"Ich habe Angst vor der täglichen Produktion von Hass"

Von Michael Schornstheimer · 06.03.2007
Der Sammelband "Anna Politkowskaja - Chronik eines angekündigten Mordes" vereint Texte von und über die russische Journalistin, die im vergangenen Jahr ermordet wurde. Unerschrocken berichtete sie von den Kriegsverbrechen des russischen Militärs in Tschetschenien. Das Buch wurde in der Akademie der Künste präsentiert.
Anna Politkowskaja hat sich nicht nur in Russland viele Feinde gemacht. Auch bei Auslandsreisen nahm sie kein Blatt vor den Mund: "Der Westen kann alles, will aber nichts. Der Westen ist einfach zynisch" sagte sie anlässlich einer Pressekonferenz in Berlin, die der russische Filmemacher Andrei Negrassov aufgezeichnet hat. Die Aufnahmen zeigen eine zarte und gleichzeitig energische Person. Die kurzgeschnittenen Haare der Mitte Vierzigjährigen waren schon silbergrau. Die Tochter eines Sowjetischen Diplomaten, die in New York geboren wurde, hätte sich leicht ein bequemes Leben leisten können, aber sie entschied sich für einen anderen Weg, erinnert die russische Historikerin Irina Scherbakowa:

" Manchmal war sie sehr rigoros, manchmal war sie fast nicht zu ertragen. Aber man wusste, dass sie sehr konsequent ist und absolut keine Angst hat. Man hatte das Gefühl, dass sie in den letzten Jahren aus der letzten Kraft schrie. Mit ihrem Mord, das hatte fast so eine symbolische Bedeutung, weil das war der letzte Schrei, weil dann hat sie alle dazu gebracht und gezwungen, dass man doch auf sie hört. "

Seit Beginn des "Zweiten Tschetschenienkrieges" berichtete Anna Politkowskaja aus der Kaukasusrepublik. Ungeschminkt. Direkt. Kritisch. Ihre Themen waren die Kriegsverbrechen der russischen Militärs, der Terror der kaukasischen Militärs, die massiven Menschenrechtsverletzungen.

Der Herausgeber des Buches, der Journalist Norbert Schreiber, lernte sie vor zwei Jahren auf der Leipziger Buchmesse kennen, als sie ihr Buch "In Putins Russland" vorstellte:

" Und während dieses Gespräches hat Anna Politkowskaja sehr stark die westlichen Medien, aber auch die westlichen Politiker kritisiert und gesagt, warum tut der Westen als Demokratie so wenig, warum tut er nichts Aktives, indem ein aktiver Beitrag der Politik zur Friedenspolitik in Tschetschenien geleistet wird. Immer wieder würden Delegationen kommen, sich den Konflikt erklären lassen, aber danach würde nichts passieren. Und während dieses Gespräches hatte ich den Eindruck, es war wie eine Ahnung, dass die Arbeit von Anna Politkowskaja unglaublich gefährlich ist, dass sie das Risiko auf sich nimmt, und dass sie sich nicht besonders schützt. Sie hat da sehr klare Worte gesprochen, und war sich darüber im Klaren, dass sie wirklich auch mit dem Tode bedroht ist. "

Mit ihrem Buch "In Putins Russland" prangerte die mutige Journalistin die korrupte russische Bürokratie an. Die Nomenklatura wolle jetzt genauso üppig leben wie die "neuen Russen" und das bei verschwindend geringen offiziellen Gehältern. Also verwende sie einen Großteil ihrer Zeit darauf, sich unter Umgehung von Recht und Ordnung persönlich zu bereichern. Mit dem Ergebnis, dass die Korruption unter Putin ein beispielloses Ausmaß erreicht habe. Anna Politkowskaja habe genau beschrieben, wie sich unter dem Aufsteiger Wladimir Putin in Russland eine kriminelle Scheindemokratie entwickelt habe. Resümiert der Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und der "Grünhelme", Rupert Neudeck.

" Das zweite, was ich nicht vergessen kann, an Anna Politkowskaja hing ein ganzes Land, nämlich Tschetschenien. Und sie hat mit einem unglaublichen weltpolitischen und weltgeschichtlichen Gespür gewusst, und in dem Buch ist es noch mal nachzulesen, sie hat gesagt, ich habe nicht Angst vor der Erhöhung der Atomproduktion, ich habe Angst vor der täglichen Produktion von Hass, die in Tschetschenien und wo auch immer produziert wird. Und das hat sie gesehen. "

Anna Politkowskaja erhielt im Westen zahlreiche Preise: den Lettre Ulysses Award beispielsweise, den Olof-Palme-Preis und den Leipziger Medienpreis. Ihrer kritischen Berichte wegen wurde sie aber aus den großen Medien Russlands mehr und mehr verdrängt. Zuletzt schrieb sie nur noch für die vergleichsweise kleine "Nowaja Gaseta", die zwei Mal wöchentlich erscheint.

Die russische Historikerin Irina Scherbakowa vergleicht das heutige Russland mit der Sowjetunion der Breschnew-Ära. Nur mit dem Unterschied, dass die bleierne Zeit heute noch viel zynischer sei als damals. Und dass sich viele Russen darin bequem eingerichtet hätten.

" Was mich interessiert und was ich für wichtig halte, ist die Geschichte. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit, die ist in Russland momentan ganz, ganz wichtig, weil ich ja mit Horror feststelle, was mit unserer Vergangenheit gemacht wird und wie sie manipuliert wird. Die Umfragen, was die Stalinfigur anbetrifft oder die unterschiedliche Symbolik dieser sowjetischen Zeit, der Breschnew-Zeit, sind erschreckend."
Die Autoren des Sammelbandes haben vorgeschlagen, Anna Politkowskaja posthum den Friedenspreis des deutschen Buchhandels zu verleihen, erläutert der Herausgeber, Norbert Schreiber.

" Um zu zeigen, dass da eine Journalistin war, die Mut, Zivilcourage, persönliche Einsatzbereitschaft, Frieden versucht hat zu schaffen. Ich träume allerdings von ein paar Schritten, die danach folgen könnten. Wenn wir einen Geldgeber finden, würde ich gern einen Anna Politkowskaja Journalistenpreis gründen. Und mein Traum wäre es, wenn wir einen solchen Preis bekommen, dass dann auch Geldmittel an die Kinder gehen können. "
Mehr zum Thema