"Ich fürchte, dass es insgesamt etwas unlebendig wird"

Boris Kositzke im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 11.09.2009
Der Tübinger Rhetorik-Professor Boris Kositzke erwartet nicht, dass das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Sonntag wahlentscheidend wird.
Matthias Hanselmann: Boris Kositzke ist Dozent am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen und mit der Geschichte der Redekunst bestens vertraut. Guten Tag, Herr Kositzke!

Boris Kositzke: Guten Tag!

Hanselmann: Von den eben gehörten Beispielen, würden Sie da eines besonders hervorheben wollen? Fanden Sie ein Rededuell oder eine Redeschlacht besonders spannend oder gelungen?

Kositzke: Ja, das Beispiel, das Sie als Erstes eingeblendet haben, zwischen Brandt und Kohl ist zum Beispiel deswegen sehr eindrucksvoll, wenn man es in der Fernsehaufzeichnung sieht, weil die beiden Kontrahenten ja nebeneinandersitzen, was im Grunde für eine Streitsituation ungünstig ist.

Also, sie streiten sich über ihre Schultern hinweg und haben zum Teil auch gar keinen Blickkontakt, weil das eben schwierig ist, wenn man nebeneinandersitzt – ein Streit, ein sehr heftiger Streit unter ganz widrigen, körpersprachlichen Bedingungen. Das macht die Situation doppelt interessant, von den politischen Inhalten mal ganz abgesehen, die da verhandelt werden. Und es werden Inhalte verhandelt.

Hanselmann: Gibt es denn Rededuelle aus den letzten Jahren, andere, die Sie sonst noch sehr beeindruckt haben?

Kositzke: Ja, also, Rededuelle sind ja seit einigen Jahren sehr häufig, und da gab es schon sehr interessante, also, ein Rededuell, das vielleicht gar nicht mehr so im allgemeinen Bewusstsein ist, ist das zwischen Fischer und Gerhardt, das sogenannte Außenministerduell, das es mal auf der ARD gab, im Wahlkampf 2005. Das ist deswegen sehr eindrucksvoll, weil selten die Überlegenheit eines Teilnehmers so deutlich zu erkennen war, also in diesem Fall Fischer. Und da liegt auch schon ein Problem des Duells, das vielleicht für viele beteiligte Duellanten unerwartet kommt: Man darf auch nicht zu sehr überlegen sein, weil einen das unsympathisch macht. Fischer in diesem Fall war sehr überlegen, aber hat die Überlegenheit sehr deutlich auch ausgespielt und merken lassen. Man litt früher oder später mit Gerhardt mit, ganz unabhängig von der politischen Meinung, die man in die Diskussion mitgebracht hatte.

Hanselmann: Mitleid heißt dann auch Empathie und dann eventuell auch das Zünglein an der Waage, wenn man denjenigen wählt?

Kositzke: Ja, in der Tat, also die Brücke von Mitleid zu Empathie und zu Sympathie ist schnell gegangen, und das ist dann natürlich eine Katastrophe, da war man zu gut. Also, man kann auch zu gut sein als Duellant.

Hanselmann: Verbal duelliert haben sich die Menschen sicher, seit sie überhaupt der Sprache mächtig waren, aber seit wann kann man von Rededuellen sprechen, die auf einer politischen Ebene stattfanden? Was, würden Sie sagen, waren so die ersten Rededuelle?

Kositzke: Die ersten überlieferten Rededuelle sind zunächst mal – fast muss man sagen erstaunlicherweise – gar nicht im engeren Sinne politisch. Es gibt zwei, vielleicht drei wichtige andere Wurzeln des Rededuells. Die erste Wurzel ist juristischer Natur, also, die Gerichtssituation ist charakteristisch für Rededuelle, wo zwei Kläger, der Angeklagte sich streiten, konkurrierende Ansprüche durchsetzen wollen, und die andere Tradition ist akademischer Natur, da geht es also nicht um Rechtsansprüche, sondern um Wahrheitsansprüche, und auch da – Sie haben den platonischen Dialog Gorgias zitiert –, auch da sind Rededuelle immer geführt worden, in der Antike, im Mittelalter und auch bis heute.

Hanselmann: Wissen wir, worauf es seinerzeit ankam, was besonders gefragt war?

Kositzke: Tja, das ist ganz konkret schwer zu sagen, grundsätzlich ist es aber durchaus zu beantworten. Natürlich spielt die Sachebene immer eine Rolle, also, das bessere Argument gewinnt nicht automatisch, aber wer das bessere Argument hat und sein Argument als besser in Szene setzen kann, hat natürlich den Vorteil. Und die andere wichtige Ebene ist die Person des Redners, auch auf die ist es immer angekommen bei solchen Rededuellen. Also stehen nicht zwei Programme, zwei Auffassungen im Rededuell gegeneinander, sondern zwei Personen. Person und Sache sind fast untrennbar miteinander verbunden, und das ist bis heute ja auch so geblieben.

Hanselmann: Wer waren damals die Zuhörer?

Kositzke: Bei den im Abendland literarisch mindestens als ersten überlieferten Rededuellen zwischen Achill und Agamemnon und zwischen Odysseus und Aeneis sind es – das sind alles Heerführer aus Homers "Ilias" –, sind es die anderen Heerführer, also Soldaten, die auch nachher entscheiden, wer seine Sache am besten vertreten hat. Bei Platon waren es die Schüler Platons und die Schüler des Kontrahenten zum Teil auch, die auch als Sekundanten sich mit ins Gespräch einmischen.

Hanselmann: Waren Zwischenrufe gestattet, Beifall oder Ähnliches?

Kositzke: Ja, durchaus. Das Publikum war mit seinen Zustimmungen und Abneigungen immer im Gespräch präsent, das lässt ja die Redesituation, die Duellsituation heute häufig so als steril erscheinen, mindestens im deutschen Fernsehen, da ja kein Publikum anwesend war bei den Duellen, die es bisher gab, anders als in den USA, wo ja die Debatte immer vor Publikum stattfindet. Und das Publikum macht sich irgendwie ja immer bemerkbar und sei es, wie es gestisch, mimisch … Also, es hat immer Einfluss auf das, was da vorne passiert, und wenn es fehlt, fehlt auch in der Situation etwas, was die ganze Sache spannend und lebendig machen würde.

Hanselmann: Wir haben ein bisschen über heutige Redeschlachten und Rededuelle geredet und ein bisschen über antike. Lassen Sie uns doch mal mitten hineingehen ins 16. Jahrhundert, als ein gewisser Martin Luther mit starken Worten auffiel, die zum Teil bis heute noch nachhallen sozusagen. Mit wem und wie hat er sich damals duelliert?

Kositzke: Ganz berühmt gewordener, sogenannter Leipziger Disput: Da tritt Luther Johannes Eck gegenüber und diskutiert über wichtige religiöse Fragen, also Papsttum, Stellung des Papsttums, Fehlbarkeit des Papstes und der Konzilien. Und das diskutieren die beiden in universitärem Umfeld, beide sprechen der Universität Leipzig, und das Duell dauert dann auch drei Wochen. Wenn Akademiker sich miteinander unterhalten, wird es dann auch mal länger. Das geht natürlich heute im Fernsehen nicht.

Hanselmann: Ein Millionenpublikum hatten die Herren damals jedenfalls nicht, aber das wird es am Sonntag geben bei Merkel kontra Steinmeier. Was können denn, zusammengefasst, die beiden aus der Geschichte der Wortduelle lernen oder mitnehmen?

Kositzke: Das ist gar nicht so leicht zu sagen, weil sich dann doch das, was sie machen können, sehr an dem orientiert, was sie überhaupt können. Natürlich – eine Sache habe ich schon angedeutet: Man darf als Angreifer nicht zu aggressiv sein. Man muss aggressiv sein, man muss ja, in diesem Fall Steinmeier muss ja nachweisen, dass es einen Grund gibt, die Regierung zu wechseln. Da ist Kritik nötig, da ist auch Aggression als Emotion nötig, das darf nicht zu viel werden, sonst wird man unsympathisch. Das ist also sicher ein wichtiger Punkt. Ein anderer, problematisch in diesem bevorstehenden Duell: dass aus zweien, die ja im Augenblick politisch noch Partner sind, für diese Zeit zumindest Gegner werden und das auch glaubwürdig werden. Auch das wird nicht ganz einfach. Eine Schwierigkeit, die es so in den deutschen Fernsehduellen bisher ja noch nicht gab, dass zwei, die zusammen an der Regierung waren, sich jetzt gegeneinander stellen.

Hanselmann: Also zwei Menschen, die sich eigentlich gar nichts nehmen? Deswegen hat die "FAS" auch geschrieben: ein Witz.

Kositzke: Ja, und das ist tatsächlich der schwierigste – von den Rednern aus, von den Teilnehmern, von Frau Merkel und Steinmeier aus –, der schwierigste Punkt, wie man das in den Griff bekommt und sich trotzdem in der Sache hart auseinandersetzen kann, ohne sich jederzeit den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, dass man das bisher ja offenbar anders gehandhabt hat und die andere Entscheidung getroffen hat. Da trotzdem glaubwürdig zu agieren, ist sicher schwierig.

Und dann sind beide natürlich keine glänzenden Redner, auch keine glänzenden Gesprächspartner – also ich fürchte, dass es insgesamt etwas unlebendig wird und dass es vermutlich für die Wahlentscheidung diesmal nicht so viel Bedeutung hat.

Hanselmann: Zur Geschichte der Rededuelle und zur Gegenwart derselben habe ich gesprochen beziehungsweise geredet mit Herrn Boris Kositzke, Dozent am Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen. Vielen Dank und vielleicht doch viel Spaß oder ein wenig Spaß beim Fernsehen am Sonntag um 20.30 Uhr!

Kositzke: Dankeschön!

Hanselmann: Tschüss nach Tübingen!