Ibram X. Kendi: „How To Be an Antiracist“

Anleitung zum Antirassismus

09:32 Minuten
Buchcover zu "How to Be an Antiracist" von Ibram X. Kendi
In den USA gehört Kendi spätestens nach diesem Sommer zu den meistgelesenen und einflussreichsten, aber auch umstrittensten Denkern des Antirassismus. © Random House/Deutschlanradio
Von Malcolm Ohanwe · 14.09.2020
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Verhaltensweisen, die bloß „nicht rassistisch“ sind, gibt es nicht. Alles was wir tun ist entweder rassistisch oder aber antirassistisch, so lautet die pointierte These des US-amerikanischen Rassismus-Forschers Ibram X. Kendi.
Es gebe Weiße, die glauben, Schwarze Menschen und andere Menschen of Color, wie asiatische oder indigene amerikanische Menschen, seien genetisch minderwertig. Und dann gebe es Weiße, die glauben, es habe nichts mit Genetik zu tun, sondern mit sozialen und historischen Umständen, und dass man Schwarze sehr wohl "zivilisieren" könne.
Die zweite Gruppe wähne sich moralisch überlegen und halte sich selbst nicht für rassistisch, sondern für progressiv. Für den Rassismus-Forscher Ibram X. Kendi allerdings sind sowohl der explizite Rassismus, der mit Biologie argumentiert und Segregierung fordert, als auch der sozial freundliche Ansatz, dem es um die Aufhebung von Diskriminierung und sozialer Benachteiligung geht, zutiefst rassistische Ansätze.
Denn auch letzterer fordert letztlich das, was Kendi Assimilation nennt. Der einzige gangbare Weg ist für ihn expliziter Antirassismus.

Wegweiser hinaus aus dem Rassismus

Kendi argumentiert, dass wann immer das Ergebnis Ungleichheit zwischen rassifizierten Gruppen ist, die Ursache Rassismus sein muss. Er geht weit in die US-amerikanische Geschichte zurück, skizziert anschaulich die Geschichte des Rassismus von der Sklavenzeit über die Bürgerrechtsbewegung bis heute.
Sehr schlüssig entlarvt er die Widersprüche und Absurditäten von biologistischem, kulturellem, ethnisiertem und hautfarbenbasiertem Rassismus.
Ein für ihn zentraler Punkt: dass viele Schwarze US-Amerikaner noch immer versuchen, sich zu "assimilieren", also ihren Kindern eintrichtern, dass sie aufsteigen und dem Rassismus entkommen können, wenn sie sich nur richtig verhalten und lernen sich wie Weiße zu geben. Für Kendi ein Trugschluss.
Seine Lösung ist eine andere. Um Erfolgsunterschiede zwischen den Races zu überwinden, brauche es eine umgekehrte Diskriminierung. Will heißen: Schwarze bei gleicher Qualifizierung bevorzugt einzustellen ist zwar diskriminierend gegenüber Weißen und Nicht-Schwarzen, aber es ist antirassistisch und für Kendi somit legitim.
Er plädiert am Schluss des Buches sogar dafür, eine institutionelle, staatliche Form der Kontrolle einzurichten, die Einzelpersonen auf rassistische Verhaltensweisen kontrolliert, und auch Durchsetzungsgewalt hat, um sicher zu stellen, dass rassifizierte Gruppen immer gleichen Zugang zu allen Institutionen haben.

Auch Schwarze können rassistisch sein

Kendi schlägt nicht nur solche weitreichenden und auch innerhalb der Antirassismus-Debatte umstrittenen Maßnahmen vor, er hat auch sonst keine Scheu davor, mit etablierten Glaubenssätzen des Antirassismus zu brechen.
So sei er, wie er schreibt, mittlerweile zu der Ansicht gekommen, dass nicht nur weiße Menschen rassistisch sein könnten, weil sie Macht haben. Denn zu behaupten, Schwarze könnten nicht rassistisch sein, weil sie keine Macht hätten, sei im Grunde genommen selbst eine rassistische Aussage, da sie die ohnehin überproportionale kollektive Macht der Weißen ausdehne, und diejenige von People of Color und Schwarzen unsichtbar mache.
Schwarze Richter*innen, Milliardär*innen, Politiker*innen hätten sehr wohl Macht und könnten darum natürlich auch rassistisch handeln – vorrangig gegenüber anderen Nicht-Weißen. Aber auch ein Schwarzer, der einen Weißen "Teufel" nennt, müsse sich den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen.
Überhaupt findet Kendi, dass wir keine Scheu vor dem "R-Wort" haben sollten. Den in den USA populär gewordenen Begriff der "Mikroaggression" für die Beschreibung vermeintlich kleiner, alltagsrassistischen Erlebnisse, lehnt er ab: Das sind für ihn schlichtweg rassistische Attacken. Auch den Begriff "struktureller Rassismus" findet er nicht ideal, dieser sei zu schwach zur Beschreibung der Lage und würde individuelle Rassisten aus der Verantwortung entlassen.
In den USA gehört Kendi spätestens nach diesem Sommer zu den meistgelesenen und einflussreichsten, aber auch umstrittensten Denkern des Antirassismus. "How To Be An Antiracist" ist ohne Zweifel ein mutiges, radikales und für viele unbequemes Buch, das etablierte Wahrheiten auch innerhalb der antirassistischen Bewegung hinterfragt und neue Thesen vertritt, die fruchtbar und horizonterweiternd sind.

Ibram X. Kendi: How To Be an Antiracist
Aus dem Amerikanischen von Alina Schmidt
btb Verlag, München 2020
416 Seiten, 22 Euro

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