"Ich bin absolut überzeugter Elektrofahrzeugbetreiber"

Ulrich Wagner im Gespräch mit Ulrike Timm · 03.05.2010
Seit 30 Jahren fährt Ulrich Wagner ein Elektroauto. Man könne zwar nicht weite Strecken fahren, aber "90 Prozent des Durchschnittsbedarfs eines Fahrers" seien durch die Reichweite abgedeckt. Er fordert eine staatliche Anfangsförderung der Elektromobilität, um zum Beispiel eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen.
Ulrike Timm: Ob die Kanzlerin in ihrer Limousine kommt oder umweltfreundlich zu Fuß, das wissen wir nicht, mit dem Elektroauto aber kommt sie wohl nicht. Heute wollen 400 Fachleute aus Industrie, Politik und Wissenschaft in Berlin darüber diskutieren, wie es mit der Elektromobilität in Deutschland denn weitergehen soll. Eine Million Elektroautos bis 2020 sind erklärtes Ziel, derzeit sind aber gerade mal 1600 unterwegs. Einer der weltweit anerkanntesten Fachleute für Zukunftstechnologien in Verkehr und Energie ist Professor Ulrich Wagner, Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Schönen guten Tag!

Ulrich Wagner: Schönen guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Wagner, Sie setzen schon selbst privat seit 30 Jahren aufs Elektroauto. Wie weit sind Sie denn bei Ihrer ersten Fahrt gekommen?

Wagner: Das erste Fahrzeug, das wir in den 80er-Jahren getestet haben, hatte eine Reichweite von 50 bis 60 Kilometern. Das klingt jetzt zunächst mal vielleicht nicht besonders viel, aber wenn man sich die täglichen Fahrstrecken anschaut, die der Durchschnittsbürger zurücklegt auf dem Weg in die Arbeit oder in der Freizeit, dann genügt das doch für weit mehr als 80 Prozent aller Einzelfahrten.

Timm: Also der gute alte VW-Slogan "Er läuft und läuft und läuft" gilt fürs Elektroauto noch nicht?

Wagner: Er läuft und läuft und läuft, aber danach muss er auch laden, laden, laden für einige Stunden. Wenn man das im Vorfeld kalkuliert, wenn man seine Fahrplanung organisiert, dann ist das kein wirkliches Problem.

Timm: Ja, wie haben Sie denn in 30 Jahren auf längeren Touren getankt?

Wagner: Längere Touren mit dem Elektrofahrzeug gehen natürlich nicht. Heutige Fahrzeuge erreichen Aktionsradien bis zu 200 Kilometer, damit sind wir weit über 90 Prozent des Durchschnittsbedarfs eines Fahrers in Deutschland oder in Europa. Das Elektrofahrzeug wird meiner Meinung nach nie in die 500 oder gar 1000 Kilometer Reichweite kommen, was auch nicht unbedingt sinnvoll ist, denn das würde ja bedeuten, wir brauchen Riesenpakete an Batterien für diese singulären Ereignisse, wo ich wirklich mal so weit fahren möchte. Und im Regelfall, wenn ich 20, 30, 40 Kilometer fahre, wäre die Batterie absolut überdimensioniert.

Timm: Das heißt, Sie haben als Elektroautofahrer seit 30 Jahren immer vorher im Kopf ausgerechnet, dann muss ich wieder zu Hause sein?

Wagner: Kopfrechnen hilft, auf jeden Fall. Das ist einer der wesentlichen Entwicklungspunkte, bei dem oder über den jetzt auch heute auf dem Kanzlerinnengipfel gesprochen werden muss. Es geht nicht nur drum, jetzt leistungsfähige Fahrzeuge und Batterien zu entwickeln, sondern die Logistik, die Batterieinfrastruktur, ist ein ganz wesentlicher Punkt. Heute müssen Sie noch ein guter Kopfrechner sein und nachdenken, wie weit bin ich schon gefahren, wie lange dauert das Aufladen, wo kann ich aufladen und kann ich mir dann abends noch die Extratour leisten. Das ist natürlich nicht zumutbar hier für den Normalverbraucher, da müssen neue Instrumente, neue Messtechniken und neue computergestützte Systeme in das Fahrzeug integriert werden, die einem diese Arbeit abnehmen.

Timm: Sie fahren nun seit 30 Jahren selber so ein Fahrzeug, wie muss ich mir das vorstellen? Haben Sie zu Hause eine Tanksteckdose, ist da ein Akku dran, wie geht das?

Wagner: Man braucht keine besondere Tanksteckdose, es genügt eine ganz normale Schukosteckdose mit einer Durchschnittsleistung von zwei kW etwa. Das entspricht, wenn man das jetzt mal auf Ladegeschwindigkeit umrechnet, ungefähr 10 bis 15 Stundenkilometer Ladegeschwindigkeit, das heißt pro Ladestunde 10 bis 15 Kilometer Reichweite. Das ist der Standard, und den kann ich an jeder Steckdose weltweit heute erreichen. Wenn ich schneller laden möchte, dann gibt es auch heute schon an besonderen Einrichtungen, an Ladesäulen oder auch in Haushalten entsprechende Hochstromladeeinrichtungen, da kann ich dann das Drei- oder Vierfache an Leistung in das Fahrzeug hineinpumpen.

Timm: Hatten Sie als überzeugter Elektroautofahrer denn jemals den Gedanken, ich steige doch wieder um auf Sprit, es ist einfach komfortabler?

Wagner: Nein, ich bin absolut überzeugter Elektrofahrzeugbetreiber. Und meine wesentlichen Gründe dafür sind einmal die energiepolitische Komponente – wir können mit jeder Art von Primärenergie Auto fahren, was wir heute nicht können., heute ist es zu 100 Prozent nahezu Mineralölprodukte. Mit dem Elektrofahrzeug können wir von Wasserkraft, Braunkohle bis Kernenergie, Windenergie, das ganze Spektrum an Primärenergie nutzen, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wir haben nicht mehr 45 Millionen Einzelauspuffanlagen an den Fahrzeugen, die recht und schlecht eingestellt sind und funktionieren, sondern es sind wenige hundert Großkraftwerke, die kontinuierlich überwacht werden in ihren Emissionsqualitäten. Und damit sind die Voraussetzungen für Umweltschutz deutlich besser.

Und last not least, der Elektroantrieb hat heute schon 80, 85 Prozent Wirkungsgrad, der Ottomotor oder der Dieselmotor im Bereich aufgerundet 20 Prozent, und das ist eine Differenz, die die Verbrennungsmotoren nie einholen können.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit Professor Ulrich Wagner, der auch den schönen Spitznamen Mister Elektroauto trägt. Heute hat die Bundesregierung Fachleute zu einem Elektromobilitätsgipfeltreffen eingeladen. Derzeit sind von diesen speziellen Fahrzeugen erst 1600 unterwegs, und bis 2020 sollen es eine Million sein. Herr Professor Wagner, ist das ein realistisches Ziel oder Planung nach dem Motto, Papier ist geduldig?

Wagner: Ich finde das in Ordnung, dass man die Ziele hoch hängt, und wenn man dieser eine Million Fahrzeuge nicht nur die reinen batteriebetriebenen, sondern auch die Hybridfahrzeuge mit einrechnet, dann ist dieses Ziel durchaus erreichbar. Hybridfahrzeuge heißt also eine Mischung aus Batterieantrieb und konventionellem Antrieb. Damit verbindet man die Vorteile, in den Städten emissionsfrei fahren mit der uneingeschränkten Mobilität, die durch verbrennungsmotorische Fahrzeuge gegeben ist. Und wenn man die beiden Potenziale zusammenwirft, ist eine Million nicht unrealistisch.

Timm: Die Autoindustrie ruft sofort nach Geld von der Bundesregierung. Soll denn die Bundesregierung tatsächlich schon wieder Geld in die Autoindustrie stecken?

Wagner: Mit Bedacht. Ähnliche Probleme haben wir ja auch bei der Förderung der erneuerbaren Energien, siehe Photovoltaik und Wind. Diese Technologien, die sind nur durch Initialförderung des Bundes überhaupt so stark in die Gänge gekommen. Ob das heutige Förderniveau noch angemessen ist und zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen passt, das steht auf einem anderen Blatt.

Die Elektromobilität braucht erst auch mal sozusagen Zündimpulse, und dazu gehört eine gewisse Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur, sprich Lade-, Parkeinrichtungen et cetera, und gewisse Incentives in angemessenem Umfang bei der Anschaffung von Fahrzeugen. Meines Erachtens muss das sein, darf aber nicht in die Größenordnung kommen, wie wir das bei den erneuerbaren Energien haben, sondern das Elektrofahrzeug muss seine Chance kriegen und hat dann eben ein paar Jahre Zeit, seine Vorteile und auch seine Wirtschaftlichkeit nachzuweisen.

Timm: Na gut, aber Geld in die Autoindustrie zu stecken, ist seit der Abwrackprämie natürlich auch da so betrachtet eine Sache, denn schließlich hat ja niemand die Industrie daran gehindert, solche Autos auf den Markt zu bringen und zu entwickeln, sie hat es schlicht nicht getan.

Wagner: Na ja, das ist natürlich schon auch immer die Nachfrage, die die Produktion steuert. Die Hersteller produzieren ja nicht nach eigenen Fantasien, sondern sie orientieren sich an dem Bedarf und an den Bedürfnissen der Kunden. Und wenn bislang Elektrofahrzeuge nicht in waren oder nicht interessant waren, dann war auch klar, dass dieser nicht vorhandene Markt, dass das daraus keine Fahrzeuge hervorgehen.

Timm: Im letzten Jahr sind gerade 162 Elektroautos zugelassen worden, und selbst, wer eines möchte, weiß ja gar nicht, wie er an so ein Ding kommt. Offenbar gibt es zur kühnen Idee schlicht nicht die passenden Autos.

Wagner: Das ist richtig. Es gibt jede Menge an Studien, an Prototypen, an Demonstratoren und so weiter, die auf Messen gezeigt werden. Es gibt ganz wenige Fahrzeughersteller, bei denen man mit langen Vorlaufzeiten also heute auch schon Fahrzeuge bekommen kann. Dieser Zustand, der muss ganz schnell geändert werden. Und das ist einer der Gründe, warum ich glaube, dass so ein Incentive von der Bundesregierung nötig ist, um eine gewisse Planungssicherheit mal für ein, zwei Jahre zu geben.

Timm: Elektroautos machen uns unabhängig vom Öl und der CO2-Ausstoß bleibt gering, sie verbrauchen aber Strom. Hebt sich damit die Umweltwirkung nicht wieder auf, wenn man statt Öl eben mehr Strom verbraucht?

Wagner: Bei der primärenergetischen Bewertung von Elektrofahrzeugen, das heißt unter Einschluss der vorgelagerten Kette bis vor das Kraftwerk, alles, was ins Kraftwerk hineingeht, im Vergleich zu einem konventionellen Otto- oder Dieselfahrzeug, kommt heraus, dass etwa 10 bis 20 Prozent weniger Primärenergie fürs Elektrofahrzeug erforderlich sind. Das mag jetzt nicht furchtbar viel klingen, aber zwei Dinge sind zu beachten: Einmal, das sind ganz unterschiedliche Qualitäten an Primärenergieträgern, wie schon gesagt, das gesamte Spektrum von erneuerbaren Energien bis Kohle einschließlich Kernenergie steckt da drin, also viel breiter aufgestellt als bislang, das ist ein wesentlicher Punkt.

Und zum Zweiten: Wir müssen das dynamisch betrachten. Diese Zahl, 10 bis 20 Prozent weniger, gilt für heute. In den nächsten 10 bis 20 Jahren wird fast die Hälfte unseres Kraftwerksparks in Deutschland, auch europaweit erneuert werden. Das heißt, der Strom wird umweltfreundlicher von Tag zu Tag, mit jedem neuen Kraftwerk. Und die Emissionen für das Elektrofahrzeug werden niedriger von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, ohne dass der Betreiber des Fahrzeugs irgendetwas tun muss. Er muss nur Auto fahren und jeden Tag werden seine Emissionen weniger.

Timm: Sie fahren es seit 30 Jahren, wie haben sich in diesen 30 Jahren Höchstgeschwindigkeit und Fahrkomfort gesteigert?

Wagner: Kein Vergleich mehr. Das erste Fahrzeug war ein VW-Transporter mit einem laut sirrenden Elektromotor und interessanten Geräuschen, nebenbei wie gesagt 50 Kilometer Reichweite so im Schnitt und einer Fahrdynamik, die sich auch noch in Grenzen gehalten hat. Die neuesten Entwicklungen, die derzeit als Prototypen unterwegs sind, in Zehnerstückzahlen etwa, die sind von der Motorisierung her wie ein Sportwagen ausgestattet. Die Frage der Klimatisierung der Fahrzeuge ist wesentlich besser gelöst. Also das sind Fahrzeuge, die man also mit denen vor 20, 30 Jahren nicht mehr vergleichen kann. Der Fahrkomfort ist enorm gestiegen.

Timm: Und was kostet so ein Ding heute?

Wagner: Ja, es gibt noch keinen richtigen Marktpreis für diese Fahrzeuge, weil sie eben noch nicht in Serie hergestellt werden. Man kann eher mal rückwärts rechnen, welche Zielpreise wären denn erforderlich, damit sich ein gewisser Markt bilden würde. Und da müsste für so ein Mittelklassefahrzeug sicherlich in der Größenordnung 30.000 plus gerechnet werden, vor allem wenn man die Ersatzbeschaffungskosten für die Batterien hier noch auch mit hinzuzählt.

Timm: Stimmt es, dass es heute noch so bei rund 100.000 liegt, alles in allem?

Wagner: Für handgeschnitzte Prototypen auf jeden Fall, und da gibt es ja sehr prominente Sportelektrofahrzeuge beispielsweise, da liegt man ganz sicher in dieser Preisklasse, aber das ist kein Einstieg in den Massenmarkt und auch nicht so gedacht von den Herstellern.

Timm: Sprich, das Ding muss in Serie gehen, meint Mister Elektroauto, Professor Ulrich Wagner, der sich seit 30 Jahren für die Elektromobilität auf unseren Straßen stark macht. Herzlichen Dank fürs Gespräch!

Wagner: Ich danke Ihnen!
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