"Ich fühle Luft von anderem Planeten"

Gast: Frank Schneider / Moderator: Michael Dasche · 19.02.2012
Um den Rang und die Besonderheit von Schönbergs 2. Streichquartett von 1907/08 auf den Punkt zu bringen, werden meist zwei Dinge hervorgehoben: Zum einen, dass es ein Werk an der Schwelle zur Atonalität ist, zum anderen, dass sich der üblichen Quartettbesetzung im dritten und vierten Satz eine Gesangsstimme, ein Sopranpart hinzugesellt.
Wie schon in der 1. Kammersymphonie wendet sich Schönberg im Streichquartett op. 10 von den illustrativ-programmmusikalischen Komponenten seiner älteren Werke ab. Stattdessen thematisiert er eine gedankliche, schöpferische Programmatik des Vorstoßes in das unerhörte Reich einer neuen Tonalität: der vagierenden, unhierarchisch strukturierten Harmonik, der aufgehobenen Spannungen zwischen Konsonanz und Dissonanz.

Der Mut zu diesem Schritt, zu dieser rigorosen Negation von Konventionen, wurde offenbar befördert durch eine Ehekrise - mit der Konsequenz, sich entgegen den Malaisen des Lebens hinfort rückhaltlos seiner Kunst zu widmen. Dieser Prozess der Selbstfindung fand nicht zuletzt in der Lyrik Stefan Gorges Rückhalt, die Schönberg im zeitlichen Umfeld seines zweiten Quartetts näher kennenlernte.

Die Vertonungen der George-Gedichte "Litanei" und "Entrückung" als zweiter und dritter Satz sowie des George-Zyklus "Das Buch der hängenden Gärten" überschneiden sich zeitlich und stehen im Zeichen einer neue Ästhetik der esoterischen Abgrenzung von der Welt zugunsten kreativer Freiheit.

Nach der Bedeutung Richard Dehmels ist Georges Rolle für Arnold Schönberg fundamental - aber nur für relativ kurze Zeit -, wie auch die Kombination von Singstimme plus Streichquartett musikhistorisch eine neue Spezialgattung zwischen Klavier- und Orchesterlied kreiert, die ohne Beispiel ist, aber der weiteren Entwicklung der Neuen Musik nachhaltige Impulse gibt.