"Ich breite mich amöbenhaft aus"

Catalin Dorian Florescu im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 18.08.2009
Der Schriftsteller Catalin Dorian Florescu schreibt am liebsten im Kaffeehaus. Darum fährt er jeden Tag 50 Kilometer von Cismar nach Lübeck, wo er den passenden Ort für sich gefunden hat.
Stephan Karkowsky: Und alles über seine neue Klosterschreiberstelle in Kloster Cismar soll er uns jetzt selbst erzählen. Herr Florescu, guten Tag!

Catalin Dorian Florescu: Ja, guten Tag, und danke für die Einladung.

Karkowsky: Gerne! Lassen Sie uns darüber reden, wie Sie Stadtschreiber geworden sind. Vom Prinzip her ist eine Stelle als Stadtschreiber Kulturförderung, ein Stipendium für Schriftsteller. Wie sind Sie an Ihres gekommen? Ihr erstes ist es ja nicht, wie wir hören durften.

Florescu: Es gibt ein Allgemeinprinzip, wie man an diese Stipendien rankommt. Man bewirbt sich mit einer Textprobe, mit einer Absichtserklärung, mit einem Exposé, hat ein Projekt vor Augen und braucht Zeit, Raum, einen Ort, möglichst außerhalb und weit weg vom gewohnten Ort zu Hause und natürlich auch etwas Geld, um kontinuierlich dran zu arbeiten, in Ruhe. Das tut man meistens opportunistisch am Anfang, es gibt ja nicht die heftige Liebe schon am Anfang, wenn man sehr wenig weiß über diese Orte, die entsteht nach und nach. Meistens ist es nur eine kleine Leidenschaft, oft eine heftige Liebe, so wie ich es bereits für Dresden entwickelte, wo ich Stadtschreiber war. Hier in Cismar ist es, wahrscheinlich wird es eine Mischform bleiben.

Karkowsky: Darüber reden wir gleich noch, Ihre Erfahrungen in Cismar. Zunächst noch mal: Darf man als Stadtschreiber wählerisch sein, also schauen Sie sich die Arbeitsbedingungen an, bevor Sie zusagen, oder vielleicht schon, bevor Sie sich bewerben?

Florescu: Ja, das tue ich, ich schaue mir die Orte auch an. Es braucht vor allem bei mir – ich bin da sehr unerschrocken, das heißt, ich nehme einiges an und auf mich, wobei mit den Jahren, ich bin ja inzwischen auch schon 42, das heißt, der vagabundierende Schriftsteller ist in die Jahre gekommen, aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch tun werde. Aber ich schaue mir das an und vor allem für mich ist wichtig die Nähe zu einer Stadt, eine Stadt, wo ich schreiben könnte. Denn ich brauche nicht unbedingt Idylle und Abgeschiedenheit, um zu schreiben, sondern vielleicht um zu wohnen, um hier mich zu entspannen am Vormittag oder so, aber dann brauche ich Urbanität. Ich brauche Lärm, ein bisschen Chaos, ich brauche ein Kaffeehaus, wo ich sitzen kann und schreiben kann, das hat für mich Priorität. Das ging in Dresden sehr gut auf und an den anderen Orten auch, insofern als ich über ein Auto verfüge und kreuz und quer durchs Land reise. Ich sehe also Cismar oder Schöppingen, wo ich auch war, im Münsterland, oder Worpswede sah ich so wie das Zentrum eines ganzen Netzwerks, das ich benutzte. Also von Worpswede bin ich jeden Tag nach Bremen aufgebrochen und habe dort in Bremen geschrieben, und dann bin ich wieder zurück nach Hause. Natürlich lernte ich auch so eine ganze Gegend kennen.

Karkowsky: Ich hatte das schon angenommen, sonst würden Sie ja wahrscheinlich nicht in Zürich wohnen, wenn Sie die Einsamkeit so lieben würden. Nun also der Umzug ins Kloster Cismar, das ist ja nun recht abgelegen da an der Ostsee, Grömitz ist nebenan, das kennt noch der ein oder andere, und die einzigen Mönche, die da noch sitzen, sind Schriftsteller wie Sie. Wie gehen Sie denn damit um?

Florescu: Ja, die ersten paar Tage sind immer schwierig und spannend zugleich, denn da muss ich mir meine Nischen suchen, und das war in Cismar nicht einfach. Schon am ersten Tag schwärmte ich aus und suchte an der Ostseeküste, die ich nicht wirklich gut kannte, einen solchen Ort – ein Kaffeehaus, wo ich sitzen kann, wo ich mich täglich drauf freue, wo ich schon in der Fantasie mich täglich hineinprojiziere, und das fand ich natürlich nicht. Also die Ostseeküste – wer hier war, weiß es – ist überfüllt von Menschen, die alles andere suchen als jetzt Konzentration und Schreiben. Inmitten dieser Leiber, dieser schwitzenden Leiber, da war ich nicht zu Hause. Und dann habe ich meinen Aktionsradius mit meinem Auto jeden Tag erweitert und bin dann – und da bin ich dabei geblieben – bin nach Lübeck gekommen. Das heißt, ich reise jeden Tag 50 Kilometer hin und 50 zurück, um in Lübeck, in dieser schönen, kleinen Altstadt Lübecks, mich an denselben Ort, fast schon in einem Büro, hinzusetzen. Mittlerweile kennen mich auch die Leute, die Kaffeehausbetreiber, und lassen mich in Ruhe und fragen, wie weit sind Sie heute gekommen. Also es entsteht so ein Stück Heimat im Kleinen. Ist aber nicht viel anders als in Zürich. Auch Zürich verlasse ich, jeden Morgen verlasse ich meine Wohnung und trinke Kaffee und lese Zeitung und erledige das Nötigste, und dann reise ich oder fahre in das andere Café, wo ich dann schreibe. Also es ist so wie ein Arbeitsweg, den ich brauche, ein Losreißen von der Wohnung, die doch zu eng und zu dunkel wäre, als dass ich hier den ganzen Tag verbringen würde. Und das ist in Cismar auch nicht anders.

Karkowsky: In der "Radiofeuilleton"-Reihe "Deutschland, deine Stadtschreiber" sprechen wir mit Catalin Dorian Florescu, Klosterschreiber in Kloster Cismar in Schleswig-Holstein. Herr Florescu, Sie sind also auch als Klosterschreiber wieder ein Ausreißer geworden, wie Sie es vorher schon als Stadtschreiber auch waren. Wie gehen denn da Ihre Stipendiengeber damit um, haben Sie keine Pflichten, dass Sie quasi an dem Ort, an dem Sie ja Stadtschreiber oder in diesem Fall Klosterschreiber sind, schreiben müssen?

Florescu: Nein, das gibt es nicht. Die einzige Pflicht ist ganz am Schluss, so wie ein Resümee, eine Zusammenfassung, einen kurzen Bericht zu liefern darüber. Und das ist hier auch schon mal ein Novum für mich, denn an vielen anderen Stellen bestand nicht einmal diese Pflicht. Das heißt, die einzige Verantwortung trage ich selbst, und ich muss mir selber täglich Strukturen geben, sonst kommt nichts. Niemand wartet darauf, dass jetzt ein neues Buch entsteht, dass ich irgendwas mache. Also man schreibt zwar auch ins Blaue hinein und man ist berufen, wirklich für sich Sorge zu tragen, das heißt, jeden Tag sich von Neuem Aufgaben zu geben und sich sehr diszipliniert in diese Strukturen, die Ruhe, die diese Strukturen auch bringen, zu fügen. Nein, das Kulturamt in Kiel hat das nach und nach erfahren, dass ich nicht hier bin, aber wie gesagt, ich sehe ein Stipendium nicht als eine Gebundenheit an einen Ort. Es wäre auch, finde ich, wirklich allzu monoton, dauernd auf diesem Areal zu verbringen, und es wäre naiv, von Schriftstellern, die eigentlich sehr unabhängige Gesellen sind, dass sie an diesem Ort zu sein haben, in diesem doch sehr engen und dunklen Raum, wo ich wohne, dass sie den ganzen Tag hier verbringen. Übrigens, es gibt hier einen am Tag nicht abreißenden Strom von Touristen, und insofern wäre auch im Kaffeehaus direkt unter mir, wo ich jeden Morgen den Tag beginne, wäre jetzt nicht allzu viel Ruhe zu erwarten, da könnte ich nicht schreiben. Und ich sehe Cismar wie ein Zentrum sozusagen, das Herz der ganzen Geschichte, aber alles andere ist so wie ein System, wie ein Netzwerk. Ich bereise das Land und lerne es wahrscheinlich gründlicher kennen auf diese Art und Weise. Ich bin nach Eutin gekommen, nach Kiel, wiederholte Male nach Lübeck, sowieso die ganze Küste entlang. Also ich breite mich so amöbenhaft aus.

Karkowsky: Wissen Sie denn jetzt schon, ob die Menschen in Schleswig-Holstein rund um Cismar mal eine Rolle spielen werden in Ihren Romanen? Sie leben ja seit 27 Jahren in Zürich, schreiben aber doch meist über Rumänien.

Florescu: Ja, wobei das muss man relativieren. Ich sehe mich wirklich als europäischer Schriftsteller. In keinem meiner Romane kommt nur Rumänien vor. Es kommt die Schweiz vor, Amerika, Italien und so weiter und so fort, im neuen Roman Elsass-Lothringen. Also ich wandere so zwischen Welten, man kann mich nicht fassen, so wie ein Fisch sich nicht fassen lässt. Das ist aus meiner Biografie gegeben, ich bin geografisch nicht wirklich geortet, eng definiert. Als Schriftsteller habe ich keine nationale Zugehörigkeit.

Karkowsky: Und beeinflusst Sie die Kargheit dieser neuen Landschaft da im Norden?

Florescu: Nein, im Gegenteil, denn man muss ja schon ein Projekt haben, wenn man hierher kommt. So spontan kann man nicht, dass man unmittelbar reagiert. Das würde vielleicht für ein Essay oder für eine Kurzgeschichte reichen. Außerdem reicht die Zeit nicht aus, da müsste man uns schon Stipendien von sechs Monaten, wie in Dresden, oder ein Jahr gewähren. Man muss ja irgendwie resonieren, man muss irgendwie mitschwingen mit dem Ort. In drei Monaten kann sehr wenig entstehen. Es können nur so einzelne Fokusse entstehen, ja, oder nur Nukleonen (Anm. d. Red.: Wort schwer verständlich) entstehen der Begegnung.

Karkowsky: Der Schriftsteller Catalin Dorian Florescu ist Klosterschreiber in Kloster Cismar in Schleswig-Holstein. Ihnen vielen Dank!
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