Hybride Kriegsführung

Nimmt Putin Einfluss auf den Bundestagswahlkampf?

Auf einem Laptopbildschirm wird das Wort "Virus" angezeigt.
Von Staaten initiierte Hackerangriffe gehören zur hybriden Kriegsführung. © dpa / Monika Skolimowska
Von Sabine Adler, Andre Zantow, Annette Riedel · 08.05.2017
Die US-Demokraten, Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron, der Bundestag: Sie alle sind schon Opfer von Hackerangriffen geworden. Deutsche und amerikanische Geheimdienste sehen die Urheber in Russland - und warnen vor weiteren Mitteln der hybriden Kriegsführung.
Nach den Hackerangriffen im französischen und US-Wahlkampf ist auch die deutsche Regierung gewarnt. Anfang Mai sagte Angela Merkel in Sotschi gegenüber Wladimir Putin, dass "in der russischen Militärdoktrin die hybride Kriegsführung auche eine Rolle spielt". Aber Merkel gehe "selbstbewusst davon aus, dass wir Deutschen den Wahlkampf unbeschadet machen können". Russlands Präsident antwortete: "Wir mischen uns nie in innere Angelegenheiten oder politische Prozesse anderer Staaten ein."
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Händedruck am 02.05.2017 in Sotschi (Russland) mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
Kanzlerin Angela Merkel zu Besuch in Sotschi bei Russlands Präsident Wladimir Putin am 2. Mai 2017.© TASS / Mikhail Metzel

Hackerangriff auf Macron

Das würde die unterlegene US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und die US-Geheimdienste wohl bestreiten. Auch Emmanuel Macron klagte über einen "massiven und koordinierten" Angriff auf die IT-Systeme seines Wahlkampfteams. Tausende Dokumente sollen geleaked worden sein. Wieder fällt bei der Suche nach den Verantwortlichen der Name der Hackergruppe "Pawn Storm", der eine Nähe zu russischen Geheimdiensten nachgesagt wird und die auch für den Angriff auf die US-Demokraten verantwortlich sein soll.

Auch der Bundestag wurde angegriffen

Auch der Trojanerangriff auf Mitarbeiter und Politiker des Bundestages 2015 soll laut Bundesamt für Verfassungsschutz im Auftrag der russischen Regierung erfolgt sein. Hackerangriffe sind ein Element der hybriden Kriegsführung zur Destabilisierung einer Regierung. Dazu kommen gezielte Desinformationskampagnen in Onlineforen, Kommentarspalten und Plattformen wie Facebook und Twitter, wie sie von bezahlten Schreibern z. B. in der "Trollfabrik" in Sant Petersburg betrieben werden.
Und auch die staatlich gelenkte Berichterstattung in russischen Massenmedien, kann Einfluss auf ein anderes Land nehmen. So geschehen im vergangenen Jahr, als am Ende eine kleine Gruppe von Demonstraten vor das Kanzleramt zog. Sie waren nicht viele, aber laut genug damit ihre Parole gehört wurde: "Merkel muss weg!"

Der Fall Lisa

An jenem 23. Januar 2016 hatten sich nicht ausdrücklich Pegida-Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt in Berlin aufgebaut, sondern Russlanddeutsche, zu denen ihr Landsmann, der Vorsitzende des so genannten "Internationalen Konvents der Russlanddeutschen" Heinrich Groth sprach.
"Uns alle hat hier zusammen gebracht der brutale Fall der Berliner Schülerin Lisa. 13-jähriges Kind, die vergewaltigt wurde vor kurzer Zeit."
Aus Groth, der in Kasachstan geboren wurde und Anfang der 1990er Jahre als Aussiedler den Kreml noch harsch kritisierte, wurde ein Bote Moskaus. Er wendet sich vor allem an die Russlanddeutschen, die bis heute kaum Deutsch sprechen, den Anschluss an die Gesellschaft nicht schafften und sich hauptsächlich im russischen Staatsfernsehen informieren. Das mit enormem Eifer über die angeblich verfehlte Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtet. Einschlägige Internetseiten sind voll von negativer Stimmungsmache, hat die Russland-Expertin Stefanie Schiffer beobachtet.
"Wenn man da mal reinguckt, was ich ab und zu mache, das macht keinen Spaß, dann sieht man haarsträubende Dinge. Das ist Verleumdung, das ist wirklich Lüge, Verunglimpfung, die zum Teil direkt aus der russischen Pressewelt übernommen werden. Und dass da inzwischen eine Verbindung besteht, zwischen der Schwarzen PR, der russischen Presse, die gemacht wird für die russische Bevölkerung, um in diesem autoritären Staat eine gefolgsame und ruhige Bevölkerung zu haben, dass diese Beziehung jetzt auch aufgebaut wird zur russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland oder zu russlandfreundlichen Bürgerinnen und Bürgern hier, das ist offensichtlich."
Es sind jeweils Putin-Kritiker, die ins Visier der russischen Angreifer geraten. Der Kampf gegen Angela Merkel ist weniger persönlicher Natur, sondern politischer ausgelegt. Stefan Meister von der Gesellschaft für Auswärtige Politik nennt die wichtigste Stoßrichtung:
"Also vor allem ihre Flüchtlingspolitik zu thematisieren. Und dann geht’s darum, nicht über Russland zu berichten, sondern es geht darum, die Schwächen, die hier sind in der Gesellschaft, in der EU-Politik, in der deutschen Politik darzustellen und den Parteien und Gruppierungen eine Plattform zu geben, die dieses System kritisieren. Sei es die AfD, sei es in Teilen auch die Linkspartei, seien es links- und rechtspopulistische Gruppen, 'Pegida' zum Beispiel, die in den russischen Auslandsmedien sehr stark eine Plattform bekommen."

Putins Wendepunkt

Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 vor genau zehn Jahren gilt als Beginn der Kehrtwende des russischen Präsidenten. Hatte seit dem Zerfall der Sowjetunion mancher sogar schon von einer NATO-Mitgliedschaft Russlands geträumt, gab es nun ein schrilles Erwachen. Die Töne gegen die westliche Demokratie wurden stetig schärfer. Alexander Rahr, Politologe und Berater für den russischen Erdgas-Lieferanten Gasprom, erklärt, was seiner Meinung nach Grund für die Abkehr Russlands vom Westen ist.
"Also ich glaube, dass ein Auslöser des Konflikts der Wertestreit ist und nicht Geopolitik. Der Westen, der versucht hat, nach dem Sieg im Kalten Krieg ein liberales Modell nicht nur in Europa, sondern auch außerhalb der transatlantischen Gemeinschaft zu errichten, jedenfalls zu unterstützen. Das Problem war in der Tat die Ukraine. Wenn die Ukraine zurück an Russland fällt, kann Russland erneut ein Imperium werden, wenn die Ukraine aus Russland herausgerissen wird, wird Russland immer schwächer."

Kremlpropagandisten und Rechtspopulisten Hand in Hand

Dass die Ukraine nur gewaltsam an Russlands Seite gehalten werden könnte, nimmt Moskau wie früher die Sowjetunion in Kauf. Mit einem eigenen attraktiven Gesellschaftsentwurf kann der Kreml nicht aufwarten. Seine Offerte lautet: Autokratie. Gleichzeitig wird die westliche Demokratie diffamiert. Aus Überzeugung oder Naivität finden sich dafür in Deutschland zahlreiche Unterstützer.
Kremlpropagandisten und Rechtspopulisten arbeiten Hand in Hand, woraus eine Win-win-Situation für beide entsteht. Auch so mancher deutsche Linke hat längst seinen Kompass verloren und springt auf diesen Moskau-Zug auf. Zum Beispiel die Aktivisten der Montagsdemonstrationen, die den deutschen Ex-Außenminister Steinmeier als Kriegstreiber beschimpften. Marieluise Beck musste sich ähnliche Vorwürfe gefallen lassen. Die osteuropapolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion:
"Die Montagsdemos sind aber lange hops genommen worden durch rechte Kräfte. Ein grüner Landesverband, der sich als links empfindet und nicht durchschaut, dass hier Montagsdemo links durch rechts abgelöst worden ist, bekommt Sorgen, dass seine Wählermilieus, die auch links sind, sich abwenden könnten, wenn eine solche inkriminierte Person, die als Kriegstreiberin dort denunziert wird, ihre Kandidatin sein."
Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 26.03.2015 im Bundestag.
Marieluise Beck (Grüne) bei einer Rede im Bundestag.© dpa / picture alliance / Lukas Schulze
Bei der kommenden Wahl im September wurde sie nicht mehr aufgestellt. Ideologen unterschiedlicher Couleur haben immer noch nicht erkannt, dass die Gräben längst nicht mehr zwischen Links und Rechts verlaufen, sondern zwischen Liberalen und Autokratie-Anhängern. Dass die Verwirrstrategie aufgeht, zeigt der Fall der Grünen Beck:
"Wenn diese entsprechend Kandidatin oder der Kandidat rausgekegelt worden ist, kann man im Kreml einen kleinen Strich an die Wand machen."
Die russische Regierung knebelt die eigene Zivilbevölkerung seit den Massenprotesten gegen die gefälschte Parlamentswahl 2011. Russische Institutionen in Deutschland und Europa können dagegen ihre Botschaften ungehindert platzieren. Deutschland ist alles andere als ausgeliefert, sondern kann sich wappnen die NGO-Aktivistin Stefanie Schiffer und nennt Möglichkeiten.
"Im Bereich cyber security, aber auch im Bereich Aufklärung, im Bereich Kommunikation. Ich denke, dass zum Beispiel der Bundestag mehr auf Lobbytätigkeit von Abgeordneten achten muss, auf Transparenz von Parteispenden. Das sind alles Dinge, wo sicher noch nachgebessert werden kann und wo wir und unsere Institutionen uns einfach noch besser schützen können."
Wie gegen Hillary Clinton könnte es auch gegen kremlkritische deutsche Politiker so genannte Kompromate – kompromittierendes Material – geben, ist die Bundestagsabgeordnete Beck überzeugt.
"Warum sind eigentlich die Daten, die durch den großen Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag abgeflossen sind, von denen niemand weiß, was und wie viel es war, warum sind diese Daten noch nicht in der Öffentlichkeit erschienen? Man kann mutmaßen, dass sie tröpfchenweise gegen diejenigen, die man rausschießen möchte, zur rechten Zeit vor der Wahl aufgetischt werden."

EU-Portal informiert über russische Propaganda

Als Reaktion auf die gezielten Desinformationskampagnen russischer Medien hat die Europäische Union im November 2015 ein neues publizistisches Angebot geschaffen. Rund zehn Mitarbeiter der "Taskforce Stratcom East" sollen in Brüssel jede Woche auf dem Portal "EUvsDisinfo.EU" die Falschmeldungen aus Moskau dokumentieren und richtigstellen.
Dabei geht es um Meldungen wie "IS-Terroristen und ukrainische Nationalisten werden aus der selben Zentrale gesteuert", die russische Medien verbreiteten. Oder aktuell schreiben die EU-Mitarbeiter über die russische Darstellung Deutschlands als Land ohne Redefreiheit und mit einer Kanzlerin, die aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit gegenüber Russland hysterisch handelt. Zielpublikum sind russischsprachige Menschen in Europa, deshalb sind alle Artikel auch in nur in Russisch und Englisch.
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