"Ich habe keine positiven Helden"

Von Christian Linder · 09.03.2010
Sein erster Roman "Das Café an der Straße zum Friedhof" machte ihn bekannt. Doch sein Schreiben brachte den vor 80 Jahren im tschechischen Ostrau geborenen Ota Filip mit dem kommunistischen Regime seines Heimatlandes in Konflikt. 1974 ging er nach Deutschland ins Exil.
"Das Café an der Straße zum Friedhof" - einen solchen Buchtitel vergisst man nie. Der Roman machte seinen Autor Ota Filip sofort berühmt. Er erzählte, autobiografisch versetzt, eine pittoreske Geschichte aus der im alten mährischen Grenzland gelegenen tschechischen Stadt Ostrau, wo Ota Filip am 9. März 1930 geboren worden ist.

Der Vater war Tscheche, die Mutter Polin. Während der Zeit der Romanhandlung, den nationalsozialistischen Jahren zwischen 1938 und 1945, entwickelte sich der Vater zum Verdruss seines Sohnes in einen begeisterten, kollaborierenden Deutschenfreund. Denn der junge Filip hatte es gerade schön gefunden, vor der Okkupation in einer multikulturellen Gesellschaft aufzuwachsen, in der man tschechisch, polnisch und deutsch durcheinander sprach und jeder den anderen in seinem Anderssein respektierte.

"Ich glaube, ich kann mich sehr viel aufregen. Ich bin sehr spontan und ein Choleriker, aber ich bin im Grunde sehr tolerant. Ich versuche immer den Menschen so zu begreifen, wie er ist, und das ist glaube ich die große Lehre aus der Kindheit."

Den weit ausholenden, melancholischen, aber auch heiteren Roman "Das Café auf der Straße zum Friedhof" hatte Filip gegen Mitte der 1960er-Jahre geschrieben, ohne Aussicht, das Manuskript veröffentlichen zu können - als Journalist war er früh ins Abseits gedrängt worden, zumal nachdem ihn die kommunistische Partei wegen Unbotmäßigkeit ausgeschlossen hatte. Jahrelang schlug er sich als Hilfsarbeiter durch.

1968, im Prager Frühling, konnte das Buch dann erscheinen. Als kurz darauf die Panzer des Warschauer Pakts den Traum eines freien Sozialismus niederrollten, war jedoch auch Filips Auftritt als Schriftsteller in seiner Heimat schon wieder beendet - sein zweiter Roman "Ein Narr für jede Zeit" erschien 1969 in Westdeutschland, während der Autor zu selben Zeit in einem tschechischen Gefängnis saß und erst nach massiven internationalen Protesten freigelassen wurde. Der Druck ließ gleichwohl nicht nach, sodass Filip 1974 in die Bundesrepublik ausreiste und 1977 auch die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Seither ist er ein ständiger Versöhner zwischen Ost und West. Er sei in die deutsche Sprache geflüchtet, ohne sich jedoch als Deserteur zu fühlen, schrieb er.

"Dennoch empfinde ich ständig eine beklemmende metaphysische Angst, mein Tschechisch zu verlieren."

Vielleicht aus dieser Not heraus ist seine frei assoziierende und oft gerühmte Fabulierlust entstanden. Zugleich versucht seine Literatur, die Wirklichkeit aber immer auch zu verdichten. Welche Irrtümer die Menschen produzieren, wie sie ihr Leben fristen - solche Fragen leuchten hinter den noch so skurrilsten Fantasien stets auf. In dem Roman "Zweikämpfe" heißt es:

Es gibt keinen Grund zum Triumph, aber auch keinen zur Resignation. Was uns bleibt, ist die Scham.

"Man muss doch, wo es noch geht und solange man noch Kraft hat, irgendwie wenigstens anständig sein - obwohl man sehr oft auf die Schnauze fällt, und meine Romane sind doch über Leute, die immer auf die Schnauze fallen. Ich habe keine positiven Helden, alle meine Helden sind am Ende die Geschlagenen. Ich bin auf der Seite derer, die eben auf die Schnauze fallen, und ich selbst bin wahrscheinlich im Leben auf die Schnauze gefallen und deswegen mag ich die Leute so."

Angesichts solch hehrer Worte musste Ota Filip es als größte Niederlage seines Lebens empfinden, als 1998 der Vorwurf aufkam, er habe in den 1950er Jahren mit dem tschechischen Geheimdienst paktiert - und als Soldat Kameraden denunziert, die daraufhin jahrelang zur Zwangsarbeit in ein Lager gesperrt wurden. Filip antwortete, er habe "nicht wissentlich" und auch "nicht willentlich" mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet, sei aber dessen Terrorpraktiken ausgeliefert gewesen. Als aufgrund der Anschuldigungen sein Sohn Selbstmord beging, brach für Ota Filip vollends die Welt zusammen.

Er brauchte eine lange Zeit der Einkehr, um in seinem 2001 erschienenen Buch "Der siebente Lebenslauf" seine Erinnerungen und sein Verstricktsein in die Erlebnisse der 1950er Jahre in der Tschechoslowakei für sich selber zu verarbeiten. Noch einmal, wie schon im Roman "Zweikämpfe", ein Bekenntnis zur Scham, die am Ende übrig bleibe.