Beispiel, mehr Tsunamis werden vorkommen. Das kann man alles natürlich nicht prüfen. Aber die hat auch immer sehr skurrile Vorhersagen. Im letzten Jahr klang das eher nach Hollywood, wenn sie gesagt hat, die Airforce 1 wird entführt, oder es werden Fledermäuse eine südamerikanische Stadt angreifen und solche Dinge. Die scheint zu viele Horrorfilme zu gucken.

Welty: Und konnten Sie 2010 auch eine positive Überraschung verzeichnen?

Kunkel: Ja. Eine positive Überraschung gab es während der Fußball-WM. Diese Orakel-Krake Paul hat tatsächlich bei allen Spielen, bei denen sie getippt hat, richtig gelegen. Für einen Mathematiker ist das nicht ganz so überraschend.

Welty: Wieso ist das für den Mathematiker nicht so überraschend?

Kunkel: Man kann eben vier-, fünfmal beim Münzwurf richtig liegen. Die ersten drei würde ich nicht zählen, denn diese ganzen Sea Life-Aquarien in Deutschland haben alle solche Aktionen gehabt. In Hannover gab es eine andere Krake, in München waren es Seepferdchen, in Berlin Langusten, oder umgekehrt. Und wenn man nach drei Spielen guckt, wer hat immer getroffen, dann ist es ziemlich sicher, dass eines dieser Orakel-Tiere die ersten drei Spiele mit Sicherheit immer richtig liegt, wenn ich so viele habe.

Welty: Fragen Sie den Tintenfisch ihres Vertrauens! – Michael Kunkel von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. – Darf ich Ihnen dann Ende 2011 mein Horoskop schicken?

Kunkel: Gerne! Ich sammele Horoskope.

Welty: Dafür danke ich und auch vor allem für das aufschlussreiche, ja ich möchte sagen für das hellsichtige Gespräch.
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