Ich-AGs, Mini-Jobs und Hartz IV

Von Monika Köpcke · 16.08.2012
Heute sprechen einige Wirtschaftswissenschaftler den Hartz-Reformen einen Anteil am sogenannten deutschen Jobwunder zu. Kritik kommt von Gewerkschaften und Sozialverbänden. Vor allem die vierte Stufe, die Zusammenführung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, empfinden viele als ungerecht.
"Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland."

"Ich arbeite wirklich, wo ich kann. Ich habe Ein-Euro-Jobs gemacht, ich habe alle Jobs gemacht, die ich kriegen konnte. Irgendwann möchte man aufgeben. Man möchte unters Bett und sagen, ich bin nie da gewesen."

"Nur Anträge, nur Fragen, Erklärungen gab's keine. Man wurde einfach nach Hause geschickt und ganz eigenartig behandelt, wie entwürdigt behandelt."

"Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland. Wir haben in der Kommission einstimmig alle Eckpunkte beschlossen und kommen hiermit zu einem Konzept, wie wir die Arbeitslosigkeit um zwei Millionen reduzieren können."

Es ist der 16. August 2002. Peter Hartz ist ganz oben. Er gilt als Deutschlands erfolgreichster Personalmanager und ist an diesem Tag der Mann, der das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen verspricht. Ein halbes Jahr zuvor hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn gebeten, den Vorsitz der Kommission 'Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt' zu übernehmen. Nun liegen die Ergebnisse vor. Während einer Feierstunde im Französischen Dom in Berlin überreicht Peter Hartz vor 500 geladenen Gästen den 344 Seiten dicken Abschlussbericht.

"Herr Bundeskanzler, wir haben hier die Zukunft für zwei Millionen Arbeitslose konzipiert. Ich wünsche Ihnen und uns viel Erfolg, dies umzusetzen. Vielen Dank."

Eigentlich sollte die Kommission nur Vorschläge für die Umwandlung der Bundesanstalt für Arbeit in eine moderne Dienstleistungsagentur machen, nachdem diese wegen gefälschter Vermittlungsbilanzen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Doch mit der Zeit weitete sich ihr Aufgabenbereich mehr und mehr aus. Ganz im Sinne der rot-grünen Bundesregierung, die sich mit den Vorschlägen der Kommission als Modernisierer des schon lange als verkrustet geltenden Arbeitsmarktes profilieren wollte.

"Nicht zerreden, nicht diskutieren, was vielleicht nicht gehen könnte, wie das bei uns leider gelegentlich üblich ist, sondern diskutieren und Entscheidungen vorzubereiten, wie man es gehend machen kann."

So Bundeskanzler Schröder im Französischen Dom. 15 Mitglieder gehören der Hartz-Kommission an: Manager, Unternehmensberater, Kommunalpolitiker und Wissenschaftler. Ihre mediale Lichtgestalt aber ist Peter Hartz - offen, umgänglich, verbindlich. 1993 war er Personalchef bei der Volkswagen-AG geworden. Dort führte er die Viertagewoche und das Tarifmodell 5000 x 5000 ein und konnte damit der Arbeitslosigkeit ein Schnippchen schlagen. Nun will er sein Wolfsburger Erfolgsmodell auf eine ganze Gesellschaft übertragen. Der Bundeskanzler ist begeistert.

"Ich verspreche mir von der Arbeit der Kommission auch einen neuen Geist in der gesellschaftlichen Debatte dieses Problems."

Der Hartz-Bericht klingt modern und zukunftsorientiert: Ich-AG und Mini-Job sollen die Schwarzarbeit eindämmen, Personal-Service-Agenturen die Leiharbeit fördern. Die Arbeitsämter werden zu Arbeitsagenturen, die Arbeitsvermittler zu Fallmanagern. Sie sollen in lokalen Jobcentern die Zuständigkeiten bündeln, die sich bislang auf Arbeits- und Sozialamt verteilen. Die Arbeitsvermittlung soll schneller und effizienter, der Arbeitslose mobiler und flexibler werden.

"Niemandem aber wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt - und wir werden die Zumutbarkeitsregeln verändern - der, meine Damen und Herren, wird mit Sanktionen rechnen müssen."

Das Versprechen, die Zahl der Arbeitslosen binnen drei Jahren um zwei Millionen zu senken, konnte die rot-grüne Bundesregierung nicht einlösen. Heute sprechen einige Wirtschaftswissenschaftler den Hartz-Reformen einen Anteil am sogenannten deutschen Jobwunder zu. Kritik kommt hingegen von Gewerkschaften und Sozialverbänden.

"Nieder mit Hartz IV, das Volk sind wir. Nieder mit Hartz IV, das Volk ..."

Vor allem die vierte Stufe der Hartz-Reformen, die Zusammenführung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, empfinden viele als ungerecht. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit machen die pauschalisierten Regelsätze keinen Unterschied mehr zwischen einem Ingenieur und jemandem, der noch nie gearbeitet hat. Der Weg nach unten ist damit steiler und kürzer geworden.

"Ich bin der Meinung, das kann jeden treffen, in Hartz IV zu fallen."

"Ich kann mir das sehr schwer vorstellen. Grundsätzlich gibt es jede Menge Jobs, das Wort Flexibilität steht dabei ganz im Vordergrund."

"Das kann jedem passieren; Krankheit und das war's und schon erwischt's einen."

"Wollen wir mal hoffen, dass es uns nicht trifft."

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