"Ich fühle mich als syrische Bürgerin"

Samar Yazbek im Gespräch mit Katrin Heise · 26.03.2012
Die syrische Schriftstellerin und Journalistin Samar Yazbek hat von Anfang an, im März 2011 beginnend, ein Tagebuchprotokoll über die Geschehnisse in Syrien geschrieben. Assad habe versucht, die Gesellschaft zu spalten, doch die Mehrheit glaube nicht mehr, was das Regime sagt.
Katrin Heise: Die syrische Schriftstellerin und Journalistin Samar Yazbek hat von Anfang an, also im März 2011 beginnend, ein Tagebuchprotokoll über die Geschehnisse in Syrien geschrieben. Sie sprach mit Protestlern, mit Haftentlassenen, auch mit Polizisten sogar - dabei konnte sie nicht ungeschoren davonkommen, das kann man sich vorstellen. Sie, die aus einer angesehenen Familie stammt, die wie Präsident Assad der alawitischen Glaubensgemeinschaft angehört, sie wird also zunehmend unter Druck gesetzt.

Sie wurde verleumdet, schließlich immer wieder zu Verhören gerufen, geschlagen, sie ist gezwungen worden oder sollte gezwungen werden, im Fernsehen gegen die Proteste sich auszusprechen, da hatte sie sich geweigert. Inzwischen ist Frau Yazbek mit ihrer Tochter zusammen, weil die Situation in Syrien für sie zu gefährlich wurde, ins Exil gegangen.

Samar Yazbek war zu Besuch in Berlin, unter anderem las sie auf dem türkischen Literaturfest, und ich hatte Gelegenheit, sie im Hotel zu treffen, und wollte von ihr wissen, ob sie jetzt im Exil sich eigentlich sicher fühlt, zur Ruhe kommen kann, oder, weil sie nicht mehr direkt etwas mitbekommt, besonders aufgewühlt ist.

Samar Yazbek: Was mich und meine Person betrifft, so fühle ich mich tatsächlich sicherer, ich bin jetzt in Sicherheit. Aber ich habe größere Sorgen, ich habe Angst, ich verfolge die Ereignisse in Syrien. Ich stehe in Kontakt mit den Menschen in Syrien, mit den Aktivisten. Ich bin ruhiger, aber insgesamt bin ich aufgeregter, habe Angst um die Menschen in Syrien.

Heise: Sie haben, Frau Yazbek, Ihr Leben aufs Spiel gesetzt, weil Sie, als Sie in Syrien waren, immer an die Orte gefahren sind, wo beispielsweise Demonstrationen stattfanden, wo Belagerung war, wo eben Gewalt war. Sie haben die Menschen dort selber befragt, sich ein eigenes Bild gemacht, Ihre Eindrücke dann in Ihrem Tagebuch festgehalten. Sie wollten die Wahrheit herausfinden und vor allem auch verbreiten. Wie ist denn eigentlich die Information der Bevölkerung? Was wissen und was glauben die Menschen eigentlich, was vorgeht jetzt, ein Jahr nach Beginn der Proteste?

Yazbek: Es gibt verschiedene Versionen der Geschichte, der Ereignisse in Syrien. Die offiziellen Medien des Regimes verbreiten das Gegenteil von dem, was tatsächlich passiert auf der Straße. Die sagen, es handelt sich um bewaffnete Banden, um Salafisten, und manche glauben diese Version des Regimes auch. Auf der anderen Seite gibt es die Satellitenfernsehsender und natürlich die Youtube-Videos, die von den Aktivisten auf der Straße gefilmt werden. Und die Mehrheit glaubt dieser Version, glaubt diesen Aktivisten, die von den Demonstrationen selber filmen und diese kleinen Filmchen ins Netz stellen.

Heise: Und dabei ja auch ihr Leben durchaus aufs Spiel setzen. Was Sie gesehen haben, was Sie, Frau Yazbek, erlebt haben, also diese ungeheure Gewalt gegen das Volk, gegen Protestierende, die eigentlich friedlich waren, oder was Ihnen auch selber angetan wurde, Sie wurden ja bedroht, Sie wurden geschlagen, verleumdet, immer wieder zu Verhören geholt.

Das alles hat Sie schockiert, Sie schreiben, das hat Sie erstarren lassen. Das Regime Assad war ja, hat ja seit Jahren schon diverse Geheimdienste gehabt, wurde davon gestützt. Und auch politische Gefangene gab es schon vor den Protesten. War man trotzdem nicht gewarnt, dass solch eine Gewalt möglich ist vom Staat, vom Regime aus, hat Sie das tatsächlich überrascht?

Yazbek: Natürlich habe ich gewusst, dass das Regime von Assad eine Diktatur ist, eine Militärdiktatur, strukturiert wie eine Mafia, und es hat früher eine kleine Gruppe von Oppositionellen gegeben, die ins Gefängnis gegangen sind für ihre Überzeugung. Aber jetzt war es so, dass die Mehrheit des Volkes auf die Straße gegangen ist. Dass die Armen, die Marginalisierten auf die Straße gegangen sind, um Freiheit zu fordern. Was mich verwundert hat, war der Mut dieser Menschen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass diese Menschen nicht bald wieder in ihre Häuser zurückgehen, sondern trotz all der Brutalität weiter demonstrieren.

Heise: Sie schreiben ja auch von den Müttern beispielsweise, die am Tag, nachdem ihre Söhne gefangengesetzt werden oder verschwinden einfach, dann den Mut haben, auf die Straße zu gehen und nach den Söhnen zu fragen oder dagegen zu demonstrieren, dass die gefangen genommen worden sind, und überhaupt sie wissen wollen, was ihnen geschehen ist. Sie haben auch Polizisten befragt. Was sagen die zu dieser Gewalt, die sie da sehen, mit ausüben, von wem geht die eigentlich aus?

Yazbek: Ja, das stimmt. Ich habe tatsächlich versucht zu verstehen, was vor sich geht. Also, ich habe mit Polizisten gesprochen, ich habe aber auch mit Geheimdienstmitarbeitern gesprochen und habe versucht, zu verstehen, was sie denken, und habe festgestellt: Sie sind auch zum Teil nicht Teil der Geschehnisse, sondern sie kriegen auch mit, dass irgendwelche Todesschwadronen irgendwo Morde begehen. Und die Polizisten, die einfachen Polizisten wissen dann auch nicht, von wem der Befehl ausgegangen ist. Also das ist kein großer Unterschied. Sie glauben häufig dasselbe, was das Volk glaubt, nämlich die Version des Regimes.

Heise: Was bewirken diese Einschüchterungen eigentlich? Also diese massive Gewalt ist ja, um einzuschüchtern, um Demonstrationen, um Proteste zu verhindern. Was bewirken sie tatsächlich? Sie haben von dem Mut gesprochen der Menschen, die nach wie vor auf die Straße gehen, aber wie verhält sich die Mehrheit?

Yazbek: Ich würde mal sagen, die Mehrheit, das sind ungefähr 70 Prozent mittlerweile, glaubt nicht mehr, was das Regime sagt, also sie wissen, dass die Morde vom Regime ausgehen. Also ich kann wirklich sagen, dass es eine übereinstimmende Meinung gibt, jetzt, sagen wir einmal von diesen 70 Prozent, dass Assad gehen muss, dass Assad zurücktreten muss.

Natürlich gibt es aufgrund der Brutalität, der Bestialität vonseiten des Regimes, dem ganzen Chaos, das entstanden ist, dem Töten, das vom Regime ausgeht, gibt es natürlich einige Leute, die sagen: Okay, also lieber Diktatur als die Situation, wie wir sie jetzt haben.

Heise: Schrei nach Freiheit. Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit der syrischen Autorin Samar Yazbek. Frau Yazbek, Sie sind eine bekannte Autorin in Syrien, Sie haben auch vor den Protesten sogar gesellschaftskritische Romane veröffentlichen können. Sie gehören einer angesehenen alawitischen Familie an. Auch Assad gehört der alawitischen Gemeinschaft an - fühlten Sie sich dadurch anfangs geschützt. Dass Sie so viel Mut hatten, tatsächlich immer zu den Brennpunkten zu gehen, die Leute zu befragen?

Yazbek: Also ich möchte eigentlich sagen, weil ich Alawitin bin, hätte ich ja eigentlich zum Regime stehen müssen, aber ich habe das Gegenteil gemacht. Ich möchte aber auch gar nicht als Alwitin bezeichnet werden. Ich fühle mich als syrische Bürgerin. Es liegt nicht im Interesse des Regimes, öffentlich zu machen, dass ich als Alawitin gegen sie bin. Also sie wollten mich auch deswegen nicht verhaften, um nicht sozusagen ihre eigene Geschichte Lügen zu strafen, dass es Alawiten gibt, die auf der Seite der Opposition stehen.

Also man hat mich verfolgt, man hat mich bedroht, man hat meinen Ruf geschändet, aber man wollte mich deswegen nicht verhaften. Ich habe schon, nach dem, was ich gesehen habe, mit welcher Brutalität das Regime die Menschen behandelt und die Oppositionellen behandelt hat, muss ich schon zugeben und eingestehen, dass man mit mir etwas barmherziger umgegangen ist. Man hat mich nicht so brutal behandelt, das muss ich sagen.

Aber deswegen kann ich nicht schweigen. Ich kann nicht hingehen und sagen, das Regime hat recht und die Aktivisten haben unrecht, also das ist einfach - ich muss die Wahrheit sagen, trotz alledem. Weil ich, was Menschlichkeit, Gerechtigkeit angeht, denke ich nicht in konfessionellen Strukturen, sondern als Mensch.

Heise: Wie stark sind denn diese konfessionellen Strukturen tatsächlich noch? Man wundert sich ja. Später sind Sie ja, gerade weil Sie Alawitin sind, ja von Ihren eigenen, oder von der Glaubensgruppe, als Verräterin verleumdet worden oder angesehen worden und da dann besonders gefährdet, auch dadurch, von der Seite noch. Tatsächlich müssen ja diese Clans, Familiengemeinschaften, Glaubensgemeinschaften, diese Bande sehr, sehr stark sein. Und das Gefangensein eigentlich auch darin.

Yazbek: Die Religion oder die Konfession spielt auf jeden Fall eine große Rolle, also immer größere Rolle, das muss man schon auch sagen. Hafiz el-Assad hat versucht, die Gesellschaft zu spalten, nach Konfessionen zu spalten, und das ist auch der Grund, warum die Mehrheit der Alawiten Angst hat heute. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Alawiten aufseiten der Revolution gibt.

Heise: Anfangs in Ihrem Tagebuch, da liest man noch Zeilen, Zeilen einer Dichterin eigentlich, da schreiben Sie manchmal Ihre Eindrücke in sehr poetischer Sprache nieder. Ich zitiere mal eben: "Wie eine Frau nach der Liebe, gewinnt Damaskus in der Nacht an Schönheit. Heute kleidet sie sich nicht in dunkelblau, sondern in ein zart fliederfarbenes Gewand, damit wir die Augen der Mörder erkennen können." Was macht eigentlich diese erlebte Grausamkeit mit Ihnen als Autorin, Schriftstellerin, als Dichterin?

Yazbek: Ich glaube, ich habe mich sehr verändert in meinem Leben vor der Revolution und nach der Revolution ist völlig anders geworden. Ich bin eine andere Person geworden. Vor der Revolution habe ich mich als starke Frau gesehen. Ich habe gedacht, ich bin stark, weil ich mich außerhalb der Traditionen begeben habe. Nach der Revolution, nach dieser Brutalität, die ich gesehen habe, bin ich sensibler wieder geworden, zerbrechlicher, und es gibt eine ganz starke Trauer in mir, die wahrscheinlich auch nicht so einfach verschwindet. Und manchmal habe ich das Gefühl, ich bin einfach nur ein schwarzes Loch. Ein schwarzes Loch, in dem sich auch Trauer befindet. Aber ich bin sicher, dass ich dieses schwarze Loch irgendwann in Literatur umsetzen werde.

Heise: Sie leben ja nicht mehr in Syrien, Sie sind im Exil. Wie nehmen Sie eigentlich das internationale Handeln wahr?

Yazbek: Also ich habe das Gefühl, dass die Syrer alleine sterben. Die internationale Gemeinschaft macht zu wenig, um das syrische Volk zu retten, um ihm beizustehen. Und ich habe auch das Gefühl, dass dieser Mangel an Unterstützung dem Regime noch mehr Möglichkeiten gibt, noch weiter zu töten.

Heise: Das heißt, was sehen Sie für eine Zukunft auf Syrien zukommen?

Yazbek: Ich habe Angst. Ich habe Angst, weil das Regime immer brutaler wird, immer bestialischer reagiert und die Welt zuschaut. Auf der anderen Seite habe ich Vertrauen in das syrische Volk. Aber je länger die Situation so anhält, desto mehr befürchte ich, dass sich die Situation in Syrien in etwas entwickelt, was unbekannt ist, was niemand möchte.

Heise: Befürchtungen und Ängste der syrischen Autorin Samar Yazbek. Inzwischen lebt sie im Exil. Dankeschön, Frau Yazbek, für dieses Gespräch und alles Gute Ihnen!

Yazbek: Dankeschön.

Heise: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet, und Larissa Bender dolmetschte es. Das Buch, "Schrei nach Freiheit", das ist im Verlag Nagel und Kimche herausgekommen.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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