Ibsens "Volksfeind" ist unerwünscht

Warum musste die Schaubühne ihre China-Tournee abbrechen?

Der Schauspieler Christoph Gawenda auf der Bühne - als Dr. Stockmann in "Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen, inszeniert von Thomas Ostermeier an der Schaubühne Berlin.
In China nicht mehr zu sehen: die Schaubühnen-Inszenierung von Henrik Ibsens "Ein Volksfeind". © Arno Declair
Von Steffen Wurzel · 12.09.2018
Das Ensemble der Berliner Schaubühne darf ihre Produktion "Ein Volksfeind" in China nicht mehr aufführen – offiziell wegen technischer Probleme. Doch wahrscheinlicher ist, dass die staatliche Zensur eingegriffen hat.
Wenn man heute beim Jiangsu Grand Theatre in Nanjing anruft und nach Eintrittskarten für die Volksfeind-Inszenierung der Schaubühne am Donnerstag fragt, bekommt man diesen Hinweis: "Die Vorstellung wurde gestrichen. Das haben die gestern Abend und heute früh entschieden." Als Grund für die Absage nennt der Herr von der Ticket-Hotline: technische Probleme mit der Bühne.
"Naja. Ich gehe mal ganz fest davon aus, dass das ein vorgeschobener Grund ist", sagt Tobias Veit, einer der Direktoren der Berliner Schaubühne. "Das ist natürlich der Versuch, mit einer gewissen Gesichtswahrung da rauszukommen. Das abzusagen, ist dann ja doch ein gewisser Eklat. Schließlich haben sie uns ja auch eingeladen. Und zwar genau mit der Inszenierung, die auch überall sonst auf der Welt gezeigt wird."
"Der wahrscheinlichere Grund ist, dass die Lokal- oder Provinzregierung irgendeinen Skandal fürchtete", erklärt Zhang Hong, Professor am Institut für Kulturkritik an der Tongji-Universität in Shanghai. "Die haben Paranoia, deswegen wählen sie eine Ausrede, die ihnen sicher, uns aber dämlich erscheint. Da wird dann alles andere ignoriert. Es geht dann nur um Stabilität."

Chinesische Zuschauer äußerten offen ihre Kritik

In dem gezeigten Stück, in Ibsens "Volksfeind", geht es um die Manipulierbarkeit der Masse und um die Frage, was eigentlich Wahrheit ist.
Bei der Schaubühne-Inszenierung von Thomas Ostermeier treten am Ende der Vorführung die Darsteller in einen offenen Dialog mit dem Publikum. So geschehen auch Ende vergangener Woche bei der ersten Vorstellung in Peking.
Die Zuschauer äußerten sich ganz offen und ehrlich zu den Zuständen in China: Sie beklagten sich zum Beispiel über die allgegenwärtige Zensur, die Verlogenheit der Staatspresse und über Umweltskandale. Teilnehmer berichten von einer emotionalen Stimmung im Theatersaal.

Empörung über diese Art der "Kunst-Zensur"

Der chinesischen Zensurbehörde ging das offensichtlich zu weit, die zweite und dritte Aufführung in Peking konnte die Schaubühne deswegen nur in einer entschärften Version spielen.
Die beiden letzten geplanten Auftritte in Nanjing fallen nun aus. Über diese Art der Kunst-Zensur empörten sich bereits einige Nutzer im Internet:
"Diese Absage passiert doch nur, weil das Publikum den Sinn des Stückes verstanden hat und weil es einen Dialog gibt zwischen Zuschauern und Schauspielern!"
"Die Meinung der Menschen aufzuhalten, gleicht dem Versuch, den Strom eines Flusses aufzuhalten."
"Die Idiotie eines solchen Kontrollwahns ist nur schwer zu toppen!"

Politisches Klima hat sich in China verschärft

Tobias Veit von der Berliner Schaubühne bedauert die Absage, sieht aber mit Blick auf die erste "Volksfeind"-Aufführung vergangene Woche in Peking trotzdem etwas Positives:
"Wirklich wichtig ist mir der Punkt, bei allem Frust, den wir haben, dass diese erste Aufführung in Peking vor allem für das chinesische Publikum von großer Bedeutung und ein wirkliches Ereignis war. Und das nehmen wir jetzt irgendwie mit aus der ganzen Sache."
Welche Folgen der Eklat für die künftige deutsch-chinesische Kulturzusammenarbeit hat, ist offen. Der de-facto-Rauswurf der Schaubühne zeigt, wie sehr sich das politisch-gesellschaftliche Klima in China in den vergangenen Jahren verschärft hat. Debatten, offene Diskussionen und kritische Stimmen haben quasi keine Chance mehr.
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