Hymnische Aufwertung des Alltäglichen

Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma
Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma © dpa / picture alliance / Eventpress Hoensch
Von André Mumot · 29.06.2013
Das Nature Theater of Oklahoma macht im Rahmen der Berliner Festspiele zwei Wochen Werkschau-Station im Hebbel am Ufer. Am ersten Abend zeigten die Amerikaner eine fluffig-fröhliche Version von "Romeo und Julia", die auf Interviews mit Freunden und Bekannten basiert.
Als Pavol Liska und Kelly Copper 2006 in New York beschlossen, ihre neu gegründete Company "Nature Theater of Oklahoma" zu nennen, holten sie sich ihre Inspiration ausgerechnet bei Franz Kafka. In dessen Roman "Amerika" stößt der Protagonist, der junge, überforderte Auswanderer, auf das Plakat des "großen Naturtheaters von Oklahoma", das mit utopischen Versprechungen neue Mitarbeiter rekrutiert: "Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!"

Pavol Liska selbst war aus der damaligen Tschechoslowakei nach Amerika emigriert, hatte in Oklahoma gelebt und schließlich, zusammen mit seinen Mitstreitern, in New York eine ganz eigene Form von Konzepttheater ins Leben gerufen – mit weltweitem Erfolg. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Matthias von Hartz, Kurator der "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele, den 15 unkonventionellen Theatermachern nun die Möglichkeit gibt, im Berliner Hebbel am Ufer eine Werkschau mit ihren wichtigsten Arbeiten zu präsentieren – und zugleich mit Hilfe von Berliner Freiwilligen ein neues Stück uraufzuführen.

Was sich dabei sofort zeigt, ist die unverwechselbare Handschrift, die das Nature Theater of Oklahoma so einzigartig wie eigenwillig macht, seine hymnische Aufwertung des Alltäglichen, der ganz unspektakulären Lebensgeschichten, und zugleich die lustvolle Feier der großen popkulturell gesättigten Bühnenshow. Ihre Abende entstehen allesamt aus Gesprächen, die zumeist am Telefon mit Freunden, Kollegen und Bekannten geführt und ‒ inklusive aller rhetorischen Schwachpunkte, aller Ähhs und aller Abschweifungen ‒ als Spielvorlage oder Libretto genutzt werden.

So auch am ersten Abend im Berliner HAU, wo die fluffig-fröhliche Nature-Theater-Version von "Romeo and Juliet" aufgeführt wird, eine Produktion von 2008. Hierfür wurden die Gesprächspartner gebeten, den Inhalt des Shakespeare-Klassikers so genau wie möglich nachzuerzählen – was im wilden Weiterspinnen zum Teil kuriose Ergebnisse nach sich zieht und Erinnerungen an die Schulzeit, an Filme und eigene Liebesgeschichten mit sich führt. Binsenweisheiten über das Leben mischen sich mit Zoten, Selbstreflexionen der Akteure mit kruden Anekdoten.

Tragische Gesten für kunstlosen Inhalt
Die Schauspieler Anne Gridley und Robert M. Johanson betreten hierfür eine kleine Bretterbühne und rezitieren die recht rustikalen Monologe mit großen tragischen Gesten und dem parodistisch-pathetischen Sprachduktus der elisabethanischen Tragödie. Die Reibung, die zwischen dem kunstlosen Sprachinhalt und der übertrieben kunstvollen Umsetzung entsteht, bildet das immerwährende Faszinosum der New Yorker Company. Manchmal ist das sehr, sehr komisch, manchmal irritierend monoton.

Eine Einschätzung, die wohl ebenso auf das weitaus aufwändiger gestaltete Hauptwerk der Gruppe zutrifft. In "Life and Times" dient das 16-stündige Telefoninterview mit der Amerikanerin Kristin Worrall als Vorlage, in dem diese in großer Ausführlichkeit von ihrer Kindheit, ihrer Jugend und ihren Lebensentscheidungen berichtet. Fünf abendfüllende Episoden sind aus dieser Alltagsbiografie bereits entstanden, die auf der Bühne die Gestalt eines Musicals, eines nostalgischen Kriminalspiels oder einer multimedialen Lesung annehmen. Sie alle sind jetzt im Berliner HAU noch einmal zu sehen (auch in zwei Marathonveranstaltungen, bei denen der geduldige Zuschauer 13 bis 15 Stunden Zeit einplanen muss.)

Die sechste Episode aber ist noch im Entstehen, wird am 10. Juli im Hebbel am Ufer ihre Uraufführung erleben, und jeder Berliner, der Lust hat, kann im Vorfeld dort vorsprechen und sich beteiligen. Womit dann auch die Worte von Kafkas fiktivem Plakat endgültig Wirklichkeit werden: "Jeder ist willkommen!"

Informationen des Theaters Hebbel am Ufer
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