"Ich denke, sie ist keineswegs verbittert"

Ilse Junkermann im Gespräch mit Ralf Bei der Kellen · 24.07.2010
Bischöfin Ilse Junkermann äußert sich über den Rücktritt von Maria Jepsen: "Wenn man als Person auf einen Vorgang reduziert wird, das ist verletzend", sagte Junkermann.
Ralf Bei der Kellen: Bischöfin Junkermann, Sie haben nach dem Rücktritt gesagt: Ich respektiere den Rücktritt von Maria Jepsen und kann ihn nachvollziehen. Was denken Sie denn, was war der Grund für den Rücktritt von Maria Jepsen?

Ilse Junkermann: Also was der Grund war, weiß ich nicht, weil ich nicht mir ihr gesprochen habe. Aber das, was sie gesagt hat, dass sie ihre Glaubwürdigkeit angefragt sieht, das kann ich nachvollziehen. Ich hab den Artikel im "Spiegel" gelesen und gedacht, eine Frau, die sich jetzt über mehr als zwölf Jahre für Benachteiligte, für Opfer der Gesellschaft jeglicher Art so eingesetzt hat, nun so vorzuführen und nur diesen einen auch etwas ja nicht einfachen Vorgang, dass sie was vergessen hat oder falsch verstanden hat, in diesem Maße zu gewichten – wenn es das war, dass sie das so verletzt hat –, das kann ich verstehen. Wenn man als Person auf einen Vorgang reduziert wird, das ist verletzend. Und wenn daran die ganze Glaubwürdigkeit hängt und nicht an einem ganz verlässlichen und sehr mutigen Engagement, das sie die ganzen Jahre aufgebracht hat.

Bei der Kellen: Wie beurteilen Sie als Bischöfin und auch als Christin denn die Rolle der Medien im, ja, jetzt mittlerweile sogenannten Fall Jepsen? Hat da vielleicht auch eine Vorverurteilung stattgefunden?

Junkermann: Also die hat nicht stattgefunden nach meiner Meinung, aber sie hat dem Vorschub geleistet. Dass das natürlich dargestellt wird aus Sicht der Betroffenen, aus Sicht der Opfer, und das ist gute Übung in einem Rechtsstaat, das sehr, sehr zu nehmen, aber alte juristische Regel, man höre auch den anderen Teil. Und es würde dann heißen, für die Redlichkeit der Medien den anderen Teil ebenso ausführlich darzustellen und zu würdigen, also mit entsprechendem Verständnis.

Das ist aber natürlich schwierig, weil die Medien auch davon leben, dass alles sozusagen einen Neuigkeitswert haben muss, etwas ungewöhnlich, ja, fast Skandalöses, damit die Menschen es überhaupt wahrnehmen. Also wer die Medien beschuldigt, muss auch immer auf sich selbst schauen, sagen, worauf reagiere ich. Aber es ist etwas, was ich gedacht habe in der ganzen Diskussion sexueller Missbrauch, dass wir als Gesellschaft in der Gefahr stehen, das bestimmten Personengruppen zuzuordnen und damit davon abzulenken, dass es ein allgemein gesellschaftliches Phänomen ist und allgemein gesellschaftliches Phänomen war, und das ist mir bisher zu wenig reflektiert in den Medien.

Bei der Kellen: Auf dem Internetportal evangelisch.de war über den Rücktritt von Bischöfin Jepsen zu lesen, die 65-Jährige wirkte äußerlich gefasst, aber verbittert. War das auch Ihr Eindruck, war sie verbittert?

Junkermann: Nein, überhaupt nicht. Ich kenne Maria Jepsen als eine fröhliche Frau, die allerdings, wenn sie ernst ist, verbittert aussehen kann. Aber ich denke, sie ist keineswegs verbittert. Sie hat genug Einblick ins Leben, um zu wissen, wie die Wechselfälle sein können. Gerade als Bischöfin bekommt man ja sehr viel auch an Abgründigkeit bei anderen Menschen und bei sich selbst mit. Ich denke keinesfalls, dass sie verbittert ist. Allerdings dass sie ernst ist und das so ernst genommen hat und man ihr das ansehen kann, ist mehr als verständlich und noch mal ein Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit.

Bei der Kellen: In einem Internetforum war folgender anonymer Kommentar zu lesen: "Jepsen hat die Pflicht aufzuklären und nicht abzutauchen. Die Opfer können auch nicht einfach zurücktreten." Bischöfin Junkermann, gehört es nicht auch zu den christlichen Tugenden, in solchen Situationen eben nicht das Handtuch zu werfen, sondern stattdessen für Aufklärung zu sorgen? Also dafür, dass allen Beteiligten Recht geschieht?

Junkermann: Ja, ganz bestimmt, wobei es nie sein kann, dass eine einzelne Person das aufgebürdet bekommt, sondern das ist ja nun gerade in diesem Fall in Nordelbien auch ein Versäumnis der gesamten Institutionen. Und das ist das Ungerechte an diesem Fall und dieser Darstellung, dass es der einzelnen Person, ihr als Einziger angelastet und aufgebürdet wird, und ich denke, sie hat das sehr gut überlegt im Blick auf ihren Rücktritt, und zwar konnte sie ganz sicher sein, dass die Institution und alle Verantwortlichen in der Nordelbischen Kirche diese Vorgänge aufklären werden. Das hatte ja auch schon begonnen.

Bei der Kellen: Was denken Sie denn, ist das Lebenswerk von Frau Jepsen durch diese Vorwürfe jetzt unwiderruflich beschädigt?

Junkermann: Auf keinen Fall. Ich bin ja gerade bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, sie ist die allererste lutherische Bischöfin weltweit. Sie hat einen ganz guten Ruf, ein hohes Renommee, hier auf der Versammlung gibt es nur Kopfschütteln, niemand kann es nachvollziehen, auch dass sozusagen eine Bischöfin mit so schweren Vorwürfen konfrontiert wird, ohne auch jetzt von Betroffenen noch mal das Gespräch zu suchen oder sich genau kundig zu machen, woran es liegt.

Ich werde immer wieder gefragt, gibt es nicht andere Gründe, weil dieser Vorgang so für die Menschen aus aller Welt überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Und auch was sie in Hamburg selbst, wie sie in ihrem Sprengel gewirkt hat und in der gesamten Kirche, das wird bleiben, vor allem, dass sie sehr viele Frauen ermutigt hat, Leitung zu übernehmen auf jeder Ebene in der Kirche.

Bei der Kellen: Spielt da vielleicht auch der Rücktritt von Margot Käßmann eine Rolle, also war dessen ich sage mal Signalwirkung vielleicht so stark, dass Bischöfin Jepsen da vielleicht auch mehr oder minder bewusst in Zugzwang geraten ist?

Junkermann: Das ist eine Vermutung, die ich nicht teile. Allerdings sehe ich eine Vergleichbarkeit, dass beide ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt sehen, und das ist für mich die Frage, inwiefern Menschen mit einem hohen Amt auch noch damit belastet werden, dass sie keine Fehler machen dürfen. Und dieser hohe Maßstab, das verbindet beide, wenn ich die beiden Rücktrittserklärungen richtig verstanden habe, und da würde ich rückfragen: Liebe Schwestern, bürdet ihr euch da nicht etwas Unmenschliches auf und entspricht es nicht mehr unserer evangelischen Botschaft zu sagen, es ist auch wichtig zu zeigen, wie man mit Fehlern und Verfehlungen und Versagen leben kann.

Allerdings kann niemand in einen Menschen hineinschauen, und deswegen möchte ich das gerade jetzt noch mal unterstreichen, dass ich beider Rücktritte (…) respektiere, weil ich weiß, dass keine der beiden es sich leicht gemacht hat. Und jeder und jede muss das eigene Leben leben und Verantwortung übernehmen und sagen, hier ist der Punkt erreicht, wo ich die Kraft nicht mehr sehe oder nicht mehr meine innere Spannkraft, Zuversicht, dem zu begegnen, was an Übertragungen, Projektionen, Fantasien und Erwartungen auf mir lastet.

Bei der Kellen: Mit Jepsen als welterster evangelischer Bischöfin und Käßmann als Ratsvorsitzende setzte die EKD ja auch Zeichen. Denken Sie, dass die Synode 2011, die ja über die Nachfolge von Frau Jepsen entscheiden wird, diese Tradition fortsetzen wird und sich tendenziell eher nach einer weiblichen Neubesetzung umsehen wird?

Junkermann: Ja, davon bin ich überzeugt. Ich habe das jetzt auch bei meinen Gesprächen gehört, und es ist auch eine große Tradition, gerade in der Nordelbischen Kirche, darauf zu schauen, dass Frauen und Männer auf jeder Ebene repräsentiert sind und Verantwortung übernehmen.

Ich hoffe sehr, dass jede Synode, in der eine Bischofs- und Bischöfinwahl ansteht, auch auf Frauen zugehen wird, sowohl in Hannover wie in Nordelbien wie nächstes Jahr auch in der bayrischen Landeskirche, sodass es meine große Zuversicht ist, dass wir in einem bis zwei Jahren wieder zu viert sein können. Und dann würden wir sozusagen ein Viertel Frauen sein innerhalb der EKD.

Bei der Kellen: Vielen Dank, Bischöfin Junkermann, für das Gespräch!